Der Sinn und Wert des Lebens. Eucken Rudolf

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Der Sinn und Wert des Lebens - Eucken Rudolf

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Die Natur aber erscheint hier als ein Nebeneinander einzelner Elemente, die in vielfachste Beziehung treten und auch manche Verwebung bilden, deren Verbindung aber nie mehr als eine Anhäufung und Zusammensetzung ist; es gibt hier keinen inneren Zusammenhang und daher auch kein Wirken aus einem Ganzen, auch kein Selbständigwerden eines Inneren. Wie die Natur in reiner und bloßer Tatsächlichkeit verläuft, so kann auch das Menschenleben, das zu ihr gehört, keine die natürliche Selbsterhaltung überschreitende Wertschätzung, kein Gut und Böse anerkennen; nur die Entfaltung der Kraft und die sie begleitende Lust kann dem Leben einen Antrieb geben, und, soweit hier überhaupt von Zielen die Rede sein kann, haben sie in die Kraftsteigerung einzumünden.

      Die Übertragung dieser Maße auf das menschliche Leben erwies ein gutes Recht dadurch, daß sie Tatsachen zur vollen Anerkennung brachte und untereinander zusammenschloß, die früher vereinzelt geblieben und als Nebensachen behandelt waren. So die Gebundenheit aller seelischen Betätigung an körperliche Bedingungen, so die elementare Macht der Naturtriebe und der natürlichen Selbsterhaltung, so die überwiegende Macht der materiellen Faktoren im Menschenleben, so das aufrüttelnde und vorwärtstreibende Wirken des Kampfes ums Dasein, so die weite Ausdehnung der blinden und sinnlosen Tatsächlichkeit auch im Bereich des Menschen. Alles zusammen ergibt einen eigentümlichen Lebenstypus, der sich auch der geistigen Arbeit, die er an sich zieht, mitteilen muß.

      Da diese Lebensordnung dem geschichtlich überkommenen Stande schroff widerspricht, so muß sie mit einer entschiedenen Verneinung beginnen, mit einer Verneinung alles dessen, was die Natur überschreitet und damit die Wirklichkeit auseinanderzureißen scheint. So geschah es nach ihrer Überzeugung in Religion und Metaphysik, gemeinsam war ihnen der Fehler, das menschliche Subjekt von seiner Umgebung abzulösen und seiner ungezügelten Phantasie eigene Wege zu gestatten. Dadurch entstanden erdichtete Bildungen, die, so meint man, einen vielfachen Druck auf den Menschen üben und mit ihren Satzungen und Vorurteilen das Leben verengen und entstellen. Es scheint ein großer Gewinn an Freiheit, wenn das aus dem Leben verschwindet. Zugleich ein Gewinn an Einheit, indem die verhängnisvolle Spaltung aufhört, die aus jener Überhebung des Subjekts hervorging. Im eigenen Aufbau aber verheißt dies Leben eine gewaltige Steigerung der Kraft, der anschaulichen Nähe, ja der Wahrhaftigkeit. Denn nur in Berührung mit dem Gegenstande draußen scheint das menschliche Vermögen sich vollauf zu entfalten, ja erst Leben in vollem Sinne zu werden. In endloser Weite und Fülle breitet sich dabei vor dem Menschen das Reich der Arbeit aus, und was in ihr das Erkennen erringt, das findet hier, wo sich der Tätigkeit deutliche Angriffspunkte bieten, ohne viel Mühe den Weg zum Handeln; wie aus der modernen Naturwissenschaft unmittelbar die moderne Technik entsprang, so scheint diese Denkweise überhaupt der gegebene Weg, die menschlichen Verhältnisse zu verbessern und den Gesamtstand menschlichen Wohlseins zu heben.

      Auch die einzelnen Gebiete bringt diese Lebensordnung in eine starke Bewegung nach eigentümlicher Richtung. Überall ein ausgeprägter Realismus, der von erträumten Höhen abruft, alle Ziele, der Kunst wie der Wissenschaft, der Erziehung wie der Moral, des politischen wie des sozialen Lebens, innerhalb der sinnlichen Erfahrung findet und ihren Gehalt damit eigentümlich gestaltet. Durchgängig gilt es, die sinnlichen und materiellen Faktoren als die Wurzeln aller Kraft voll zur Wirkung zu bringen, das Leben dadurch zu sättigen, es in frischen Fluß und sicheren Fortgang zu bringen. So inmitten alles Realismus ein Leben mit so viel Spannung, Leistung und Hoffnung, daß es auf die weltüberfliegenden Ausblicke früherer Zeiten ohne Schmerz scheint verzichten zu können. Ein neuer Tag scheint hier anzubrechen, dessen helles Licht alle frühere Zeit zu einer trüben Dämmerung herabsetzt.

