Moderne Geister. Georg Brandes
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„Dieser Heyse“, bemerkte ein Vierter, „hat trotz seiner fünfzig Jahre und seiner dichterischen Reife die Schwäche, uns durchaus überreden zu wollen, dass er ein unmoralischer, lüsterner Poet sei. Aber kein Mensch glaubt es ihm. Das ist seine Strafe“.
„Ich bin in meinem Leben nie so beneidet worden“, sagte in meiner Gegenwart eine alte Jugendfreundin Heyse's, „wie heute, als in einer höheren Töchterschule, die ich besuchte, sich das Gerücht verbreitet hatte, ich würde heute Abend mit ihm in einer Gesellschaft zusammen treffen. Die Backfische haben mir einstimmig aufgetragen, ihm ihre begeisterten Grüsse zu bringen. Wie gerne wären sie ihm sämmtlich um den Hals gefallen! Er ist und bleibt der vergötterte Lieblingsdichter der jungen Mädchen“.
„Man kann“, sagte ein Kritiker, „Paul Heyse als den Mendelssohn-Bartholdy der deutschen Poesie definiren. Er erscheint wie Mendelssohn nach den grossen Meistern. Sein Wesen ist wie dasjenige Mendelssohns ein deutsches lyrisches und sinniges Naturell mit der feinsten, südländischen Bildung durchdrungen. Beiden fehlt der grosse Pathos, die durchgreifende Gewalt, der Sturm des dramatischen Elements; aber beide haben natürliche Würde im Ernst, reizende Liebenswürdigkeit und Anmuth im Scherz, beide sind sie durchgebildet in der Form, Virtuosen in der Ausführung“.
Max Klinger.
(1882.)
I
In der Berliner permanenten Kunstausstellung erregten im Frühling 1878 eine Reihe Federzeichnungen Aufmerksamkeit. Sie waren betitelt: „Phantasien über einen gefundenen Handschuh, der Dame, die ihn verlor, gewidmet“. Ihre Originalität war so tief und so barock, sie waren so unähnlich Allem, was man früher in dieser Art gesehen, dass kein Besucher gleichgiltig daran vorbeiging. Der gewöhnliche Berliner war allerdings nicht ganz klar darüber, ob dies Genialität oder Wahnwitz sei; ein und der andere Siebengescheidte murmelte „Fliegende Blätter-Illustrationen“ zwischen den Zähnen; aber mehrere von den Künstlern und Kritikern, deren Kunstsinn nicht durch das Althergebrachte bestimmt wird, stutzten, vertieften sich in die Bilder und bewunderten das Talent, das in diesem ersten Aufleuchten sich fast blendend offenbarte. Der Name des Künstlers war Max Klinger, und er war erst 21 Jahre alt.
Diese Blätter sind voriges Jahr erschienen in einem Cyclus meisterhaft ausgeführter Radierungen „Ein Handschuh. Rad. Op. VI“ ausnahmsweise im Selbstverlag des Künstlers, da er kein grosses allgemeines Interesse an einer Arbeit von so persönlichem Charakter erwarten konnte. Hier eine kurze Beschreibung davon.
1. und 2. Berlins Skating-Rink, die Gesellschaft, die damals diesen Sport betrieb, genau porträtirt – darunter der Künstler selbst, hoch, von militärischer Haltung, mit seinen dichten, gekrausten Haaren, die den Kopf wie eine Pelzmütze bedecken – und eine junge ausgezeichnet schöne Dame, eine Brasilianerin, die in jener Zeit durch ihre Schönheit und ihr graziöses Laufen das Interesse der Zuschauer auf sich lenkte. Die junge Dame verliert beim Dahinsausen einen langen weissen Handschuh mit sechs Knöpfen; der junge Künstler bückt sich im Laufen und hebt ihn auf, vermuthlich, um ihn in der Tasche zu bergen, die dem Herzen am nächsten ist.
3. Ein niedlicher kleiner Cupido sitzt halb abgewandt neben einem Rosenbusch, von welchem schwere, grosse Rosen herabhängen. In ihrem Schatten ruht der feine, schmale Damenhandschuh. Cupido bewacht den weichen, duftigen Fund, Rosenblätter fallen darauf herab.
4. Max Klinger in seinem Bett; er wirft sich im Schlaf unruhig auf seinem schmalem Lager herum. Auf dem Nachttisch liegt der Handschuh, aber über dem Haupte des Schlafenden schwebt er wieder, vom Traum zu einer ungeheuren Hand ausgedehnt, die nach dem Monde greift und droht, ihn vom Himmel herunterzureissen. Und sieh! links vor dem Bette beginnt das offene Meer; und draussen auf seiner Flut erheben sich mit wildem Geschrei und Geberden schwimmende, ertrinkende Gestalten, darunter Meerungeheuer, und noch weiter draussen nähern sich grosse, gekrümmte, angsteinflössende Handschuhhände. Kein Wunder, dass der Schlafende vor Schreck in dem Bette die Beine unter sich hinaufzieht.
