Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil. Theodor Fontane
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Das deutsche Dorf, in dem vielleicht ein Fritze, ein Hansen, ein Dietrichs wohnte, war froh, einen Kroll, einen Noack, einen Posedin, die wüst gewordenen Stätten einnehmen zu sehen, und ebenso die wendischen Dörfer empfingen den deutschen Zuzug mit Freude. Die Namensverzeichnisse im Landbuch von 1375, wie die Urkunden überhaupt, lassen keinen Zweifel darüber.
Alle diese Anführungen haben selbstverständlich nur die Regel, nur die Verhältnisse in ihren großen Zügen schildern sollen, ganz besonders aber die der Mittelmark. Die Mittelmark, im Gegensatz zu den mehr Oder- und Elb-wärts gelegenen Landesteilen, war der eigentliche Mischungsbottich. Die Verhältnisse forderten dazu auf. Auf dem platten Lande war es die Not, in den Städten war es die Gelegenheit, die die Menschen ohne sonderliche Rücksicht auf ihre Abstammung zusammenführte. Die alten Bürgerfamilien freilich beharrten in ihrer Abgeschlossenheit und betrachteten den Wenden-Kietz um kein Haar breit besser als ein jüdisches Ghetto, aber dem „Zuzug“ gegenüber kamen die alten, alles nach Zunft und Rasse sondernden städtischen Traditionen wenig oder gar nicht in Betracht, und die „kleinen Leute“ taten sich zusammen, unbekümmert um die Frage: wendisch oder deutsch. So lagen die Dinge in der Mittelmark, d. h. also in Teltow und Barnim, im Ruppinschen, in Beeskow-Storkow, in der Westhälfte von Lebus, überhaupt in allen Landesteilen, in denen sich Deutschtum und Wendentum einigermaßen die Wage hielten. Anders freilich war es in West und Ost. Je mehr nach der Elbe zu, je exklusiver hielt sich das Deutschtum, weil es ihm leicht gemacht war, sich aus seinen Stammesgenossen jenseits der Elbe zu rekrutieren; umgekehrt, je näher der Oder und den eigentlichen slavischen Landen zu, je länger blieb das Wendentum in Kraft. Jetzt indessen, wenige Stätten abgerechnet, ist es im Leben unseres Volkes verschwunden. Es lebt noch fort in der Mehrzahl unserer Städte- und Dorfnamen, in dunklen Erinnerungen, daß in einzelnen, den Namen eines Wendengottes bis heute festhaltenden Lokalitäten (in Jüterbog, in Gütergotz) ein Tempel stand, vor allem in den Heidengräbern und Wendenkirchhöfen, die sich allerorten in der Mark verbreitet finden.
Aber es ist charakteristisch, daß eben das Einzige, was aus der alten Wendenwelt noch zu uns spricht, ein Begrabenes ist. Alles geistig Lebendige ist hinüber. Selbst der Aberglauben und die in ihm wurzelnden Gebräuche, Sitten und Volksweisen, die wohl dann und wann für wendische Überreste gehalten worden sind, lassen sich vielfach auf etwas Urgermanisches zurückführen, das, auch vor den Wenden schon, hier heimisch war. Mit Sicherheit lebt noch Alt-Deutsches in den Gemütern, und das Volk erzählt von Wodan und Fricke (Freia) und von dem Hackelberger Jäger. Aber Radegast und Czernebog sind tot. Das Wendische ist weggewischt, untergegangen in dem Stärkern, in dem germanischen Leben und Gemüt, und nur am Ende der Oder hin, den polnisch-slavischen Landen zu, zeigt sich je zuweilen, neben dem slavisch Heiteren, auch noch jener auf Hartnäckigkeit und Verschlossenheit deutende finstere Zug, der an die alte Zeit und ihre Bewohner mahnt.
Die Zisterzienser in der Mark
Der Morgen graut und lacht der Nacht entgegen;
Im Osten leuchtet schon des Lichtes Segen;
Die Finsternis entflieht.
Die beiden Ereignisse, die über das Wendentum an Havel und Spree entschieden, waren die Erstürmung Brennabors am 11. Juni 1157 und unmittelbar darauf, wenn der halb sagenhaften Überlieferung Glauben zu schenken ist, die „Havelschlacht gegenüber dem Schildhorn“, in der Jaczo, der Neffe Pribislaws, und seine noch einmal zusammengeraffte Wendenmacht, entscheidend geschlagen wurde.
