Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil. Theodor Fontane

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Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil - Theodor Fontane

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auf die Epoche während des dreißigjährigen Krieges beziehen. Es sind die folgenden:

      Nach dem Vater ist der Sohn Herr des Markgrafentums.

      Er läßt nicht viele leben nach ihrem Sinne, ohne sie zu strafen.

      Indem er zu stark vertraut, frißt der Wolf das arme Vieh,

      Und es folgt in Kurzem der Diener dem Herrn im Tode.

      Die vierte Zeile ist auf den Tod Adam Schwarzenbergs gedeutet worden, wogegen sich nichts sagen läßt. Der Inhalt dieser Zeile träfe also zu. Aber die zweite und dritte geben, wenn man das auch hier vorhandene Dunkel durchdringt, eine Charakteristik der Zeit sowohl wie des Mannes, wie sie nicht leicht falscher gedacht werden kann. Wenn es umgekehrt hieße: „Er ließ alle leben nach ihrem Sinne, ohne sie zu strafen,“ und „er vertraute (da er bekanntlich immer schwankte) nicht stark genug“ – so würden diese Sätze um vieles richtiger sein als die, die jetzt dastehen. Wo bleibt da das bequeme Prophezeien nach rückwärts?9

      Vergleichen wir nun damit die Prophezeiungen der zweiten Hälfte, der Epoche nach 1690, wo also der Dichter, selbst wenn er um 1690 schrieb, jedenfalls gezwungen war, in die Zukunft zu blicken.

      Über Friedrich den Großen10 heißt es, wie nicht geleugnet werden soll, mehr dunkel und anklingend, als scharf zutreffend:

      In Kurzem toset ein Jüngling daher, während die große Gebärerin seufzt;

      Aber wer wird vermögen, den zerrütteten Staat wieder herzustellen?

      Er wird das Banner erfassen, allein grausame Geschicke zu beklagen haben

      Er will beim Wehen der Südwinde sein Leben den Festungen vertraun.

      oder (nach anderer Übersetzung):

      Weht es von Süden herauf, will Leben er borgen den Klöstern

      Dann (Friedrich Wilhelm II.):

      Welcher ihm folgt, ahmt nach die bösen Sitten der Väter,

      Hat nicht Kraft im Gemüth, noch eine Gottheit im Volke.

      Wessen Hülf’ er begehrt, der wird entgegen ihm stehen,

      Und er im Wasser sterben, das Oberste kehrend zu unterst.

      Dann (Friedrich Wilhelm III.):

      Der Sohn wird blühen; was er nicht gehofft, wird er besitzen.

      Allein das Volk wird in diesen Zeiten traurig weinen;

      Denn es scheinen Geschicke zu kommen sonderbarer Art,

      Und der Fürst ahnet nicht, daß eine neue Macht im Wachsen ist.

      Niemand, der vorurteilslos an diese Dinge herantritt, wird in Abrede stellen können, daß ganz speziell in den letzten acht Zeilen Wendungen anzutreffen sind, die von einer frappierenden Zutreffendheit sind, so zutreffend, daß in der ganzen Weissagung nur eine einzige Stelle ist: jene acht Zeilen, die sich auf Joachim I. und II. beziehen, die an Charakterisierung von Zeit und Personen damit verglichen werden können. Wenn auch hier ausweichend geantwortet ist, es handle sich in allen dreien um bloße Allgemeinheiten, so ist das teils nicht richtig, teils bezeichnet es den Charakter der ganzen Dichtung überhaupt, gleichviel, ob dieselbe Nahes oder Zurückliegendes in Worte faßt.

