Die Welt auf Schienen. Fürst Artur

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Die Welt auf Schienen - Fürst Artur

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begann die erste Fahrt in den mit Fahnen geschmückten Wagen; ein Kanonenschuß verkündete den Abgang des ersten Zuges. Alle neun Wagen waren angefüllt und mochten etwa 200 Personen fassen.

      „Der Wagenlenker ließ die Kraft des Dampfes nach und nach in Wirksamkeit treten. Aus dem Schlot fuhren nun die Dampfwolken in gewaltigen Stößen, die sich mit dem schnaubenden Ausatmen eines riesenhaften antediluvianischen Stieres vergleichen lassen. Die Wagen waren dicht aneinandergekettet und fingen an, sich langsam zu bewegen; bald aber wiederholten sich die Ausatmungen des Schlotes immer schneller, und die Wagen rollten dahin, daß sie in wenigen Augenblicken den Augen der Nachschauenden entschwunden waren. Auch die Dampfwolke, welche lange noch den Weg, den jene genommen, bezeichnete, sank immer tiefer, bis sie auf dem Boden zu ruhen schien; die erste Festfahrt war in neun Minuten vollendet, und somit eine Strecke von 20 000 Fuß (6 Kilometer) zurückgelegt.

      „Die Fahrt wurde an diesem Tage noch zweimal wiederholt. Das zweitemal bin auch ich mitgefahren, und ich kann versichern, daß die Bewegung durchaus angenehm, ja wohltuend ist. Wer zum Schwindel geneigt ist, muß es freilich vermeiden, die vorüberfliegenden, nähergelegenen Gegenstände ins Auge zu fassen.

      „Es war eine unvergeßliche Menschenmenge vorhanden, und sie jauchzte und jubelte zum Teil den Vorüberfahrenden zu; in der Tat, es gewährt der Anblick des vorüberdrängenden Wagenzuges fast ein größeres Vergnügen, als das Selbstfahren. Wenigstens drängt sich uns das Gefühl der gewaltigen, wundersam wirkenden Kraft bei jenem Anblick weit mehr auf; es imponiert, wenn man den Wagenzug mit seinen 200 Personen wie von selbst, wenn auch nicht pfeilgeschwind, doch gegen alle bisherige Erfahrung schnell, unaufhaltsam heran-, vorüber- und in die Ferne dringen sieht.

      „Das Schnauben und Qualmen des ausgestoßenen Dampfes, der sich sogleich als Wolke in die Höhe zieht, verfehlt auch seine Wirkung nicht. Pferde auf der nahen Chaussee sind daher beim Herannahen des Ungetüms scheu geworden, Kinder haben zu weinen angefangen, und manche Menschen, die nicht alle zu den ungebildeten gerechnet werden dürfen, haben ein leises Beben nicht unterdrücken können. Ja, es möchte wohl keiner, der nicht völlig phantasielos ist, ganz ruhigen Gemütes und ohne Staunen beim ersten Anblick des wunderwürdigen Phänomens geblieben sein.“

      7. Ein Märtyrer

      Nun war der Augenblick gekommen, da der deutsche Eisenbahnfrühling in die fruchtbringende Zeit übergehen konnte. Doch der freundlichere Sonnenglanz, der fortab auf die schienenreifen Gefilde unseres Landes herniederstrahlte, ward verdüstert durch den Schatten eines Menschenschicksals, dessen Träger zu leuchtenden Taten berufen war, aber im Dunkeln enden sollte.

      Deutschland hatte das Glück, daß der erste Denker auf der Erde, welcher ein wahres und tiefes Verständnis für die umfassende Wirkung und weitestgreifende Bedeutung der Eisenbahn hatte, auf seinem Boden geboren wurde und wirkte. Während in allen anderen Ländern, selbst in England, immer noch planlos Linien von nur örtlicher Bedeutung ins Leben gerufen wurden, hat jener Mann als erster ein Eisenbahnnetz als Ganzes deutlich vor seinem geistigen Auge gesehen.

      Die Alten, wenn sie zum Himmel blickten, dachten, daß jeder der Sterne ohne Zusammenwirken mit den andern und ohne von ihnen beeinflußt zu werden, seine Kreise am Himmel zöge. Aber es traten Männer wie Kopernikus auf, die lehrten, daß da droben jede der Sternenbahnen mit den anderen eng verwoben sei, daß die „Harmonie der Sphären“ nur deshalb bestehe, weil eins mit dem anderen wirke und lebe. Auch die Eisenbahn hat ihren Kopernikus gehabt, und er ist gleichfalls ein Deutscher gewesen.

      Die tief eindringenden Gedanken dieses Manns machten nicht bei der Erkenntnis halt, daß es für das Wohl der Eisenbahn selbst notwendig sei, von vornherein nicht einzelne Strecken, sondern sogleich große, zusammenhängende Netze zu entwerfen. Denn seinem für das Vaterland glühenden Herzen war selbst das Riesengebilde der vielen eisernen Verkehrswege, die er vor Augen hatte, nichts anderes als ein Werkzeug zur Erhöhung Deutschlands. Er sah in ihnen das beste Mittel, die Entwicklung seines Vaterlands zu fördern, es durch immer engere Verkettung der einzelnen politischen Mittelpunkte aus seiner jammervollen Zerrissenheit emporzuheben zu größerer Einheit. Er glaubte fest an das geeinte große Deutsche Reich, das er selbst niemals sehen sollte, er opferte sein Dasein diesem größten Ziel, dem er am ehesten durch Förderung des Eisenbahngedankens im größten Maßstab sich nähern zu können glaubte.