      Dieser Lebensstrom hat viel zu viel Kräfte in Bewegung gesetzt, viel zu viel Leistungen hervorgebracht, ja den Gesamtstand des menschlichen Daseins viel zu sehr umgewandelt, als daß sich seine Macht verkennen und seine Bedeutung angreifen ließe. Was in Frage kommen kann, ist lediglich dieses, ob er das ganze Leben zu erfüllen und seinen Gesamtstand zu beherrschen vermöge. Denn dagegen erheben sie freilich schwere Bedenken, sie gehen von einem Punkte aus, der bei flüchtigem Anblick nebensächlich scheinen mag, der sich aber bei näherer Prüfung als so bedeutend herausstellt, daß jener ganze Lebensstrom mit all seiner Tatsächlichkeit dadurch an die zweite Stelle gedrängt wird und sich damit bescheiden muß, ein Stück eines weiteren Lebens zu bilden. Jener behandelt den Menschen als ein bloßes Stück der Natur und verlegt in sie sein ganzes Leben. Aber woher kennen wir die Natur, wie wissen wir überhaupt von ihr? Wir kennen sie nur als ein Erlebnis der menschlichen Seele, wir kennen sie nur in ihrer Wirkung auf die Seele, und nur von der Seele aus wird das Bild entworfen, mit dem sie uns vor Augen steht. Diesen Aufbau der Natur von der Seele her hat eben die neuere Philosophie mit besonderer Klarheit aufgewiesen, sie hat gezeigt, daß sowohl was in ihm an festen Elementen als an Zusammenhängen vorliegt, uns nicht von außen zugeführt, sondern von der Seele aufgebracht und von ihr in das auf uns eindringende Chaos zu seiner Bewältigung hineingelegt wird; die Seele ist es, welche die Natur erst im wissenschaftlichen Sinne entdeckt und aus der Flut der Eindrücke herausarbeitet; dabei ist völlig klar, daß das nicht von der sinnlichen Empfindung aus, sondern aus der Arbeit des Denkens geschieht; das kann verkennen nur, wer wissenschaftliche und naive Stellung des Menschen zur Umgebung in eins zusammenwirft. Mit der Anerkennung des Unterschiedes tritt vor die sinnliche Empfindung die Denkarbeit, also eine geistige Tätigkeit, und es zeigt sich zugleich, daß im Bilde der Natur die Eindrücke auf ein Gerüst von Gedankengrößen, von Begriffen aufgetragen und nur dadurch in ein Ganzes verwandelt worden sind. In Wahrheit ist die Welt des Forschers mit ihrer Umsetzung der Natur in Kräfte, Beziehungen, Gesetze etwas wesentlich anderes als das, was die Sinne uns übermitteln. Diese Überlegenheit des geistigen Wirkens bekundet aber eine Selbständigkeit des Seelenlebens gegen die Natur und läßt uns zugleich verstehen, daß es seelische Antriebe sind, welche über den Zwang der Selbsterhaltung hinaus der Befassung mit der Natur einen Wert verleihen. Der Anhänger des Naturalismus legt, wenn auch unwillkürlich, selbst dafür Zeugnis ab. Denn was ihn bewegt, ist nicht bloß der Trieb, seine Kraft in Bewegung zu setzen, sondern ein Streben nach Befreiung von irreleitendem Wahn, nach mehr Einheit und nach mehr Wahrhaftigkeit der Weltanschauung; sind aber solche Ziele von der bloßen Natur aus irgendwie zu begreifen, bekunden sie nicht ein aller Natur überlegenes Leben und Streben? Kurz, es hat der Naturalist, indem er die ganze Weite der Welt überdachte, leider etwas vergessen, was im Grunde das Allernächste ist, er hat sich selbst, die eigene Seele, vergessen. Aber die Seele ist nun einmal da und läßt sich nicht wegdisputieren; selbst wer sie leugnet, tut es aus einem Drange nach Wahrheit, damit aber aus einem Antriebe seelischer Art. Und die Seele ist nicht bloß da, sondern sie zeigt auch eine eigentümliche Art und stellt aus ihr Forderungen, denen die naturalistische Lebensordnung nicht zu entsprechen vermag. Das seelische Leben ist kein bloßes Nebeneinander, es umfaßt alle Mannigfaltigkeit und bezieht sie auf einen Mittelpunkt, es geht nicht in die Beziehungen nach außen hin auf, sondern es bildet sich einen eigenen Kreis und gewinnt damit ein Beisichselbstsein; es erschöpft sich nicht in bloße Tatsächlichkeit, sondern es entwickelt Maße und Ziele aus sich selbst heraus und prüft danach alles, was bei ihm vorgeht, kurz es ist ein wesentlich anderes Leben, was hier entsteht, als das der sinnlichen Natur. Auch ist dieses Leben nicht ohne ein gemeinsames Werk großen Stiles geblieben, welches das menschliche Dasein wesentlich umgewandelt hat, in nichts anderem liegt dies vor als in der Hervorbringung eines Kulturstandes, womit der Mensch sich über die Natur hinaushob und ihr gegenüber ein neues Reich mit eigentümlichen Größen und Gütern erzeugte. Das ergibt allerdings eine Zweiheit, aber sollen wir den Aufstieg bekämpfen und zugleich alle Kultur verwerfen, weil sie das Leben minder einfach macht? Sehr wohl kann bei dieser Bewegung der Mensch die Natur zu weit zurückgeschoben und sich in seiner Meinung zu sehr von ihr abgelöst haben, – die Bekämpfung dessen ist ein unbestreitbares Verdienst des Naturalismus – , aber wenn der Kulturmensch zur Natur zurückkehrt und ihr eine höhere Schätzung für das Ganze des Lebens verleiht, so wird er dadurch nicht im mindesten ein bloßes Stück der Natur, seine geistige Überlegenheit bleibt dabei unangetastet.

      Von solcher Überlegenheit aus muß ihm aber die naturalistische Lebensordnung als durchaus unzulänglich erscheinen. Denn folgerichtig durchgedacht muß sie alles Bestehen einer Innerlichkeit und allen Wert von inneren Gütern, muß sie zum Beispiel Größen wie Gesinnung, Pflicht, Ehre, Persönlichkeit, Charakter als völlige Einbildungen verwerfen, als

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