Der kleine Ritter. Генрик Сенкевич
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»Vergiß alles, was geschehen!«
Gleich darauf waren beide im Zimmer. Der Türhüter schlief in einem Stuhl, Sagloba in dem anderen; aber das Eintreten der jungen Leute weckte sie. Sagloba öffnete seine Augen und begann bei halbem Bewußtsein mit ihnen zu zwinkern; allmählich kehrte ihm das Gedächtnis an Zeit und Menschen zurück.
»Ha, ihr seid es!« sagte er und zog seinen Hut zurecht, »mir träumte, es sei ein neuer Kandidat für den Königsstuhl aufgetreten, und das war ein Piast. Waret ihr im Kirchengang?«
»So ist's.«
»Und ist euch die Seele Marie Luisens nicht erschienen?«
»O ja,« antwortete Christine mit dumpfer Stimme.
Nachdem sie aus dem Schloß getreten waren, empfand Ketling das Bedürfnis, seine Gedanken zu sammeln und sich von dem Erstaunen frei zu machen, in das ihn Christinens Benehmen versetzt hatte. Er verabschiedete sich von ihr und Sagloba gleich vor dem Tor; diese aber begaben sich zurück in das Gasthaus. Bärbchen und die Frau Truchseß waren von der Kranken schon heimgekehrt, und die Frau Truchseß begrüßte Herrn Sagloba mit folgenden Worten: »Ich habe einen Brief von meinem Manne bekommen, der bei Michael im Grenzquartier ist; sie sind beide gesund und versprechen in kurzem hier zu sein. Es liegt auch ein Brief von Michael an Euch hier, an mich nur ein Postskriptum in dem Briefe meines Mannes. Mein Mann schreibt auch, daß die Differenz, welche wegen des Guts von Bärbchen mit den Zubers bestanden, glücklich ausgeglichen ist. Jetzt stehen dort die Landtage bevor … er schreibt auch, daß dort der Name des Herrn Sobieski ungeheure Bedeutung hat, und so wird auch der Landtag in seinem Sinne ausfallen. Alle Welt rüstet sich zur Wahl, aber unsere Gegend wird auf seiten des Kronmarschalls stehen. Es ist schon warm dort und Regenwetter … In Werschutko sind einige Gebäude bei uns abgebrannt. Ein Knecht hat das Feuer angezündet, und da windiges Wetter war …«
»Wo ist Michaels Brief an mich?« fragte Sagloba, indem er den Strom von Neuigkeiten unterbrach, den die brave Frau Truchseß in einem Atem hervorbrachte.
»Da ist er,« antwortete die Frau Truchseß, indem sie ihm den Brief reichte. – »… da Wind war, und die Leute auf dem Jahrmarkt …«
»Wie sind die Briefe hierhergekommen?« fragte Sagloba wieder.
»Sie sind in Ketlings Haus gebracht worden, und von da hat sie ein Knecht hergebracht – nun weil aber, sage ich, Wind war …«
»Wollt Ihr hören?«
»O gewiß, ich bitte.«
Sagloba erbrach das Siegel und begann zu lesen, erst mit halber Stimme für sich, dann lauter für alle:
»Es ist dies der erste Brief, den ich Euch sende; hoffentlich gibt es auch keinen zweiten, denn hier sind die Posten unsicher, und ich denke auch in kurzer Zeit persönlich bei Euch zu erscheinen. Es ist gut hier im Felde, aber doch zieht mich das Herz mächtig zu Euch, und die Gedanken und die Erinnerungen, die mir die Einsamkeit angenehmer machen als die zahlreiche Gesellschaft, sind ohne Ende. Die versprochene Arbeit ist vorbei, denn die Horden sitzen ruhig, nur kleinere Haufen pirschen auf den Wiesen, und wir haben sie zweimal so glücklich aufgescheucht, daß auch nicht ein Zeuge der Niederlage übrig geblieben ist.«
»Da haben sie ihnen warm gemacht,« rief Bärbchen erfreut, »es geht nichts über den Soldatenstand!«
»Die Banden des Doroschenko« – las Sagloba weiter – »möchten gern mit uns anbinden, aber ohne die Horde wagen sie's nicht, und die Gefangenen sagen aus, daß keine einzige größere Schar unterwegs sei, und auch ich denke, wenn etwas hätte kommen sollen, so wäre es schon gekommen, denn das Gras ist seit einer Woche grün, und die warmen Winde wehen, die die Pferde träge machen, und das sind die sichersten Anzeichen des Frühlings. Die Erlaubnis habe ich schon einholen lassen, und sie muß jeden Tag eintreffen: dann mache ich mich bald auf den Weg … Herr Nowowiejski wird mich in meinem Wächteramt vertreten; es gibt so wenig zu tun, daß Makowiezki und ich den ganzen Tag die Füchse gehetzt haben, bloß zu unserem Vergnügen, denn der Pelz nützt uns zum Frühling nichts. Es fehlt auch nicht an Trappen, und mein Bursche hat einen Pelikan geschossen. – Ich umarme Euch von ganzem Herzen, küsse meiner Frau Schwester die Hand, auch Fräulein Christine, deren Zuneigung ich mich sehr empfehle, und bitte Gott nur darum, daß ich sie mit unverändertem Sinne wiederfinde. Grüßen Sie auch Fräulein Bärbchen von mir; Herr Nowowiejski hat seine Wut über den Korb, den er in Mokotow erhalten, zehnfach an den Nacken der Schurken ausgelassen, aber er ist noch immer nicht beruhigt, noch hat er es nicht ganz verwunden. – Ich empfehle Euch Gott und seiner heiligen Gnade.
