Moderne Geister. Georg Brandes

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Moderne Geister - Georg Brandes

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in seinem eigenen Blatte angegriffen und der Artikel von der Redaction desavouirt. „Es sei Sünde“, hiess es allgemein, „einem jungen Künstler durch Lob den Kopf zu verdrehen“, besonders fügte man gerne hinzu, „da wahrscheinlich nichts aus ihm werde“; und als kurz danach Klinger's Kunst zu stocken schien, da er für zwei ganze Jahre aus Berlin verschwand und sehr zurückgezogen zuerst in Brüssel, dann in München lebte, eine langwierige erschöpfende Krankheit durchmachte, hatte es wirklich eine Zeit lang den Anschein, als ob die ungünstigen Prophezeiungen Recht behalten sollten.

      Doch zu Anfang 1880 kamen in Brüssel „13 Eaux-fortes“, Randglossen zu Ovid, heraus, die einen grossen Fortschritt in der Entwicklung des Künstlers verriethen. Es waren Illustrationen, oder richtiger begleitende Phantasien zu den Erzählungen der Metamorphosen von Apollo und Daphne, Pyramus und Thisbe, vermischt mit Intermezzo's pathetischer oder humoristischer Natur. Das einleitende Blatt ist in grossem, prachtvollen Stil ausgeführt. Eine schöne gebirgige Küstenlandschaft. Zur Linken, mit einer mächtigen Bergwand im Hintergrund, erblickt man eine griechische Colossalbüste, wie in einem Nest von Rosen angebracht. Den untersten Theil des Blattes nimmt die Platte an dem Arbeitstisch des Künstlers nebst Leuchtern und Zeichnengeräthschaften ein; rechts unten strecken zwei gefaltete Hände sich betend empor. Sie rufen den Geist der Antike an. Man muss die reine Hoheit in dem Ausdrucke des Colossalhauptes und die zitternde, nervöse Inbrunst in den gefalteten Händen, endlich die Landschaft mit dem kleinen, rauchenden Altar und einem Opfernden davor gesehen haben, um die ergreifende Wirkung zu verstehen. Die Landschaften insbesondere sind in diesem Cyclus bezaubernd; überhaupt besitzt Klinger eine gleichmässigere Stärke in der Landschaft als in den Figuren, deren Zeichnung nicht selten verfehlt ist, und bei denen sich das Barocke und Hässliche zuweilen störend neben vielem Reizenden und Genialen offenbart. Die Landschaften hier, mythologische Landschaften, die etwas Paradiesisches und doch gar nichts Akademisches an sich haben, erinnern in ihrem Stil an Böcklin, der überhaupt der Maler sein dürfte, der den tiefsten Eindruck auf Klinger gemacht hat. Diejenigen unter meinen Lesern, die solche Bilder von Böcklin gesehen, verstanden und gefühlt haben, wie die beiden in der Schack'schen Gallerie zu München, welche den Namen „Die Villa“ führen und dieselbe altgriechische Landschaft, bei Tag und Nacht gesehen, vorstellen, können sich einen Begriff von der tiefen, ergreifenden Poesie in Klinger's bald überüppigen, bald durch ihre wilde Unfruchtbarkeit melancholischen Landschaften machen. Es sind keine Landschaften, die sich für die civilisirte Menschheit der Gegenwart eignen. Sie passen zum Aufenthaltsort für langhaarige Faune, für flötenspielende, ziegenfüssige Satyre, für das erste liebende Menschenpaar der Urzeit. Und doch ist der Künstler der Modernste unter den Modernen, der Freieste unter den Freien – antik nur desshalb, weil er ursprünglich ist, mythologisch nur, weil etwas von dem Urmenschlichen, das in den Mythen seinen Ausdruck fand, in ihm ist. Er spielt mit Ovid so frei, wie Ovid mit dem Glauben einer älteren Zeit spielte, aber mit tieferem Sinne für das Seelische darin, mit kühnerer Phantasie und mit dem Hang des innerlich Einsamen, Gedanken und Räthsel in sein Werk niederzulegen. Welch' ein Blatt das, welches uns Apollo und den Künstler zeigt, die sich in der fremden Welt entgegengehen, jener mit der vielfach vergrösserten Feder, dieser mit der vergrösserten Radiernadel in der Hand. Welche stolz-bescheidene Haltung der ernsten Gestalt im antiken Gewande!

      Wie in sein Zimmer eingemauert, ohne mit einem einzigen Menschen zu verkehren, ohne im Verlauf von fünf Monaten nur ein einziges Mal seinen Fuss in die Pinakothek zu setzen, die er nie gesehen hatte, lebte Klinger in München, ausschliesslich der Ausarbeitung seines grossen Werkes „Amor und Psyche“. Es ist Apuleius' alte Legende, verschwenderisch mit Holzschnitten und Radirungen illustrirt. Mit wahrer dichterischer Erfindungsgabe hat Klinger in den Vignetten die Grundzüge der Mythe motivirt; und jeder empfängliche Beschauer wird sich der Feinheit und des Humors in der Vignettenreihe, wo Amor die 12 Herkules-Arbeiten ausführt, freuen und die vollendete Schönheit und Pracht bewundern, wie am Schlusse Venus vor den Göttern auf dem Olymp tanzt. Die grossen Bilder und Figuren stehen durchgehends dahinter zurück. Klinger ist noch kein Meister in der eigentlichen Zeichnung, und es ist zweifelhaft, ob er es jemals wird. Denn obschon in manchem Punkt das, was er hervorbringt, nicht besser gemacht werden kann, so muss man in andern Punkten fürchten, dass er unverbesserlich ist. Er gehört nicht zu denen, die schrittweise lernen; er geht im Sprung voran oder er behält seine Fehler. Jedoch die kleinen Bilder sind unvergleichlich anmuthig. Eines ist darunter, das Psyche einsam in Amor's Palast darstellt, wie sie von der Musik der Geister getröstet wird; es ist hingehaucht und ideal schön wie ein Gedicht von Shelley.