      Den Schöpfer der ersten deutschen Eisenbahnlinie von wirklicher verkehrspolitischer Bedeutung, den Gründer des Handelsvereins, aus dem dann der große deutsche Zollverein hervorging, Friedrich List, nennen wir heute einen Vorläufer Bismarcks. Die Zeitgenossen aber hatten für diesen großen Sohn deutscher Erde nichts übrig als Kränkungen und Verachtung. Man verfolgte ihn ob seines vorwärtsdrängenden Wirkens, man trieb ihn aus dem Vaterland und endlich in die Verzweiflung.

      Lists Wirken für die Eisenbahn blieb nicht so ohne tatsächliche Erfolge wie das Streben Friedrich Harkorts. Er hat wirklich die rasch dahinrollende Lokomotive vor die Masse der schwer zu bewegenden Geister gespannt. Aber während der stämmige Westfale trotz der Ergebnislosigkeit seiner Kämpfe ein ruhiges Alter erreichte, mußte List an der Flamme seines Geistes, die draußen nicht genug Nahrung fand, endlich selbst verbrennen. Er sah die erste von ihm geschaffene Eisenbahnlinie, die Strecke Leipzig-Dresden, aufblühen und gedeihen, er erblickte die segensreichen Folgen, welche an dieses Werk sich schlossen, indem Deutschland sich mehr und mehr mit Schienenwegen überzog, aber man hatte ihn selbst von dem Arbeitsplatz fortgestoßen, auf dem er den ersten Hammerschlag für das große Werk getan, und so mußte sein heißes Herz im Alpenschnee verbluten.

      Treffend hat Treitschke das Auftreten und Wirken Lists mit folgenden Worten umrissen:

      „Alle die wohlgemeinten Entwürfe früherer Eisenbahnlinien waren doch nur auf das Wohl einzelner Städte oder Ländereien berechnet, und fast schien es, als sollten die Deutschen durch den Fluch ihres Partikularismus verhindert werden, die große Erfindung mit großem Sinne zu benutzen. Da trat Friedrich List hervor mit dem Plan eines zusammenhängenden, ganz Deutschland umfassenden Eisenbahnnetzes und zeigte durch die Tat, durch die glückliche Vollendung einer großen Bahnlinie, daß sein, dem Durchschnittsmenschen fast unfaßbares Ideal sich verwirklichen ließ.

      „Als der Bahnbrecher des deutschen Eisenbahnwesens erwarb er sich sein größtes Verdienst um die Nation, seine Stellung in der vaterländischen Geschichte. Als er vor Jahren für die deutsche Zolleinheit gearbeitet, hatte er doch nur mutig ausgesprochen, was die Mehrzahl der Zeitgenossen schon ersehnte und in der Wahl der Mittel vielfach fehlgegriffen. Jetzt aber mit seinen Eisenbahnplänen eilte er allen Landsleuten weit vor und bewährte überall die geniale Sicherheit seines Seherblickes. Wenig gelehrt, aber reich gebildet und im Leben erfahren, überragte er alle damaligen volkswirtschaftlichen Publizisten.“

      Friedrich List wurde im Jahre 1789 in Reutlingen als der Sohn eines Weißgerbers geboren. Von Beginn an ging er einen unregelmäßigen Weg.

      „Seine Bildung wird ihm,“ so sagt der erste Schilderer seines Lebens, Ludwig Häußer, „nicht auf dem gewohnten Wege zugeführt; seine Erfahrung muß er sich im bittersten Kampfe mit äußeren Verhältnissen erringen, und seiner Lebenstätigkeit überall unter entmutigenden Hindernissen und Opfern neue Bahnen zu brechen suchen. Das Autodidaktische in der geistigen Erziehung des Mannes, das Energievolle und Selbständige in seinem Charakter, das Kampffertige und Rührige in seinem öffentlichen Tun wird von früher Zeit vorbereitet – denn es ist ein bitteres, vielbewegtes Leben, das ihn von Anfang an in die harte Zucht nimmt und seinen Geist und Charakter zu jenem seltenen Grade von Selbständigkeit und schöpferischer Rührigkeit heranbildet, die Lists hervorragendes Verdienst, aber auch die Quelle seiner Verkennungen war. Wie das Ziel seines Wirkens eigentümlich war und in der Geschichte literarischer Persönlichkeiten einen ganz neuen Abschnitt für Deutschland bezeichnete, wie der Ausgang seines Lebens ein ungemeines tragisches Interesse weckte, so waren auch die Wege nicht gewöhnlich, auf denen das Schicksal diese kostbare Fülle von Kräften prüfte und stählte.“

      Nachdem

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