Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil. Theodor Fontane

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Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil - Theodor Fontane

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dem Jahre 1300 sein zu wollen, existierte bis 1796 im Staats-Archiv. In eben diesem Jahre wurde sie durch Friedrich Wilhelm II. nach Charlottenburg gefordert und von dort nicht wieder remittiert. Man muß annehmen, daß sie verloren gegangen ist. Die vier ältesten Abschriften, die jetzt noch in der Königlichen Bibliothek vorhanden sind, gehören, ihrer Schrift nach, dem Anfange des vorigen Jahrhunderts an. Jedenfalls also fehlt nicht nur das wirkliche Original, sondern auch alles, was sich, wohl oder übel, als Original ausgeben könnte! Hiermit fällt selbstverständlich die Möglichkeit fort, aus allerlei äußerlichen Anzeichen, wie Handschrift, Initialen, Pergament etc. irgend etwas für die Echtheit oder Unechtheit beweisen zu wollen, und wir haben die Beweise pro oder contra eben wo anders zu suchen. Solche Untersuchungen sind denn nun auch, gleich vom ersten Erscheinen der „Weissagung“ an, vielfach angestellt worden, und haben im Laufe von anderthalb hundert Jahren zu einer ganzen Literatur geführt. Katholischer- und seit einem Vierteljahrhundert auch demokratischerseits hat man ebenso beharrlich die Echtheit der Weissagung, wie protestantisch-preußischerseits die Unechtheit zu beweisen getrachtet. Nur wenige Ausnahmen von dieser Regel kommen vor. Die demokratischen Paraphrasen und Deutungen, die an die Weissagung anknüpfen, sind sämtlich tendenziöser Natur, bloße Pamphlete und haben keinen Anspruch, hier ernstlicher in Erwägung gezogen zu werden; sie rühren aus den Jahren 1848 und 1849 her und sind eigentlich nichts anderes als damals gern geglaubte Versicherungen, der Stern der Hohenzollern sei im Erlöschen. Was die katholischen Arbeiten angeht, die alle für die Echtheit eintreten, so sind sicherlich viele derselben bona fide geschrieben, dennoch haben sie samt und sonders wenig Wert für die Entscheidung der Frage, da sie, ohne mit der Grundempfindung, aus der sie hervorgingen, rechten zu wollen, doch schließlich aller eigentlichen Kritik entbehren.

      Unter den protestantischen Gelehrten, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, begegnen wir sehr bewährten, zum Teil sogar hervorragenden Namen: Oberbibliothekar Wilckens, Dr. C. L. Gieseler, Professor Giesebrecht, Schulrat Otto Schulz, vor allem Professor Guhrauer in Breslau, meist Historiker, die mit einem großen Aufwand von Studium, Gelehrsamkeit und Scharfsinn die Unechtheit darzutun getrachtet haben. Sie haben indessen, meinem Ermessen nach, den Fehler gemacht, daß sie zu viel und manches an der unrechten Stelle haben beweisen wollen. Anstatt einen entscheidenden Schlag zu tun, haben sie viele Schläge getan, und wie es immer in solchen Fällen geht, sind die Schläge nicht nur vielfach nebenbei, sondern gelegentlich auch zurück gefallen. Man schadet einem einzigen, aber ganzen Beweise jedesmal dadurch, daß man zur Anfügung vieler Halbbeweise schreitet, namentlich dann aber, wenn man bei der Anwendung unkünstlerisch verfährt und, statt aus dem Halben zum Ganzen fortzuschreiten, aus dem Ganzen zum Halben hin die Dinge zurückentwickelt.

      Ich sagte schon, die Angreifer hätten vielfach an unrechter Stelle angegriffen; ich muß hinzusetzen, nicht bloß an unrechter Stelle, sondern gelegentlich just an dem allerstärksten Punkte der feindlichen Position. Dieser stärkste Punkt der Lehniner Weissagung aber ist meinem Dafürhalten nach ihr Inhalt, ihr Geist, ihr Ton.

      Sehen wir, wogegen die protestantischen Kritiker sich richteten. Sie haben zunächst als verdachterweckende Punkte hervorgehoben, erstens, daß der Prophet, wenn er denn nun ’mal durchaus ein solcher sein solle, vielfach falsch prophezeit, zweitens aber, daß er in Vor-Hohenzollerischer Zeit bereits Anti-Hohenzollerisch gesprochen habe. Dies deute auf spätere Zeiten, wo es bereits Sympathien und Antipathien in betreff der Hohenzollern gegeben. Auf beide Einwände ist die Antwort leicht.

