Minna von Barnhelm. Gotthold Ephraim Lessing

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Minna von Barnhelm - Gotthold Ephraim Lessing

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nimmt aus seinem Taschenbuche Briefschaften, die er zerreißt.)

      Wer steht mir dafür, daß eigner Mangel mich nicht einmal verleiten könnte, Gebrauch davon zu machen?

      8. Szene

      (Just. v. Tellheim.)

      Tellheim

      Bist du da?

      Just (indem er sich die Augen wischt). Ja!

      Tellheim

      Du hast geweint?

      Just Ich habe in der Küche meine Rechnung geschrieben, und die Küche ist voll Rauch. Hier ist sie, mein Herr!

      Tellheim

      Gib her.

      Just

      Haben Sie Barmherzigkeit mit mir, mein Herr. Ich Weiß wohl, daß die Menschen mit Ihnen keine haben, aber—

      Tellheim

      Was willst du?

      Just

      Ich hätte mir ehr den Tod als meinen Abschied vermutet.

      Tellheim Ich kann dich nicht länger brauchen; ich muß mich ohne Bedienten behelfen lernen. (Schlägt die Rechnung auf und lieset.) "Was der Herr Major mir schuldig: Drei und einen halben Monat Lohn, den Monat 6 Taler, macht 21 Taler. Seit dem Ersten dieses an Kleinigkeiten ausgelegt 1 Taler 7 Gr. 9 Pf. Summa Summarum 22 Taler 7 Gr. 9 Pf."– Gut, und es ist billig, daß ich diesen laufenden Monat ganz bezahle.

      Just

      Die andere Seite, Herr Major—

      Tellheim Noch mehr? (Lieset.) Was dem Herrn Major ich schuldig: An den Feldscher für mich bezahlt 25 Taler. Für Wartung und Pflege während meiner Kur für mich bezahlt 39 Taler. Meinem abgebrannten und geplünderten Vater auf meine Bitte vorgeschossen, ohne die zwei Beutepferde zu rechnen, die er ihm geschenkt, 50 Taler. Summa Summarum 114 Taler. Davon abgezogen vorstehende 22 Taler 7 Gr. 9 Pf., bleibe dem Herrn Major schuldig 91 Taler 16 Gr. 3 Pf."—Kerl, du bist toll!—

      Just Ich glaube es gern, daß ich Ihnen weit mehr koste. Aber es wäre verlorne Tinte, es dazuzuschreiben. Ich kann Ihnen das nicht bezahlen, und wenn Sie mir vollends die Liverei nehmen, die ich auch noch nicht verdient habe—so wollte ich lieber, Sie hätten mich in dem Lazarette krepieren lassen.

      Tellheim Wofür siehst du mich an? Du bist mir nichts schuldig, und ich will dich einem von meinen Bekannten empfehlen, bei dem du es besser haben sollst als bei mir.

      Just

      Ich bin Ihnen nichts schuldig, und doch wollen Sie mich verstoßen?

      Tellheim

      Weil ich dir nichts schuldig werden will.

      Just Darum? nur darum?—So gewiß ich Ihnen schuldig bin, so gewiß Sie mir nichts schuldig werden können, so gewiß sollen Sie mich nun nicht verstoßen.—Machen Sie, was Sie wollen, Herr Major; ich bleibe bei Ihnen; ich muß bei Ihnen bleiben.—

      Tellheim Und deine Hartnäckigkeit, dein Trotz, dein wildes, ungestümes Wesen gegen alle, von denen du meinest, daß sie dir nichts zu sagen haben, deine tückische Schadenfreude, deine Rachsucht—

      Just Machen Sie mich so schlimm, wie Sie wollen; ich will darum doch nicht schlechter von mir denken als von meinem Hunde. Vorigen Winter ging ich in der Dämmerung an dem Kanale und hörte etwas winseln. Ich stieg herab und griff nach der Stimme und glaubte, ein Kind zu retten, und zog einen Pudel aus dem Wasser. Auch gut, dachte ich. Der Pudel kam mir nach, aber ich bin kein Liebhaber von Pudeln. Ich jagte ihn fort, umsonst; ich prügelte ihn von mir, umsonst. Ich ließ ihn des Nachts nicht in meine Kammer; er blieb vor der Türe auf der Schwelle. Wo er mir zu nahe kam, stieß ich ihn mit dem Fuße; er schrie, sahe mich an und wedelte mit dem Schwanze. Noch hat er keinen Bissen Brot aus meiner Hand bekommen, und doch bin ich der einzige, dem er hört, und der ihn anrühren darf. Er springt vor mir her und macht mir seine Künste unbefohlen vor. Es ist ein häßlicher Pudel, aber ein gar zu guter Hund. Wenn er es länger treibt, so höre ich endlich auf, den Pudeln gram zu sein.

      Tellheim (beiseite). So wie ich ihm! Nein, es gibt keine völligen Unmenschen! —Just, wir bleiben beisammen.

      Just Ganz gewiß!—Sie wollten sich ohne Bedienten behelfen? Sie vergessen Ihrer Blessuren und daß Sie nur eines Armes mächtig sind. Sie können sich ja nicht allein ankleiden. Ich bin Ihnen unentbehrlich; und bin— ohne mich selbst zu rühmen, Herr Major—und bin ein Bedienter, der— wenn das Schlimmste zum Schlimmen kömmt—für seinen Herrn betteln und stehlen kann.

      Tellheim

      Just, wir bleiben nicht beisammen.

      Just

      Schon gut!

      9. Szene

      (Ein Bedienter. v. Tellheim. Just.)

      Bediente

      Bst! Kamerad!

      Just

      Was gibt's?

      Bediente

      Kann Er mir nicht den Offizier nachweisen, der gestern noch in diesem Zimmer (auf eines an der Seite zeigend, von welcher er herkömmt) gewohnt hat?

      Just

      Das dürfte ich leicht können. Was bringt Er ihm?

      Bediente

      Was wir immer bringen, wenn wir nichts bringen: ein Kompliment. Meine Herrschaft hört, daß er durch sie verdrängt worden. Meine Herrschaft weiß zu leben, und ich soll ihn deshalb um Verzeihung bitten.

      Just

      Nun, so bitte Er ihn um Verzeihung; da steht er.

      Bediente

      Was ist er? Wie nennt man ihn?

      Tellheim Mein Freund, ich habe Euern Auftrag schon gehört. Es ist eine überflüssige Höflichkeit von Eurer Herrschaft, die ich erkenne, wie ich soll. Macht ihr meinen Empfehl.—Wie heißt Eure Herrschaft?—

      Bediente

      Wie sie heißt? Sie läßt sich gnädiges Fräulein heißen.

      Tellheim

      Und ihr Familienname?

      Bediente Den habe ich noch nicht gehört, und darnach zu fragen, ist meine Sache nicht. Ich richte mich so ein, daß ich meistenteils alle sechs Wochen eine neue Herrschaft habe. Der Henker behalte alle ihre Namen!—

      Just

      Bravo, Kamerad!

      Bediente Zu dieser bin ich erst vor wenig Tagen in Dresden gekommen. Sie sucht, glaube ich, hier ihren Bräutigam.—

      Tellheim Genug, mein Freund. Den Namen Eurer Herrschaft wollte ich wissen, aber nicht ihre Geheimnisse. Geht nur!

      Bediente

      Kamerad,

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