Mephisto / Мефистофель. Книга для чтения на немецком языке. Клаус Манн

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Mephisto / Мефистофель. Книга для чтения на немецком языке - Клаус Манн Originallektüre Deutsch

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erst sang und bebte, dann heftig und schneidend wurde; denn nun geißelte Höfgen die moralische Verkommenheit der Bourgeoisie und pries die internationale Solidarität des Proletariats. Ulrichs war zu versöhnen. Man trennte sich mit langem Händedruck.

      Damals wurde eben die letzte Novität für diese Spielzeit vorbereitet: in Theophil Marders Komödie „Knorke“ sollte Hendrik Höfgen die Hauptrolle spielen. Das gesellschaftskritischdramatische Werk Marders hatte großen Ruhm; alle Kenner priesen seine höchst persönlich geprägte Form, seine unfehlbare Bühnenwirksamkeit und geistvoll unbarmherzige Bosheit. Zu der „Knorke“-Uraufführung würden die Kritiker aus Berlin herbeigereist kommen. Übrigens erwartete man auch den Autor – nicht ohne Herzklopfen; denn Marders unerbittlich hohe Meinung von sich selber war ebenso bekannt wie seine grimmige Schnoddrigkeit und seine Neigung zu jäh aus dem Nichts geholten heftigen und dauerhaften Streitigkeiten.

      Bei aller Angst aber freute sich Höfgen auch auf die Ankunft des berühmten Dramatikers; er zweifelte kaum daran, dass dem Hellsichtigen und Erfahrenen seine Leistung auffallen werde. „Ich muss gut werden in ,Knorke’!“ schwor Hendrik sich.

      Damit er sich nur ganz der Rolle widmen konnte, überließ er dieses Mal die Regie dem Direktor Kroge, der ein alter Spezialist für die Komödien des Theophil Marder war. „Knorke“ gehörte in einen Zyklus von satirischen Stücken, die das deutsche Bürgertum unter Wilhelm II.[36] schilderten und verhöhnten. Held der Komödie war der Emporkömmling, der mit dem zynisch verdienten Geld, mit dem ordinären Elan seines Wesens und einer skrupellosen, niedrigen, selbstbewussten Intelligenz sich Macht und Einfluss in den höchsten Kreisen erobert. Knorke war grotesk, aber auch imposant. Er repräsentierte den parvenühaft-emporschießenden, vitalen, ganz dem Geist entfremdeten bourgeoisen Typus. Höfgen versprach großartig zu werden in dieser Rolle. Er hatte ihre grausam schneidenden Akzente und zuweilen ihre beinah rührende Hilflosigkeit. Keine Frage: Höfgen musste Sensation machen in diesem Stück.

      Seine Partnerin, Knorkes Lebensgefährtin, die nicht weniger skrupellos ist als er selber, und schwächer nur dadurch, dass sie liebt: dass sie Knorke liebt – seine Partnerin in der genialen Komödie spielte ein junges Mädchen, das von Theophil Marder in energisch oder beinah zornig abgefassten Briefen dringend empfohlen worden war. Nicoletta von Niebuhr besaß noch wenig praktische Theatererfahrung – nur ganz selten war sie aufgetreten, und dies in kleineren Städten —; aber ein selbstsicheres, fast einschüchterndes Wesen. Marder hatte dem armen Oskar H. Kroge in krassen Ausdrücken mit dem grässlichsten Skandal gedroht, falls die Direktion des Künstlertheaters Fräulein von Niebuhr nicht für ein erstes Fach engagieren würde. Kroge, der vor des Dramatikers fürchterlicher Diktion klein und ängstlich wurde, ließ Nicoletta in „Knorke“ probeweise gastieren. Sie kam angereist, mit vielen Handkoffern aus rotem Lackleder, einem breitrandigen schwarzen Herrenhut zu einem brennend roten Gummimantel, einer großen gebogenen Nase und leuchtenden Katzenaugen unter einer hohen, schönen Stirn. Alle bemerkten sogleich, dass sie eine Persönlichkeit war: die Motz konstatierte es mit ehrfurchtsvoll bewegter Stimme im H. K., und niemand mochte ihr widersprechen, selbst Rahel Mohrenwitz nicht, obwohl diese sich über die Ankunft der Neuen ärgerte; denn ganz entschieden war auch Nicoletta eine dämonische junge Dame, sie brauchte weder Monokel noch lange Zigarettenspitze, um es der Welt zu beweisen.

      Rolf Bonetti und Petersen diskutierten darüber, ob Nicoletta schön zu nennen sei. Der enthusiastische Petersen fand sie „einfach blendend“; der vorsichtige Kenner Bonetti wollte sie nur als „interessant“ bezeichnet wissen. „Von schön kann doch gar nicht die Rede sein, bei der Nase!“ sagte er wegwerfend. „Aber ihre Augen sind herrlich“, schwärmte Petersen, wobei er um sich blickte, ob die Motz nicht in der Nähe war. „Und wie sie sich hält! Majestätisch, möchte man beinah sprechen!“ – Draußen ging Nicoletta vorbei, Arm in Arm mit Höfgen, was viel bemerkt ward. Ihr Kopf mit der kühnen Nase, dem leuchtenden Blick und der großen Stirn glich dem eines Renaissance-Jünglings: dies stellte, mit leidvoller. Einsicht, Frau von Herzfeld fest, die das Paar eifersüchtig verfolgte. Nicoletta hielt sich sehr gerade. Ihre grell geschminkten, scharfen Lippen formten die Worte mit einer schneidenden Präzision; jeder Satz klirrte vor Akkuratesse; die Vokale sprach sie ganz weit vorn, so dass sie blank und flach klangen, kein Konsonant ging verloren, noch die beiläufigste Floskel wurde zum Triumph der Sprachtechnik.