      Es ist nach dem allen nicht zu verwundern, daß der Streit über die Echtheit nach wie vor schwebt, und daß die Weissagung, selbst unter den Protestanten, die verschiedensten Urteile erfahren hat. Küster nennt das Vaticinium einfach ein „Spiel des Witzes“ (lusus ingenii); Guhrauer bezeichnet es als eine lakonisch-orakelmäßige Darstellung, die, mit Rücksicht auf die einmal befolgte Tendenz, nicht ohne Geschick angelegt und durchgeführt worden sei. Schulrat Otto Schulz geht in seinem Unmut schon weiter und in der festen Überzeugung, „daß der gesunde Sinn des preußischen Volkes diese Weissagung als die Ausgeburt eines hämischen Fanatikers zu würdigen wissen werde.“ Professor Trahndorff denkt noch schlimmer darüber, indem er sie geradezu für Teufelswerk ausgibt; hält sie aber andererseits für eine wirkliche, wenn auch diabolische Prophezeiung. „Diese hundert Verse,“ so sagt er, „sind als eine echte Prophezeiung anzusehen, aber zugleich wegen des darin waltenden unevangelischen Geistes als das Werk des Lügengeistes zu verwerfen.“ Von Trahndorff zu Meinhold, dem Verfasser der Bernsteinhexe, ist nur noch ein Schritt. Wenn jener die wirkliche Prophezeiung zugegeben hat, so fragt es sich nur noch, ob nicht der Lügengeist, den der eine darin findet, durch den andern ohne viele Mühe in einen Geist der Wahrheit verkehrt werden kann. Meinhold vollzieht denn auch diese Umwandlung und versichert, „daß er beim Lesen dieser Lehninschen Weissagung die Schauer der Ewigkeit gefühlt habe“.

      So weichen selbst protestantische Beurteiler im einzelnen und gelegentlich auch im ganzen von einander ab.

      Es wird also schwerlich jemals glücken, aus dem Geist und Inhalt der Prophezeiung, wie so vielfach versucht worden ist, ihre Unechtheit zu beweisen. Diese Dinge appellieren an das Gefühl, und bei dem poetischen Geschick, das aus dem Vaticinium unverkennbar spricht, empfängt dieser Appell keine ungünstige Antwort. Es ist nicht zu leugnen, daß, wenn man Geist und Ton der Dichtung durchaus betonen will, beide mehr für die Echtheit als gegen dieselbe sprechen. Beispielsweise die Schlußzeilen:

      Endlich führet das Scepter, der der Letzte seines Stammes sein wird,

      Israel wagt eine unnennbare, nur durch den Tod zu sühnende That,

      Und der Hirt empfängt die Heerde, Deutschland einen König wieder.

      Die Mark vergißt gänzlich aller ihrer Leiden

      Und wagt die Ihrigen allein zu hegen, und kein Fremdling darf mehr frohlocken,

      Und die alten Mauern von Lehnin und Chorin werden wieder erstehn,

      Und die Geistlichkeit steht wieder da nach alter Weise in Ehren,

      Und kein Wolf steht mehr dem edlen Schafstalle nach.

      Selbst diese matte Übersetzung der volltönenden Verse des Originals hat noch etwas von prophetischem Klang.

      Die Frage wird nicht aus dem Inhalt, sondern umgekehrt einzig und allein aus der Form und aus äußerlich Einzelnem heraus entschieden werden.

      Guhrauer hat zuerst darauf aufmerksam gemacht, daß sich in der Weissagung (Zeile 63) das Wort „Jehova“ vorfinde, und hat daran die Bemerkung geknüpft, daß dieser Ausdruck „Jehova“ an Stelle des bis dahin üblichen „Adonai“ überhaupt erst zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts gebräuchlich geworden sei. Bis dahin habe man den Ausdruck oder die Lesart „Jehova“ gar nicht gekannt. Ist diese Bemerkung richtig, so ist sie mehr wert als alle andern Halb-Beweise zusammengenommen. Gleichviel indes, ob richtig oder nicht, der Weg, der in dieser Guhrauerschen Bemerkung vorgezeichnet liegt, ist der einzige, der zum Ziele führen kann. Nur Sprachforscher, Philologen, die, ausgerüstet mit einer gründlichen Kenntnis aller Nüancen mittelalterlichen Lateins, nachzuweisen imstande sind: „dies Wort, diese Wendung waren im dreizehnten Jahrhundert unmöglich,“ nur sie allein werden den Streit endgültig entscheiden.

