Minna von Barnhelm. Gotthold Ephraim Lessing
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Just Doch nicht die hundert Pistolen, die Ihnen Ihr alter Wachtmeister vor vier oder fünf Wochen brachte?
Tellheim
Die nämlichen, von Paul Wernern. Warum nicht?
Just
Diese haben Sie noch nicht gebraucht? Mein Herr, mit diesen können Sie machen, was Sie wollen. Auf meine Verantwortung—
Tellheim
Wahrhaftig?
Just
Werner hörte von mir, wie sehr man Sie mit Ihren Forderungen an die Generalkriegskasse aufzieht. Er hörte—
Tellheim Daß ich sicherlich zum Bettler werden würde, wenn ich es nicht schon wäre.—Ich bin dir sehr verbunden, Just.—Und diese Nachricht vermochte Wernern, sein bißchen Armut mit mir zu teilen.—Es ist mir doch lieb, daß ich es erraten habe.—Höre, Just, mache mir zugleich auch deine Rechnung; wir sind geschiedene Leute.—
Just
Wie? was?
Tellheim
Kein Wort mehr; es kömmt jemand.—
5. Szene
(Eine Dame in Trauer. v. Tellheim. Just.)
Dame
Ich bitte um Verzeihung, mein Herr!—
Tellheim
Wen suchen Sie, Madame?—
Dame
Eben den würdigen Mann, mit welchem ich die Ehre habe zu sprechen.
Sie kennen mich nicht mehr? Ich bin die Witwe Ihres ehemaligen Stabsrittmeisters—
Tellheim
Um des Himmels willen, gnädige Frau! welche Veränderung!—
Dame
Ich stehe von dem Krankenbette auf, auf das mich der Schmerz über den Verlust meines Mannes warf. Ich muß Ihnen früh beschwerlich fallen, Herr Major. Ich reise auf das Land, wo mir eine gutherzige, aber eben auch nicht glückliche Freundin eine Zuflucht vors erste angeboten.—
Tellheim (zu Just). Geh, laß uns allein.—
6. Szene
(Die Dame. v. Tellheim.)
Tellheim Reden Sie frei, gnädige Frau! Vor mir dürfen Sie sich Ihres Unglücks nicht schämen. Kann ich Ihnen worin dienen?
Dame
Mein Herr Major—
Tellheim Ich beklage Sie, gnädige Frau! Worin kann ich Ihnen dienen? Sie wissen, Ihr Gemahl war mein Freund; mein Freund, sage ich; ich war immer karg mit diesem Titel.
Dame Wer weiß es besser als ich, wie wert Sie seiner Freundschaft waren, wie wert er der Ihrigen war? Sie würden sein letzter Gedanke, Ihr Name der letzte Ton seiner sterbenden Lippen gewesen sein, hätte nicht die stärkere Natur dieses traurige Vorrecht für seinen unglücklichen Sohn, für seine unglückliche Gattin gefordert—
Tellheim Hören Sie auf, Madame! Weinen wollte ich mit Ihnen gern; aber ich habe heute keine Tränen. Verschonen Sie mich! Sie finden mich in einer Stunde, wo ich leicht zu verleiten wäre, wider die Vorsicht zu murren.—O mein rechtschaffner Marloff! Geschwind, gnädige Frau, was haben Sie zu befehlen? Wenn ich Ihnen zu dienen imstande bin, wenn ich es bin—
Dame Ich darf nicht abreisen, ohne seinen letzten Willen zu vollziehen. Er erinnerte sich kurz vor seinem Ende, daß er als Ihr Schuldner sterbe, und beschwor mich, diese Schuld mit der ersten Barschaft zu tilgen. Ich habe seine Equipage verkauft und komme, seine Handschrift einzulösen.—
Tellheim
Wie, gnädige Frau? darum kommen Sie?
Dame
Darum. Erlauben Sie, daß ich das Geld aufzähle.
Tellheim
Nicht doch, Madame! Marloff mir schuldig? das kann schwerlich sein.
Lassen Sie doch sehen. (Er ziehet sein Taschenbuch heraus und sucht.)
Ich finde nichts.
Dame Sie werden seine Handschrift verlegt haben, und die Handschrift tut nichts zur Sache.—Erlauben Sie—
Tellheim Nein, Madame! so etwas pflege ich nicht zu verlegen. Wenn ich sie nicht habe, so ist es ein Beweis, daß ich nie eine gehabt habe, oder daß sie getilgt und von mir schon zurückgegeben worden.
Dame
Herr Major!—
Tellheim Ganz gewiß, gnädige Frau. Nein, Marloff ist mir nichts schuldig gebleiben. Ich wüßte mich auch nicht zu erinnern, daß er mir jemals etwas schuldig gewesen wäre. Nicht anders, Madame; er hat mich vielmehr als seinen Schuldner hinterlassen. Ich habe nie etwas tun können, mich mit einem Manne abzufinden, der sechs Jahre Glück und Unglück, Ehre und Gefahr mit mir geteilet. Ich werde es nicht vergessen, daß ein Sohn von ihm da ist. Er wird mein Sohn sein, sobald ich sein Vater sein kann. Die Verwirrung, in der ich mich jetzt selbst befinde—
Dame
Edelmütiger Mann! Aber denken Sie auch von mir nicht zu klein!
Nehmen Sie das Geld, Herr Major; so bin ich wenigstens beruhiget.—
Tellheim Was brauchen Sie zu Ihrer Beruhigung weiter als meine Versicherung, daß mir dieses Geld nicht gehöret? Oder wollen Sie, daß ich die unerzogene Waise meines Freundes bestehlen soll? Bestehlen, Madame; das würde es in dem eigentlichsten Verstande sein. Ihm gehört es, für ihn legen Sie es an!—
Dame Ich verstehe Sie; verzeihen Sie nur, wenn ich noch nicht recht weiß, wie man Wohltaten annehmen muß. Woher wissen es denn aber auch Sie, daß eine Mutter mehr für ihren Sohn tut, als sie für ihr eigen Leben tun würde? Ich gehe—
Tellheim Gehen Sie, Madame, gehen Sie! Reisen Sie glücklich! Ich bitte Sie nicht, mir Nachricht von Ihnen zu geben. Sie möchte mir zu einer Zeit kommen, wo ich sie nicht nutzen könnte. Aber noch eines, gnädige Frau; bald hätte ich das Wichtigste vergessen. Marloff hat noch an der Kasse unsers ehemaligen Regiments zu fordern. Seine Forderungen sind so richtig wie die meinigen. Werden meine bezahlt, so müssen auch die seinigen bezahlt werden. Ich hafte dafür.—
Dame
Oh! Mein Herr—Aber ich schweige lieber.—Künftige Wohltaten so vorbereiten, heißt sie in den Augen des Himmels schon erwiesen haben.
Empfangen Sie seine Belohnung und meine Tränen! (Geht ab.)
7. Szene
(v. Tellheim.)
Tellheim
Armes,