      IV

      Ja, Klinger ist Dichter, ein naturanbetender, unberechenbar phantastischer Poet, der mit der Radirnadel und dem Pinsel dichtet. Er malt z. B. eine südliche Landschaft mit heiterer Luft, im Hintergrunde das Meer; ein Strauch voll rother Rosen zur Linken; eine junge, nackte weibliche Gestalt mit einem Rosenkranz um die Stirn liegt ausgestreckt auf dem feinen, weissen Sand und stützt sich auf den Ellbogen. Von rechts nähern sich mit steifer Gravität zuerst ein feuerrother Flamingo, dann in einiger Entfernung zwei grosse, barocke, breitschnäblige Vögel, die der Schönheit ihre Huldigung darzubringen scheinen. Das ebenso vorzüglich erfundene wie schlecht gemalte Bild trägt die Aufschrift: „Deputation“. Oder er zeichnet einen Mephistopheles, der, in Faust's Mantel gehüllt, auf den Besuch des Studenten wartet. Nicht eine Spur von dem traditionellen Mephisto-Typus ist zurückgeblieben. Aber wie ist dies schöne, kluge Gesicht unter dem Barett überlegen, raffinirt, in jeder Fiber von Hohn durchzuckt; eine vampyrische Wollust ist in diesen Zügen. Der grosse Spötter schlägt den warmen Pelzmantel um sich, als ob er friere. Es ist der blutlose Vampyr, der erfahrene Weltmann, der auf die vollblütige Unbedeutendheit, die unheilige Einfalt von der Schule wie auf seine sichere Beute wartet.

      Die letzte Reihe von Radirungen, die Klinger herausgegeben, scheinen mir den Höhepunkt dessen zu bezeichnen, was er erreicht hat; sie haben nur ein einziges misslungenes Blatt aufzuweisen und übertreffen an Reife alles frühere. Der Titel ist „Eva und die Zukunft“. Es sind 6 Blätter. Eva erwacht neugeschaffen in einem Paradiesgarten, der durch die Ueppigkeit seiner Vegetation an den Garten in Zola's „La faute de l'abbé Mouret“ erinnert. Das nächste Blatt „Die Zukunft“ zeigt einen schmalen Bergpfad zwischen zwei nackten, senkrechten Klippenwänden, der emporführt; und zu oberst, wo wir Evasöhne und Evatöchter alle vorbei müssen, wenn wir überhaupt vorbei kommen, – hockt, auf die Vordertatzen gestützt, mit granitener Ruhe ein Riesentieger und wartet, wartet wie das unvermeidliche Entsetzen, das Jedem vorbehalten ist. Das nächste Blatt „Die Schlange“ stellt Eva nackt dar, wie sie sich brüstet und auf den Zehen erhebt, um ihr Gesicht besser im Spiegel sehen zu können, den die Schlange vom Baume der Erkenntniss ihr entgegenhält. Dies Blatt gefällt mir am wenigsten; aber „Die Zukunft“, die das Seitenstück zu „Die Schlange“ bildet, ist um so viel interessanter. Es wirkt durch etwas unaussprechlich Stimmungsvolles: ein Dämon, der Dämon aller Versuchungen, fliesst mit einer Harpune in der Hand, seltsam lächelnd, auf dem Rücken eines Delphins an dem Beschauer vorüber. Die beiden letzten Blätter sind in hohem Grade fesselnd. Das eine stellt die Vertreibung Adam's und Eva's aus dem Paradiese vor und ist betitelt „Adam“; im Hintergrund des Gartens reiche Laubbäume und der durch ein primitives Portal von hohen, unbehauenen Steinen, doch ohne Thorbogen, bezeichnete Ausgang. Im Vordergrund Adam, der Eva auf seinen Armen hinausträgt in die Welt der steinernen Wirklichkeit. Man braucht nur angesichts dieser Radirung einen Namen zu nennen wie Gustave Doré, um die ursprüngliche Frische Klinger's recht augenfällig zu machen; er ist ebenso echt und ursprünglich, wie der Franzose allmälig conventionell und theatralisch geworden ist. „Die Zukunft“, die das Gegenstück zu diesem Blatte bildet, wird Niemand, der sie sah, so leicht vergessen! Jean Paul gebraucht irgendwo von dem Tod den Ausdruck „der Pflasterer“. Dieser Ausdruck gab Klinger, die Idee zu einem Bilde in mittelalterlichem Geist, auf dem man den Knochenmann erblickt, ein Gewimmel von schreckgelähmten Häuptern, die aus der Erde ragen, unter sich; und während sich die sonderbaren Klauen seiner Füsse in die Haare einiger Köpfe verwickeln und er ein Geheul des Entzückens anstimmt, schwingt er seine kräftige Pflasterersjungfrau hoch in seinen Armen und lässt sie mit Wonne auf die Hirnschalen hinabfallen.

      V

      Es

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