Der Kunstreiter, 1. Band. Gerstäcker Friedrich

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Der Kunstreiter, 1. Band - Gerstäcker Friedrich

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ebenso vielen Keller- oder Stubentüren, bald mit Stufen abwärts, bald aufwärts, führten. Endlich fand er aber die schmale, hölzerne Stiege, der er, ohne weiter jemandem zu begegnen, bis in die zweite Etage folgte. Die ihm von seinem Burschen bezeichnete erste Türe rechts trug eine daran geheftete Visitenkarte, und als er näher trat, las er die mit feiner, zierlicher Schrift gestochenen Worte: »George Bertrand.«

      »Georg,« flüsterte der Rittmeister leise vor sich hin, und zögernd, unschlüssig hob sich seine Hand nach dem Drücker. Sollte er anklopfen? – aber die Zeit verging, und im nächsten Augenblicke tönte ihm schon ein lautes »Herein!« aus dem Zimmer entgegen.

      Ohne sich länger zu besinnen, öffnete er die Türe und überraschte hier eine Dame, die sehr ungeniert und in tiefstem Negligé auf dem Sofa lag, auch nur langsam den Kopf nach dem Eintretenden umdrehte. Kaum aber erkannte sie, daß es ein Fremder sei, als sie auch blitzschnell aufsprang und wie ein Schatten durch die dicht daneben befindliche Türe huschte. Verlegen, hier so gestört zu haben, sah sich der Rittmeister im Zimmer um und entdeckte jetzt erst in der anderen Ecke, dicht am Fenster, noch eine andere Persönlichkeit, einen älteren Mann, der ihn mit eben nicht freundlichem Blick und etwas vorgebogenem Kopfe über eine Klemmbrille hinüber betrachtete.

      »Suchen Sie jemanden?« fragte er dabei mit heiserer Stimme.

      »Herrn Bertrand. Ist er zu Hause?«

      »Nein.«

      »Wann kann ich ihn treffen?«

      »Weiß ich nicht. Was wollen Sie?«

      »Ich möchte ihn sprechen.«

      »Müssen Sie morgen wiederkommen – heute hat er keine Zeit,« brummte der Alte, der, wie der Rittmeister jetzt erst sah, mit einer kurzen Pfeife im Munde, eine Hanswurstjacke auf den Knieen liegen hatte und beschäftigt schien, sie mit Nadel und Zwirn auszubessern.

      »Ich bitte den Herrn, ein klein wenig zu warten – ich komme den Augenblick,« rief da die Stimme der Dame aus dem Nebenzimmer, und der Alte, als ob damit die Sache für ihn erledigt sei, schob sich seine Brille zurecht und nahm seine Arbeit wieder auf. Der Fremde mochte sich indessen selber die Zeit vertreiben.

      Dem Rittmeister war es nicht wohl in dieser Umgebung und er überlegte schon, ob er nicht lieber Monsieur Bertrand zu sich bestellen solle. Er hatte gehofft, ihn allein zu finden, denn bei dem, was er mit ihm zu sprechen wünschte, brauchte und wollte er keinen Zeugen. Aber er mochte nicht unartig gegen die Dame sein; jedenfalls erhielt er von ihr auch bessere Auskunft, als der mürrische Alte, in dem er jetzt den Hanswurst von gestern abend zu erkennen glaubte, geben mochte. – Ganz recht – er hatte sich nicht getäuscht. An der linken Seite des eben nicht zu sorgfältig gewaschenen Gesichts ließ sich noch ein schmaler Streifen der weißen Farbe erkennen, mit der er gestern bemalt gewesen. Aber wie anders sah der sauertöpfische Gesell heute aus gegen gestern, wie er da, zusammengekauert, ein Bein über das andere geschlagen, mit hohlen, tief liegenden Augen und runzeligen Wangen, das stark mit Grau gemischte Haar wirr und ungekämmt um den Kopf hängend, vor ihm saß und seine Narrenjacke flickte! Doch in der ganzen Stube sah es ebenso wild und ungeordnet aus. Auf dem Sofa lagen eine Menge getragener Kleidungsstücke, die jedenfalls der Dame gehörten – Unterkleider und Trikots, ohne den Glanz, den ihnen die abendliche Beleuchtung verliehen; über einen Stuhl daneben war ein prachtvoller Waffenrock von kirschfarbenem Samt geworfen. Darunter stand ungeputztes Schuhwerk, und Schmuck und Tand, mit Schminknäpfchen, Pinseln, Farben und allen möglichen anderen Utensilien, das Publikum zu täuschen, deckten den Tisch und die benachbarte Kommode. Das Zimmer war auch noch nicht ausgekehrt, eine Decke mit einem schon mehrfach gebrauchten Kopfkissen nahm einen der Stühle ein – es sah fast aus, als ob jemand die Nacht auf dem Sofa gelegen hätte, und der Tabaksqualm aus der Pfeife des Alten hatte den Schlafdunst noch nicht bewältigen können.

