Moderne Geister. Georg Brandes

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Moderne Geister - Georg Brandes

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viele originelle Versuche.

      Der Portier, der auf den wohlklingenden Namen Piefke hörte, sorgte für die Insassen des Ateliers wie eine Mutter. Selbst wider ihren Willen nahm er sich ihres Wohles an. Einer von ihnen hatte eine Reise vor und vermisste längere Zeit vorher seine schönsten Hemden. Herr Piefke war's, der sie bei Seite geräumt hatte, damit sie zu der Reise frisch gewaschen seien und sein Schützling sich unter den Fremden sehen lassen könne. Eigenthümlich genug wurde er zuletzt von der künstlerischen Atmosphäre im 5. Stock so angesteckt, dass er drunten in seinem Kellergelass selbst zu malen anfing, und das Gelungenste war, dass er wirklich etwas Talent besass, „mehr als manche Berühmtheit“, sagten die Maler. Ja, einer von ihnen hielt ein Gemälde von Herrn Piefke für das eines Kameraden, als er es eines Tages im Atelier aufgestellt fand. Ich selbst sah zwei Marinebilder von Herrn Piefke, Schiffe im Sturm darstellend, deren Interesse dadurch erhöht wurde, dass der Künstler niemals das Meer gesehen hatte, so dass die Phantasie um so grösseren Spielraum fand.

      Einer von den jungen Malern ersuchte mich, ihm zu sitzen; dadurch lernte ich die Gesellschaft kennen. Es waren – selbstverständlich – lauter eifrige Nihilisten, Socialisten, Atheisten, Naturalisten, Materialisten und Egoisten. Sie docirten einstimmig Ansichten, die für die Gesellschaftsordnung und den Frieden des Nächsten höchst gefährlich waren. Sie huldigten der Politik der Pariser Commune; Jeden, der behauptete, dass er selbst, oder überhaupt Jemand, sich von einem andern Motiv als dem rücksichtslosesten Egoismus leiten lasse, verachteten sie als einen Heuchler, der sie zum Besten haben wollte. Sie waren, nachdem sie mich kennen gelernt, sehr überrascht über meine Zahmheit. Sie hatten sich etwas ganz andres erwartet. Sie fühlten Ekel (Verachtung ist ein zu schwaches Wort dafür) vor der ganzen anerkannten deutschen Kunst, vor der Akademie, ihren Mitschülern, den berühmten Namen (mit Ausnahme von Böcklin, Menzel und Gussow). Sie hatten das Leben durchschaut. Sie liessen Alles gehen, wie es wollte. Es gab nichts zu wirken und nichts zu hoffen. Es galt, so schmerzlos als möglich die Zeit todtzuschlagen; sie waren zu alt, um Leidenschaften zu hegen – darüber waren sie hinaus – zu blasirt, um Illusionen nachzujagen, zu kunstverständig, um sich selbst Genie zuzutrauen, zu stolz, um sich um Lob oder Ruhm zu kümmern; es galt, den einen Tag hinzubringen wie den andern: ein wenig zu malen, eine Partie Tarok zu spielen, recht lange zu schlafen. Kurzum sie waren jung, jung! im Beginn der Zwanzig, genusssüchtig, ehrgeizig, fanatisch für die Kunst begeistert, weissglühend vor Verachtung der Heuchelei, so leidenschaftslos, dass der eifrigste Anbeter der Indolenz unter ihnen erst vor Kurzem von den Folgen eines Selbstmordversuches, den er aus unglücklicher Liebe machte, geheilt worden war und so eifrig, das Evangelium des Egoismus zu predigen, dass sie in vollständigem Communismus lebten, einander halfen, für einander hungerten und einander liebten.

      Sie waren Alle begabt; doch sobald man mit Einem von ihnen allein war, erzählte er sofort mit einem Gemisch von Zärtlichkeit und Ehrfurcht, dass Einer unter ihnen ein Genie sei. Er war ihr Stolz, ihre Bewunderung. Sie setzten ihre egoistische Freude darein, sein Lob nach allen Seiten auszuposaunen, überall und mit Jedem von seinen Arbeiten zu sprechen, ohne eine Silbe von ihren eignen zu sagen; fragte man nach diesen, so antworteten sie, das sei nur Broderwerb. Sie trugen ihren Benjamin auf den Händen und schworen, dass er den Ruhm aller jetzt lebenden deutschen Künstler in Schatten stellen werde. Mittlerweile ging er gross und schlank mit seinen dicht wachsenden, gekrausten, rothen Haaren still und verschlossen unter ihnen, stimmte mit einem Nicken, doch ohne sich weiter auszulassen, in ihre Theorien ein, im Voraus überzeugt, dass nur die extremste Anschauung die wahre sein könne und im Uebrigen so verloren in sein inneres Walten, so in Anspruch genommen von seinen fruchtbaren Träumen, so unablässig, fabelhaft productiv, dass er nur wenig Zeit zum Philosophiren fand.