      Das Resultat einer solchen Untersuchung, wenn sie stattfände, würde lauten: „unecht“. Darüber unterhalte ich, so wenig ich mich mit den bisherigen Verwerfungsbeweisen habe befreunden können, nicht den geringsten Zweifel. Aber auch der gegenteilige Beweis würde das alte Interesse an dieser Streitfrage nicht wiederbeleben können. Denn die Ereignisse haben mittlerweile die Prophezeiung überholt. Seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. ist sie falsch geworden, gleichviel ob sie echt ist oder nicht. Diesen Unterschied zwischen „unecht“ und „falsch“ ziemt es sich

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<p>9</p>

Aus der Epoche von vor 1690 sind auch (aus einem andern Grunde noch, als aus dem eben bei George Wilhelm angeführten) die vier Zeilen merkwürdig, die sich auf Kurfürst Friedrich I., den ersten Hohenzoller, beziehen. Sie lauten:

Wahrheit sprech ich: Dein Stamm, der zu langem Alter bestimmt ist,Wird einst mit schwacher Gewalt die heimischen Gauen beherrschen,Bis zu Boden gestreckt, die einst in Ehre gewandelt,Städte verwüstet und frech beschränkt die Herrschaft der Fürsten.

In diesen vier Zeilen, wenn wir eine Post-fact-Prophezeiung annehmen wollen (was wir, schon hier sei es gesagt, wirklich tun), erschwert sich der Dichter seine Aufgabe freiwillig, und anstatt im Prophetenton Dinge über die Regierungszeit Friedrichs I. zu sagen, die er 1690 allerdings wissen konnte, ohne ein Prophet zu sein, verschmäht er diese bequeme Aushilfe völlig und knüpft vielmehr Betrachtungen an die Erscheinung des ersten Hohenzollern, die, selbst von 1690 ab gerechnet, noch in der Zukunft lagen. Er machte es sich also nicht leicht, hatte vielmehr immer das Ganze im Auge und prophezeite auch da noch wirklich und aus eigenstem Antrieb (man könnte sagen: „seine Mittel erlaubten es ihm“), wo das Prophezeien post fact einem Stümper in der Prophetie das bequemere und sichere Auskunftsmittel gewesen sein würde.

<p>10</p>

Die Prophezeiung geht von König Friedrich I. gleich auf Friedrich II. über und überspringt also Friedrich Wilhelm I. Man hat daraus einen Beweis für die Unechtheit herleiten wollen, aber ganz mit Unrecht. Der Prophet (so nehmen wir zunächst an) blickte in die Zukunft, er sah wechselnde Gestalten, und den Soldatenkönig sah er nicht. Das geistige Auge, – dies müssen wir festhalten, – kann Gegenstände ebenso gut übersehen wie das leibliche. Ja, es läßt sich aus dem Fehlen König Friedrich Wilhelms I. viel eher, wenigstens mittelbar, ein Beweis für den wirklich prophetischen Gehalt der Weissagung herleiten. Versucht man nämlich, wie einige getan haben, das, was sich auf Friedrich den Großen bezieht, auf Friedrich Wilhelm I. zu deuten, so entsteht ein völliger Nonsens, und werden dadurch alle diejenigen schlagend widerlegt, die beweisen möchten, daß diese Sätze überhaupt dunkle Allgemeinheiten seien, die schließlich, bei einiger Interpretationskunst, auf jeden paßten. Man kann aber leicht die Probe machen, daß dies durchaus nicht zutrifft, und daß bestimmte Verse auch nur auf bestimmte Personen passen.