      Gerade war Nicoletta dabei, mit dämonischer Sorgfalt zu betonen, dass sie ehrgeizig sei, und, wenn es sein müsse, auch intrigant. „Natürlich, mein Liebling!“ sagte sie schneidend zu Höfgen, den sie seit ein paar Stunden kannte. „Vorwärtskommen wollen wir alle. Man muss Ellenbogen haben.“ Hendrik, der sie sich neugierig von der Seite beschaute, dachte darüber nach, ob sie in diesem Augenblick aufrichtig sei oder posierte. Es war schwer zu entscheiden. Vielleicht war gerade dieser radikal entschlossene Zynismus die Maske, hinter der sie ein ganz anderes Gesicht verbarg. Wer wusste aber, ob dieses andere versteckte Gesicht auch eine so kühne Nase und einen so scharfen Mund hatte wie die Miene, die sie jetzt mit Stolz zur Schau trug?

      Hendrik konnte sich nicht verhehlen, dass die Frau an seiner Seite ihm Eindruck machte. Ohne Frage, sie war die erste, seitdem er Juliette kannte, für die er einen beteiligten, interessierten Blick hatte. Er beichtete es der Schwarzen Venus noch am selben Tage und bekam furchtbare Schläge – die diesmal nicht aus rituellen Gründen und weil es so zum Spiel gehörte verabreicht wurden, sondern aus Überzeugung und mit echter Leidenschaft; denn Prinzessin Tebab ärgerte sich. Hendrik litt, stöhnte, genoss und versicherte am Ende seiner Prinzessin, dass sie die eigentliche Herrin und Geliebte bleiben würde. Als er aber Nicoletta wiedersah, faszinierten ihn wieder ihre schneidende Sprechweise, ihr blanker, durchdringender Blick und ihre stolz zusammengenommene Haltung.

      Es gefiel ihm auch, was sie ihm in präziser Sprache über ihre Herkunft und Vergangenheit anvertraute. Ihm imponierte das Exzentrische, Abenteuerlich-Fragwürdige, da er selbst aus den bürgerlichsten Verhältnissen kam. Nicoletta erzählte, dass sie ihre Eltern nicht gekannt habe. „Mein Papa war ein Hochstapler“, konstatierte sie erhobenen Hauptes, fröhlich und stolz. „Mama ist eine kleine Tänzerin an der Pariser Oper gewesen, sehr dumm, wie ich höre; aber sie soll die himmlischsten Beine gehabt haben.“ Sie blickte herausfordernd auf ihre eigenen, mit denen sie nur angab, als wären sie himmlisch. „Papa war ein Genie. Immer verstand er es, auf größtem Fuß zu leben. Er ist in China gestorben, wo er siebzehn Teehäuser und enorme Schulden hinterließ. Das einzige Andenken, das ich an ihn besitze, ist seine Opiumpfeife.“ In ihrem Hotelzimmer wies sie Hendrik die Reliquie vor. Mit einer Korrektheit, hinter der man lauter Teufelei vermuten musste, fragte sie ihn, ob er Tee haben wollte oder Kaffee. Die Bestellung rief sie durch das Telefon dem Kellner zu wie einen fürchterlichen, mit eisiger Mitleidlosigkeit vorgebrachten Urteilsspruch. Dann erzählte sie ausführlich von ihrer Jugend. „Gelernt habe ich gar nicht viel“, sagte sie. „Aber ich kann auf den Händen gehen, auf einer rollenden Kugel laufen und wie eine Eule schreien.“ Ihre Fibel sei die sehr empfehlenswerte Zeitschrift „La Vie Parisienne“ gewesen. Aufgewachsen war sie teils in französischen Internaten, aus denen man sie wegen fürchterlicher Ungezogenheit stets bald wieder entfernt hatte; teils im Hause des Geheimrats Bruckner, den sie einen Jugendfreund ihres Vaters nannte.

      Vom Geheimrat Bruckner hatte Höfgen schon gehört. Die Werke des Historikers waren berühmt; übrigens kannte Hendrik sie nicht. Hingegen wusste er, dass des Geheimrats gesellschaftliche Stellung ebenso bedeutend wie ungewöhnlich war. Der Forscher und Denker war nicht nur eine der exponiertesten und meistbesprochenen Figuren der deutschen und europäischen akademisch-literarischen Welt; man sagte ihm auch intime und einflussreiche Verbindungen zu politischen Kreisen nach. Seine Freundschaft mit. einem sozialdemokratischen Minister war bekannt; andererseits hatte er Beziehungen zur Reichswehr: seine verstorbene Frau war die Tochter eines Generals gewesen. Viel Anlass zu Kommentaren hatte eine Vortragstournee des Geheimrats durch Sowjetrussland gegeben. Damals war von der nationalistischen Presse die große Hetze gegen ihn eröffnet worden. Seitdem stellte man gerne mit Erbitterung fest, die Geschichtsbetrachtung Bruckners sei marxistisch beeinflusst. Es geschah, dass die Studenten lärmten, als er das Katheder betrat. Seine Weltgeltung und seine ruhige, überlegene

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<p>36</p>

Wilhelm II. (*1859, †1941), deutscher Kaiser und König von Preußen; erzwang 1890 den Rücktritt Otto von Bismarcks, liebte forsches Auftreten und äußeren Pomp; wurde durch seine Unbedachtheit dem selbst auferlegten Führungszwang nicht gerecht. Am 9.11.1918 wurde in Berlin seine Abdankung verkündet, er ging in die Niederlande.