      Was die Irrtümer des Propheten Hermann angeht, so hat es sich ja niemals darum gehandelt, endgültig festzustellen, ob Mönch Hermann richtig prophezeit habe oder falsch, es hat sich bei dieser Kontroverse immer nur darum gehandelt, ob er überhaupt geweissagt habe. Wenn nun aber einerseits die Prophetie keine Garantie übernimmt, daß alles Prophezeite zutreffen muß, so übernimmt sie noch viel weniger – und hiermit fassen wir den zweiten Punkt ins Auge – die Verpflichtung, kommenden Herrscher-Geschlechtern, gleichsam in antizipierter Loyalität angenehme Dinge zu sagen. Der Prophet sagt die Dinge so, wie er sie sieht, und kümmert sich nicht darum, wie kommende Zeiten sich zu den Menschen und Taten stellen werden, die er, lediglich kraft seiner Kraft, vorweg hat in die Erscheinung treten sehen. Nehmen wir einen Augenblick an, die Prophezeiung sei echt, so liegt doch für einen gläubigen Zisterzienser-Mönch, der plötzlich, inmitten seiner Visionen, die Gestalt Joachims II. vor sich hintreten sieht, nicht der geringste Grund vor, warum er nicht gegen den Schädiger seiner Kirche und seines Klosters vorweg die heftigsten Invektiven schleudern sollte. Er weiß nicht, daß er Joachim heißen, er weiß auch nicht, daß er einem bestimmten Geschlecht, das den Namen der Hohenzollern führt, zugehören wird, er sieht ihn nur, ihn und die Tat, die er vorhat – das genügt, ihn zu verwerfen. Dies sagen wir nicht, wie schon angedeutet, zur Rechtfertigung dieser speziellen Prophezeiung oder als Beweis für ihre Echtheit, sondern nur zur Charakterisierung aller Prophetie überhaupt.

      Wenn nun weder die Irrtümer, die mit drunter laufen, noch der antihohenzollerische Geist, der aus dieser sogenannten Weissagung spricht, etwas Erhebliches gegen die Echtheit beibringen können, so ist doch ein dritter Punkt allerdings ernster in Erwägung zu ziehen. Alle protestantischen Angreifer der Weissagung (mit Ausnahme W. Meinholds) sind dahin übereingekommen, daß die sogenannte Lehninsche Weissagung in ersichtlich zwei Teile zerfalle, in eine größere Hälfte, in der es der, nach Annahme der Gegner um 1690 lebende Verfasser leicht gehabt habe, über die rückliegenden Ereignisse von 1290 bis 1690 zutreffend zu prophezeien, und in eine kleinere Hälfte von 1690 an, in der denn auch den vorgeblichen Mönch Hermann seine Prophetengabe durchaus im Stich gelassen habe. Hätten die Angreifer hierin unbedingt Recht, so wäre der Streit dadurch gewissermaßen entschieden. Indessen existiert meiner Meinung nach eine solche Scheidelinie nicht. Es zieht sich vielmehr umgekehrt ein vieldeutig-orakelhafter Ton durch das Ganze hindurch, eine Sprache, die überall der mannigfachsten Auslegungen fähig ist und in der zweiten Hälfte, in rätselvoll anklingenden Worten, ebenso das Richtige trifft wie in der ersten Hälfte. Es ist kein essentieller Unterschied zwischen Anfang und Ende: beide Teile treffen es, und beide Teile treffen es nicht; beide Teile ergehen sich in Irrtümern und Dunkelheiten, und beide Teile blenden durch Lichtblitze, die, hier wie dort, gelegentlich einen völlig visionären Charakter haben.

      Beschäftigen wir uns, unter Heranziehung einiger Beispiele, zuerst mit der ersten Hälfte. Wir bemerken hier eine Verquickung jener drei Hauptelemente, die nirgends in dieser sogenannten Weissagung fehlen: Falsches, Dunkles, Zutreffendes. Frappant zutreffend vom katholischen Standpunkt aus sind die acht Zeilen in der Mitte des Gedichts, die sich auf Joachim I. und II. beziehen. Sie lauten:

      Seine (Johann Ciceros) Söhne werden beglückt durch gleichmäßiges Los;

      Allein dann wird ein Weib dem Vaterlande trauriges Verderben bringen,

      Ein Weib, angesteckt vom Gift einer neuen Schlange,

      Dieses Gift wird auch währen bis in’s elfte Glied,

      Und dann

      Und nun kommt der, welcher Dich, Lehnin, nur allzu sehr haßt,

      Wie ein Messer Dich zertheilt, ein Gottesleugner, ein Ehebrecher,

      Er macht wüste die Kirche, verschleudert die Kirchengüter.

      Geh, mein Volk: Du hast keinen Beschützer mehr,

      Bis die Stunde kommen wird, wo die Wiederherstellung (restitutio) kommt.

      Die Vorgänge in der Mark in dem zweiten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts, der Übertritt Elisabeths zur neuen Lehre und die Aufhebung der Klöster durch Joachim II., der die Axt an den Stamm legte, konnte, wir wiederholen es, vom katholischen Standpunkt aus, nicht zutreffender und in nicht besserem Prophetenton geschildert werden. Aber zugegeben, daß – wie die Angreifer erwidern – der Verfasser im Jahre 1690 gut prophezeien hatte in betreff von Vorgängen, die hundertundfünfzig Jahre zurücklagen, warum, so fragen wir, prophezeite er teils falsch, teils dunkel in betreff so vieler anderer Vorgänge, die, wenn 1690 die

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