P. S. Von durchreisenden Armeniern habe ich einen prächtigen Hermelinbesatz gekauft, – den bringe ich als Willkommengruß Fräulein Christine mit, und auch für unseren kleinen Heiducken werden sich türkische Südfrüchte finden.«
»Die mag Herr Michael allein aufessen, ich bin kein Kind,« versetzte Bärbchen, deren Wangen erglühten, als wäre ihr plötzlich etwas Unangenehmes widerfahren.
»So siehst du ihn nicht gerne wieder? Bist du ihm böse?« fragte Sagloba.
Aber sie brummte nur leise vor sich hin und geriet wirklich in Zorn bei dem Gedanken daran, wie leichthin Michael sie behandle; bald dachte sie wieder an die Trappen und an den Pelikan, der ganz besonders ihre Neugier erweckt hatte.
Christine saß während des Vorlesens mit geschlossenen Augen da, dem Lichte abgewandt. Es war ein wahres Glück, daß die Anwesenden ihr Gesicht nicht sehen konnten, sonst hätten sie unschwer erkannt, daß in ihr etwas Außerordentliches vorgehe. Was in der Kirche geschehen war, dann Wolodyjowskis Brief – das waren für sie gleichsam zwei kräftige Keulenschläge. Der wundervolle Traum war zerstoben, und seit diesem Augenblick stand das Mädchen von Angesicht zu Angesicht der unglückschweren Wahrheit gegenüber. Sie konnte nicht sofort ihre Gedanken sammeln, und nur unklare, dämmerhafte Gefühle tobten in ihrem Herzen. Wolodyjowski samt seinem Versprechen der Ankunft und dem Hermelinbesatz erschien ihr flach, ja nahezu widerwärtig. Ketling aber war ihr nie teurer. Teuer war ihr der bloße Gedanke an ihn, seine Worte, sein geliebtes Gesicht, teuer seine Betrübnis. Und nun wird man das Lieben, die Verehrung lassen müssen, das lassen, wozu das Herz sich drängt, dem die Arme sich entgegenstrecken; den geliebten Mann in Verzweiflung lassen, in ewiger Trauer, in Gram, und die Seele und den Körper einem anderen hingeben, der darum allein, weil er ein anderer ist, geradezu hassenswert erscheint.
»Ich werde es nicht verwinden,« rief es in Christinens Seele.
Und sie hatte die Empfindung, die eine Gefangene hat, der man die Hände bindet, und doch hatte sie sich selbst gebunden. Hätte sie doch damals Wolodyjowski sagen können, daß sie ihm eine Schwester sein wolle, nicht mehr. Hier kam ihr jener Kuß in Erinnerung, den sie empfangen und zurückgegeben, und es erfaßte sie Scham und Verachtung ihrer selbst. Hatte sie damals Wolodyjowski schon geliebt? – Nein, in ihrem Herzen war keine Liebe; neben dem Mitleid waren es nur Neugier und Leichtsinn, die sich hinter dem Schein schwesterlicher Zuneigung verbargen; jetzt erst erkannte sie, daß zwischen einem Kuß aus großer Liebe und einem Kuß aus der Erregung des Blutes ein Unterschied sei, wie zwischen Engel und Teufel. Und zu der Verachtung trat der Zorn in Christinens Herz, aber auch ihr Stolz empörte sich gegen Wolodyjowski. Auch er war schuldig; warum sollte alle Reue, warum sollten alle Gewissensbisse, alle Täuschungen auf sie zurückfallen, warum sollte nicht auch er den bitteren Trank teilen? Hätte sie nicht das Recht, ihm bei seiner Heimkehr zu sagen:
»Ich habe mich geirrt: Mitleid hielt ich für Zuneigung und auch du hast geirrt, und nun lasse mich, wie ich dich gelassen habe.«
Plötzlich erfaßte sie die Furcht vor der Rache des furchtbaren Mannes, nicht Furcht um sich selber, sondern um das