Mephisto / Мефистофель. Книга для чтения на немецком языке. Клаус Манн
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Читать онлайн книгу Mephisto / Мефистофель. Книга для чтения на немецком языке - Клаус Манн страница 15
„Tu marches sur des morts, Beauté, dont tu temoques;
De tes bijoux l’Horreur n’est pas le moins charmant,
El le Meurtre, parmi l es plus chères breloques,
Sur ton ventre orgueilleux danse amoureusement.“[33]
„Wie magst du nur so blöd lügen“, sagte sie und berührte mit ihrem dunklen und schlanken Finger seinen redenden Mund.
Er aber sprach weiter, immer mit demselben, melancholisch singenden Ton: „Du erzählst mir nie davon, wie du früher gelebt hast, Prinzessin Tebab. Ich meine: in deinem Erdteil…“
„Ich kann mich an nichts mehr erinnern“, sagte sie kurz. Dann küsste sie ihn – vielleicht nur, um ihn daran zu hindern, noch länger indiskrete und poetische Fragen zu stellen: ihr weit geöffneter, tierischer Mund mit den dunklen, rissigen Lippen und der blutroten Zunge näherte sich langsam seinem gierigen, fahlen Mund.
Sowie sie ihr Gesicht wieder von dem seinen erhoben hatte, redete er weiter. „Ich weiß nicht, ob du mich vorhin verstanden hast, als ich sagte, dass ich nur für dich und nur durch dich spiele.“ Während er so weich und träumerisch sprach, führte sie ihre geübten Finger durch sein schütteres Seidenhaar, auf dessen Fahlheit die Lampe ein wenig Goldglanz zauberte. Sie behandelte sein feines Haar auf eine nicht eigentlich zärtliche, sondern auf eine ernste und sachliche Art, als wollte sie es frisieren. „Ich habe es ganz wörtlich gemeint“, fuhr er fort. „Wenn ich den Leuten ein bisschen gefalle, wenn ich Erfolg habe – dir verdanke ich ihn. Dich zu sehen, dich zu berühren, Prinzessin Tebab: das ist wie eine Wunderkur für mich… etwas Herrliches, eine Erfrischung ganz ohnegleichen…“
„Ach, wenn du nur immer schwatzen und lügen kannst“, sagte sie mütterlich. „Du bist doch der drolligste kleine Dreckhaufen, dem ich jemals begegnet bin.“ Sie hatte, um ihn nur zum Schweigen zu bringen, ihre beiden Hände auf sein Gesicht gelegt; die breiten Armbänder klirrten an seinem Kinn; auf seinen Wangen ruhten die hellen Innenflächen ihrer Hände. Da endlich verstummte er. Er rückte seinen Kopf auf dem Kissen zurecht, als wollte er einschlafen. Gleichzeitig schlang er mit einer hilfesuchenden Gebärde seine beiden Arme um das schwarze Mädchen. Während sie ganz still in seiner Umarmung hielt, ließ sie die Hände auf seinem Gesicht liegen, als müsste sie ihn davor bewahren, das zärtlichhöhnische Lächeln zu sehen, mit dem sie jetzt auf ihn niederblickte.
III
Knorke
Die Saison ging weiter, es war keine schlechte Saison für das Hamburger Künstlertheater. Oskar H. Kroge war entschieden ungerecht gewesen, als er gesagt hatte, Höfgen werde überzahlt mit tausend Mark Monatsgehalt. Ohne diesen Schauspieler und Regisseur hätte das Institut gar nicht auskommen können; er leistete Enormes, war so unermüdlich wie einfallsreich. Er spielte alles, jugendliche Rollen und alte: nicht nur Miklas hatte Anlass, auf ihn eifersüchtig zu sein, sondern auch Petersen, und sogar Otto Ulrichs hätte ihn gehabt; aber der war mit wichtigeren Dingen beschäftigt und nahm den bürgerlichen Theaterbetrieb nicht ganz ernst. Höfgen gewann sich die Kinderherzen als witziger und schöner Prinz im Weihnachtsmärchen; die Damen fanden ihn unwiderstehlich in französischen Konversationsstücken und in den Komödien von Oscar Wilde[34]; der literarisch interessierte Teil des Hamburger Publikums diskutierte seine Leistungen in „Frühlings Erwachen“, als Advokat in Strindbergs „Traumspiel“, als Leonce in Büchners „Leonce und Lena“. Er konnte elegant sein, aber auch tragisch. Er hatte das „aasige“ Lächeln, aber auch den Leidenszug an den Schläfen. Er bezauberte mit übermütigem Esprit, er imponierte mit herrisch gerecktem Kinn, abgehacktem Kommandoton und stolznervösen Gebärden; er rührte durch Demut, hilflos irrenden Blick, weltfremd zarte Verstörtheit. Er war gütig oder gemein, hochfahrend oder zärtlich, schneidig oder gebrochen – ganz wie das Repertoire es verlangte. In Schillers „Kabale und Liebe“ spielte er abwechselnd den Major Ferdinand und den Sekretarius Wurm, den überschwenglichen Liebhaber und den ruchlosen Intriganten: dabei hätte er es kaum nötig gehabt, seine Wandlungsfähigkeit, an der niemand zweifelte, solcherart kokett zu betonen. Vormittags hatte er Proben zum „Hamlet“, nachmittags zu einer Posse „Mieze macht alles“. Die Posse kam zum Silvesterabend[35] heraus und wurde ein starker Erfolg. Schmilz konnte zufrieden sein; über den „Hamlet“ raste Kroge, der noch auf der Generalprobe die Aufführung untersagen wollte. „Eine solche Schweinerei habe ich niemals geduldet in meinem Hause!“ empörte sich der alte Vorkämpfer des literarischen Theaters. „Hamlet erledigt man nicht nebenbei wie einen Reißer“. Höfgen erledigte ihn; sah sehr eindrucksvoll aus in seiner hochgeschlossen en schwarzen Tracht, mit rätselhaft schielenden Augen und fahlem Leidensgesicht, und bekam am nächsten Vormittag von der Hamburger Presse versichert, dass es eine interessante Leistung gewesen sei, nicht ganz durchgearbeitet vielleicht, etwas improvisiert, aber doch voll packender Momente. Angelika Siebert hatte die Ophelia spielen dürfen und war auf jeder Probe schier zerflossen vor Tränen; bei der Premiere hatte sie wegen heftigen Weinens kaum auftreten können. Übrigens fanden dann einige Kenner, ihre Leistung sei eigentlich die beste gewesen in dieser bedenklichen Inszenierung.