Schon zweihundert Jahre früher, unter den ersten Sachsenkaisern, waren die Deutschen bis ebenfalls an die östliche Havel vorgedrungen, und schon damals waren, in ihren ersten Anfängen wenigstens, der Havelberger und Brandenburger Dom gegründet worden, aber Leichtsinn, Unklugheit, Grausamkeit vonseiten der Sieger hatten zunächst zu Auflehnungen der Besiegten und endlich zu völliger Abschüttelung des Jochs geführt. Das alte Wendentum war auf einhundert und fünfzig Jahre hin wieder glänzend aufgeblüht. Jetzt, nach der Niederwerfung Jaczos war es zum zweitenmal unterlegen, und es galt nunmehr, die Mittel und Wege ausfindig zu machen, um einer abermaligen Auflehnung vorzubeugen. Albrecht der Bär, von dem es im Volksliede heißt:
Heinrich de Leuw und Albrecht de Bar,
Dartho Frederik mit den roden Haar,
Dat waren dree Herren,
De kunden de Welt verkehren —
dieser Albrecht der Bär war just dazu angetan, diese Mittel ausfindig zu machen und das früher durch Unklugheit Gescheiterte durch Mut und Ausdauer endgültig siegreich hinauszuführen. Es ist bekannt, daß er, nach Plan und System, die Kolonisierung des Landes begann; zu den Kirchen und Burgen aber, die schon einmal die Belehrung und Beherrschung des Landes versucht hatten, gesellte er, als ein neues, drittes, die Vereinigung von Burg und Kirche – die Klöster. Mönche wurden ins Land gerufen, vor allem die Zisterzienser, ein Orden, der eben damals auf seinem europäischen Siegeszuge bis an die Saale und Unstrut vorgedrungen war.
Da diesem überall hin pionierenden Orden die Aufgabe zufiel, auch namentlich für die Kultur und geistige Eroberung der Mark von hervorragender Bedeutung zu werden, so mag es gestattet sein, bei seiner Entstehungs- und Entwickelungsgeschichte einen Augenblick zu verweilen und das Fortschreiten desselben auf seinen großen Etappen von West nach Ost zu begleiten.
Die ersten Klöster, die zumal in Süd- und West-Europa ins Leben gerufen wurden, waren Benediktiner-Klöster, d. h. Klöster, in denen die Regeln des heiligen Benedikt: Gehorsam, Armut, Keuschheit, die Fundamentalsätze alles Klosterlebens, Geltung hatten. Die Benediktiner übten diese Tugenden jahrhundertelang, aber jene Epoche, die den Kreuzzügen unmittelbar vorausging, war eine Epoche des kirchlichen, mindestens des klösterlichen Verfalls, ganz in ähnlicher Weise, wie derselbe fünf Jahrhunderte später zum zweitenmal in die Geschichte eintrat, und „sittliche Reform“, worauf zunächst die Reformation gerichtet war, war eine Parole, die, wie vielfach während des Lebens der Kirche, so auch um die Zeit der ersten Kreuzzüge gehört wurde.
Dies Ringen nach Reform, nach Wiederherstellung jener Kloster-Heiligung, wie sie die ersten Klöster gekannt hatten, gab Veranlassung zur Gründung eines neuen Ordens. Dieser neue Orden war der der Zisterzienser. Sein nächster Zweck war nicht Abzweigung vom Benediktinertum, aus dem er hervorging, sondern Wiederherstellung desselben in seiner Ursprünglichkeit und Lauterkeit. Aber es scheint das Los solcher und ähnlicher Bestrebungen – vielleicht nach jenem Naturgesetz, welches die volle Wiederherstellung von etwas Verschwundenem unmöglich macht – jedesmal zu einer Neuschöpfung zu führen. Zu einer Neuschöpfung, die anfänglich, in aufrichtiger Demut, sich selbst nicht als eine Neuschöpfung betrachtet sehen will und doch, sich selbst zum Trotz, mit jedem Tage mehr eine solche wird.
So gingen, gegen den Willen des Gründers, die Zisterzienser aus den Benediktinern hervor.
Verfolgen wir, nach diesen allgemeinen