5. Das Erwachen. Der Handschuh liegt ruhig auf dem Bett, aber der Künstler ist zusammengekauert, das Gesicht in die Hände gesenkt, und träumt wachend weiter: Eine weitgestreckte Landschaft mit Bergen im Hintergrund offenbart sich; im Vordergrund erheben sich über dem Handschuh phantastische, ganz mit Blumen bedeckte Traumbäume auf hohen, dünnen Stengeln. Unterhalb derselben, doch fern, fern auf einem Weg und nicht grösser als dass eine Fliege die Gestalt decken könnte, indessen an der charakteristischen Haltung leicht wieder erkennbar – die schöne Dame vom Skating-Rink.
6. Sturm auf dem Meere. Mitten auf der Flut ein Segelboot, vom Winde stark auf die Seite geworfen; aus dem Boote beugt sich die Gestalt des jungen Künstlers, mit einem ungeheuer langen Enterhaken versehen. Der Handschuh ist über Bord gefallen, es gilt, ihn aufzufischen. Wir sehen ihn sinken, fühlen die verzweifelte Anstrengung, ihn mit dem spitzen Eisen wieder zu erhaschen.
7. Wieder Wasser, doch wie verschieden! in grossen, sichern Rundungen und Voluten stilisirt, wie ein griechisches Basrelief. Ein Gespann Meerpferde im strengsten hellenischen Stil zieht langsam und majestätisch einen niedrigen Triumphwagen über die Wogen; den Sitzkasten bildet eine Muschel, die sich öffnet wie ein schwarzer, leuchtender Blumenkelch, und in ihr ruht blendend weiss – der Handschuh, der die Zügel hält und das Gespann lenkt.
8. Was ist dies? Zwei verzweiflungsvolle nackte Mannesarme, die sich durch eine Fensterscheibe Bahn gebrochen haben, dass sie in Scherben zu Boden fällt; die Hände greifen nach einem fortflatternden Gegenstand, der sich im nächtlichen Dunkel verliert. Ach, es ist wieder der Handschuh! Durchs Fenster ist er geflogen; eine hässliche unnatürlich grosse Fledermaus hat ihn in der Schnauze und schwebt mit ihm davon. Und vergeblich streckt der Phantasirende seine blutenden zerschnittenen Hände danach zum Fenster hinaus.
9. Da ist er wieder. Und diesmal besser verwahrt. Jetzt wird er nicht so leicht mehr entwischen. Ein geräumiger Saal. An allen Wänden hängende Tapeten; doch genauer betrachtet, sind diese Tapeten lauter vielfach vergrösserte, paarweis verbundene 6knöpfige Damenhandschuhe, die von der Decke bis zum Boden reichen. Mitten in diesem Saal ein kokettes Tischchen, das als Altar dient. Und auf dem Altar liegt der Schatz selber in natürlicher Grösse, fein, schmal, von allen Seiten sichtbar. Doch in einer Ecke des Gemaches ist die Tapete etwas unregelmässig; denn ein wildes Thierhaupt mit flammenden Augen hebt einige von den grossen Handschuhfingern in die Höhe und glotzt herein; es ist der Drache mit seinen hässlichen Klauen und dem geschlängelten Schweif, der das Heiligthum bewacht und den Schatz hütet.
10. Wieder eine flache, sandige Küste. Am Strande brennen zwei feine, antike Lampen auf hohen Stativen. Zwischen ihnen liegt auf einem Kissen der gefundene Handschuh und das Meer leckt zu ihm empor, ohne sich ihm jedoch mit der Dreistigkeit zu nähern, mit der es einst Knud des Grossen Fuss berührte. Im Gegentheil! der Ocean huldigt diesem Kleinod des Liebenden: all' die steigenden Wogenkämme spülen Rosen an den Strand, schleudern Rosen nach dem Handschuh; in allen Wellenfurchen fliessen sie; all' der gischende Wogenschaum löst sich in Rosen auf.
II
Im Winter vor jener Frühlingsausstellung lernte ich in Berlin einen kleinen Kreis junger Künstler kennen. Sie wohnten, oder versammelten sich in einem Atelier, das sich im 5. Stock eines Hauses der aristokratischen Hohenzollernstrasse befand. Es war ein Eckhaus mit schöner freier Aussicht über das Schöneberger Ufer, aber diese Aussicht war auch das prächtigste an der ganzen Wohnung. Ein und derselbe grosse Raum diente als Atelier und Schlafzimmer. Die Möbel waren ein zerrissenes Sopha und ein mächtiger, mit losen Skizzenblättern, Mappen und Kaffeebereitungs-Requisiten bedeckter Tisch, dessen Grösse und Solidität ich eben im Begriffe stand zu beneiden, als ich entdeckte, dass es gar kein