      III

      Max Klinger ist in Leipzig am 18. Februar 1857 geboren. Er ist der Sohn einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie. Er studirte die Malerei in Carlsruhe und Berlin unter dem durch seinen energischen Realismus bekannten Maler Carl Gussow, aber ohne das lernen zu können, worin dieser Lehrer seine besondere Stärke hat: die genaue Wiedergabe des Modells. Er lernte niemals die äussere Wirklichkeit copiren: dafür war seine innere Welt zu eigenthümlich und zu reich. Sein Gedächtniss war so treu, dass es von Formen und Eindrücken überfüllt war, seine gnostisch sinnliche, ideen- und bildersprudelnde Einbildungskraft war felsenfest von ihrer innern Logik überzeugt. Wie bizarr sie sich auch im Schaffen äusserte und wie tollkühn sie auch mit einer Aufgabe tummelte, machte sie dennoch etwas in künstlerischem Sinne Vernünftiges daraus, und sein Stimmungsleben war so vollständig, so vielstimmig bewegt, dass jede seiner Schöpfungen auf die Nerven wirkte wie Musik, Stimmung in sich hatte und Stimmung mit sich brachte.

      Der Stamm, aus dem diese fruchtbare Phantasie ihre Blüthen trieb, war ein fester, entschlossener und hartnäckiger Charakter, beharrlich in seinem Streben und in seinen Entschlüssen und bereit, Zeit, Kräfte, unbedingt Alles dafür zu opfern; er war ferner ein äusserst nervöses, bis zum Uebermass sensibles Temperament, eines jener Temperamente, welche die Leidenschaften bis auf den Grund erschüttern, doch nicht wie verheerende Stürme, sondern wie tropische Gewitter, nach denen das Erdreich doppelt üppig wuchert.

      Im Frühling 1878 stellte Klinger eine Reihe von 8 Zeichnungen aus, welche die Geschichte Christi illustrirten. Obgleich diese Zeichnungen nicht zu Klinger's besten Arbeiten gehören, wohl zunächst deshalb, weil das Historische nicht sein Fach ist und weil die Aufgabe überhaupt zu gross für seine Jugend war, so wurden sie doch beachtet. Der damalige Kritiker der „Gegenwart“, einer von den Wenigen, die wirklich Kunstverständniss hatten, schrieb: Von der Ausstellung 1878 wird man in Zukunft sagen: „Hier stellte Max Klinger zum ersten Male aus“; und nicht lange danach wurden die Zeichnungen von der Nationalgalerie angekauft. Ihr Verdienst lag hauptsächlich in dem vollständigen, entschiedenen Bruch des Künstlers mit allen abgedroschenen Ueberlieferungen in der Behandlung der ursprünglich christlichen Typen. Mit jugendlichem Ernst suchte er seinen eigenen Weg.

      Der Christustypus ist bei ihm unklar, verschieden in den verschiedenen Zeichnungen, weil er selbst über seine Grundauffassung noch unklar ist. Doch die Begebenheiten sind dem Beschauer nahe gerückt. Z. B. Die Jünger klimmen mühsam den Hügel empor, wo die Bergpredigt gehalten werden soll; ihnen folgen neugierige, schreiende Knaben, hinkende alte Weiber, Gichtbrüchige, Pharisäer und Soldaten. Alle wenden uns den Rücken; einer von den Aposteln dreht sich um und will einen Knaben ohrfeigen, wird aber von einem andern daran gehindert. Der Eindruck ist humoristisch. An einer andern Zeichnung, wo sie den Berg hinabschreiten, ist Alles feierlich. Die Sonne brennt auf den heissen Sand. Einer hinter dem andern gesenkten Hauptes folgen die Apostel ihrem Meister. Dieser nähert sich den Zuschauern. Das edle, feine Gesicht mit dem weichen schwarzen Haar und Bart blickt starr zu Boden. Er sieht trotz seiner Jugend so ehrfurchtgebietend aus, dass der römische Centurio, der hergesandt ist, um ihn zu beobachten, unwillkürlich Front macht; steif und unbeweglich, entblössten Hauptes steht er da, als Christus an ihm vorbeischreitet. In diesen Zeichnungen ist ein tapferer, wahrheitsliebender Kampf gegen das Hergebrachte. Auf dem Blatte wo Christus mit der Dornenkrone dem Volke gezeigt wird, ist z. B. der Ausrufer nicht das gewöhnliche brutale Ungeheuer, das in Vergnügen über seine eigene Gemeinheit schwelgt; wir sehen ein schläfriges arabisches Profil, dessen Besitzer mit eintöniger Stimme ganz mechanisch eine Reihe Worte ausschreit, die er auswendig gelernt hat, weil herzuplappern sein Beruf ist.

      Auf derselben Ausstellung befand sich auch ein kleines Gemälde von Klinger, „Spaziergänger“ betitelt, interessant durch sein spannendes Thema. Die Scene ist ein ödes Feld nächst der Hasenhaide bei Berlin, bekannt als unsichere Gegend. Eine lange, unendlich lange und melancholische Friedhofmauer zieht sich in das Bild hinein. Daran lehnt ein junger Mann. Er hat einen Revolver aus der Tasche gezogen und hält ihn mit ruhigem beobachtenden Blick vor sich hin; denn von drei Seiten nähern sich unheimliche, zerlumpte Gestalten mit dicken Knüppeln in den Händen. Sie sind stehen geblieben, augenscheinlich ungewiss, was sie zunächst beginnen sollen, da sie merken, der Andere sei vorbereitet. Einer dieser Vorstadt-Proletarier bückt sich, ungeduldig über das Warten, und hebt einen grossen Stein auf. Ueber dem Bilde blauer Himmel, Sonnenschein und Sommerluft. – Der Kritiker Ludwig Pietsch besprach dieses Bild, ebenso wie die Handschuh-Radirungen, voll

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