      Dem Rittmeister benahm es bald den Atem, und draußen lag der helle Sonnenschein so warm auf den Fensterscheiben. Er hätte Gott weiß was darum gegeben, ein Fenster aufreißen zu dürfen. Da öffnete sich die Kammertüre wieder, durch welche die Dame vorhin geflüchtet war, und Madame Bertrand – nicht so bezaubernd wie sie gestern abend wohl dem Publikum erschienen, aber noch immer ein bildschönes Weib – trat auf die Schwelle.

      »Ich muß tausendmal um Entschuldigung bitten,« sagte sie, während ihr Blick im Zimmer umherschweifte und sie rasch die jedenfalls ihr gehörigen und zunächst liegenden Kleidungsstücke aufraffte und hinter sich in die Kammer warf – »Sie finden uns aber noch so in Unordnung…«

      »Madame,« unterbrach sie der Rittmeister höflich, »wenn jemand hier um Entschuldigung zu bitten hat, so bin ich es, der ich unangemeldet bei Ihnen eintrat und Sie unberufen störte.«

      Madame Bertrand hatte indessen zu ihm aufgesehen, und ein eigenes Lächeln belebte plötzlich ihre Züge.

      »Ich glaube, ich habe schon gestern das Vergnügen gehabt, Sie bei unserer Vorstellung zu sehen,« sagte sie, »aber wollen Sie nicht Platz nehmen? Guter Gott, es sieht wahrhaftig gerade heute zu unordentlich bei uns aus! Was müssen Sie nur von uns denken!« Sie räumte dabei rasch und ziemlich rücksichtslos, wohin sie die Sachen aus dem Wege brachte, das Sofa ab, und sich dann in die eine Ecke lehnend, zeigte sie mit einer leichten Handbewegung lächelnd auf die andere, sodaß Graf Geyerstein nicht umhin konnte, neben ihr Platz zu nehmen. Halb verlegen gehorchte er auch der Einladung, und es entging ihm dabei nicht, daß die schöne Frau dem Alten einen bezeichnenden Blick zuwarf. Dieser griff, demselben gehorchend, und wie es schien ziemlich mürrisch, seine Arbeit auf, sah rechts und links neben sich auf die Erde, ob er nicht etwas vergessen habe, und verließ dann ohne weiteren Gruß das Zimmer.

      »Ich bin Ihnen vor allen Dingen eine Erklärung schuldig, Madame,« nahm jetzt der Rittmeister das Wort, »daß ich gewagt habe…«

      »Ich bitte Sie um Gotteswillen, keine Entschuldigung,« unterbrach ihn lächelnd die Frau, »Sie sind da, und das genügt mir – was wollen Sie mehr? Es soll mich nur freuen, wenn ich Ihnen mit etwas dienen kann.«

      Graf Geyerstein geriet dieser Antwort, ja Ermunterung gegenüber in Verlegenheit und Madame Bertrand schaute ihn so freundlich dabei an, und sah in dem leichten, seidenen Oberkleide, das ihren vollen Körper nur locker umschloß, wirklich so reizend aus – er konnte nur eine dankende Verbeugung machen.

      »Sie sind Soldat, nicht wahr?« nahm da die Dame die Unterhaltung wieder auf, »Kavallerieoffizier?«

      »Allerdings.«

      »Ich dachte es mir – oder vielmehr, ich erinnere mich Ihrer Uniform,« setzte die Frau, leicht errötend, aber doch auch wieder halb schelmisch hinzu, »und Sie – interessieren sich für unsere schönen Pferde?«

      »Ich muß gestehen, daß ich entzückt davon bin,« erwiderte der Graf, der um jeden Preis diese Unterredung abzubrechen wünschte, »aber das ist es eigentlich nicht, was mich hierher geführt.«

      »Sie wollten auch die Reiter kennen lernen,« lächelte Madame Bertrand, »ein sehr natürlicher Wunsch, der aber leider nur gewöhnlich die Illusion zerstört, die bis dahin einen eigenen, fremdartigen Zauber um sich warf.«

      »Ich wünschte Monsieur Bertrand zu sprechen.«

      »Georg? – er ist leider nicht zu Hause. Heute, am Meßsonntage, geben wir zwei Vorstellungen und seine Anwesenheit im Zirkus ist deshalb unumgänglich nötig, um die erforderlichen Anordnungen dort zu treffen. Er wird vielleicht vor der Vorstellung nur noch auf einen Augenblick herüberkommen.« Graf Geyerstein schwieg und sah sinnend vor sich nieder. »Kann ich vielleicht irgend einen Auftrag ausrichten? Georg wird sich jedenfalls geehrt fühlen. – Aber, mein Gott! fehlt Ihnen etwas? – Sie sehen totenbleich aus.« Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und sah besorgt zu ihm auf.

      »Nicht

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