Höfgen arbeitete sechzehn Stunden am Tag und hatte jede Woche mindestens einen Nervenzusammenbruch. Diese Krisen traten stets sehr heftig und in abwechslungsreichen Formen auf. Einmal fiel Höfgen zur Erde und zuckte stumm; das nächste Mal hingegen blieb er zwar stehen, schrie aber grauenhaft, und dies fünf Minuten lang ohne jegliche Unterbrechung; dann wieder behauptete er auf der Probe, zum Entsetzen aller, er bekomme plötzlich seine Kiefer nicht mehr auseinander, ein Krampf habe eingesetzt, es sei scheußlich, nun könne er nur noch murmeln, und das tat er denn auch. Vor der Abendvorstellung, in der Garderobe, ließ er sich von Bock – der seine sieben Mark fünfzig noch immer nicht wiederhatte – die untere Gesichtshälfte massieren, stöhnte und murmelte mit aufeinandergepressten Zähnen. Eine Viertelstunde später, auf der Bühne, gehorchte ihm sein Mundwerk wie je; er benutzte es mit Geschicklichkeit, strahlte und hatte Erfolg.
Die kleine Angelika litt; Höfgen kümmerte sich nicht darum. Frau von Herzfeld litt; er speiste sie ab mit intellektuellen Konversationen. Rolf Bonetti litt, um der kleinen Angelika willen, die spröde blieb, wie eigensinnig und eifrig er sich auch um sie bewarb; so musste sich der schöne junge Liebhaber mit Rahel Mohrenwitz trösten: dieses tat er widerwillig und ohne dass darum die angeekelten Züge verschwunden wären aus seinem Gesicht. Hans Miklas hasste; hungerte – wenn die Efeu ihm nicht gerade Butterbrote schenkte —; schimpfte mit seinen politischen Freunden auf Marxisten, Juden und Judenknechte; trainierte zäh, bekam kleine Rollen und unterhalb der Backenknochen immer schwärzere Löcher.
Mit seinen politischen Freunden steckte auch Otto Ulrichs viel zusammen. Gerade vor ihnen war es ihm peinlich, dass die Eröffnung des Revolutionären Theaters immer wieder hinausgeschoben wurde. Jede Woche erfand Höfgen eine andere Ausrede. Es geschah häufig, dass Ulrichs nach der Probe den Freund beiseite nahm, um zu flehen: „Hendrik! Wann fangen wir an!“ Dann redete Höfgen, schnell und leidenschaftlich, von der Verwerflichkeit des Kapitalismus, vom Theater als politischem Instrument, von der Notwendigkeit einer kraftvollen, durchgearbeiteten, künstlerisch-politischen Aktion, und versprach schließlich, unmittelbar nach der Premiere von „Mieze macht alles“ mit den Proben für das Revolutionäre Theater zu beginnen.
Jedoch ging die stimmungsvolle Silvesterpremiere vorüber; viele andere Premieren folgten, die Saison nahte sich ihrem Ende, sie war fast vorbei: vom Revolutionären Theater gab es noch immer nicht mehr als das schöne Briefpapier, auf dem Höfgen eine hochgestimmte und verzweigte Korrespondenz mit prominenten Autoren sozialistischer Gesinnung führte. Als Otto Ulrichs wieder einmal bat und drängte, erklärte Hendrik ihm, für diese Saison sei es, tief bedauerlicherweise und infolge eines Zusammenkommens von fatalsten Umständen, zu spät geworden: man müsse leider bis zum nächsten
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Wilde, Oscar (*1854, †1900), irischer Schriftsteller, schrieb geistreiche Gesellschaftsstücke, Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“, Märchen, Gedichte.
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Silvester: der letzte Tag des Jahres, der 31. Dezember.