Soll und Haben. Gustav Freytag

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Soll und Haben - Gustav Freytag

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diese lebhafte Unterhaltung mit der ganzen Welt zu führen hatte; denn in einem hatte Fink recht gehabt: Anton blieb trotz dem täglichen Mittagstisch in dem parkettierten Speisezimmer doch dem Chef des Hauses und der Familie sehr fremd und fühlte bald, daß eine Schranke gezogen sei zwischen den Herren vom Kontor und den Personen des Hauses, die, so unbemerkt sie für Fremde sein mochte, doch eisenfest stand. Er war so verständig, daß ihm nicht einfiel, darüber zu murren, aber er wurde doch manchmal dadurch bedrückt, denn mit dem Enthusiasmus der Jugend war er schnell bereit, seinen Prinzipal als das Ideal eines Kaufmanns zu verehren. Die Klugheit, Sicherheit und energische Kürze des Mannes und seine stolze Redlichkeit begeisterten ihn; er hätte sich gar zu gern mit schwärmerischer Innigkeit an ihn geschlossen, aber er sah außer den Geschäftsstunden wenig von ihm. Wenn der Kaufmann am Abend nicht in Versammlungen oder im Klub war, so lebte er nur für seine Schwester, an der er mit einer rührenden Zärtlichkeit hing. Für seine Schwester hielt der Kaufmann Wagen und Pferde, die er selbst selten benutzte, ihr zuliebe besuchte er auch Abendgesellschaften und gab selbst welche, zu denen Anton und seine Kollegen nicht zugezogen wurden. Dann rollten die Equipagen vor das Haus, galonierte Bediente flogen treppauf, treppab, und bunte Schatten schwebten an den erleuchteten Fenstern des Vorderhauses vorüber, während Anton in seiner Dachstube saß und mit Sehnsucht auf das glänzende Leben des Haushaltes sah, zu dem er doch auch gehörte: mit heißer Sehnsucht, denn unser Held war kaum neunzehn Jahre alt und kannte die geschmückte Geselligkeit eleganter Kreise nur aus den trügerischen Schilderungen der Bücher, welche er gelesen hatte. Dann sagte ihm zwar immer sein Verstand, daß er nicht in das Vorderhaus gehöre und was daraus werden solle, wenn er mit seinem Dutzend Kollegen, die so verschieden an Bildung waren, bei solchen Gesellschaften sich ausbreiten wolle. Aber was der Verstand, dieser alte Herr, sagt, wird von der jungen Dame Begehrlichkeit nicht immer ehrerbietig angehört, und Anton schlich manchmal mit einem leisen Seufzer vom Fenster zu seiner Lampe und den Büchern zurück und bemühte sich, die lockende Musik der Quadrille zu vergessen, indem er auf das Geschrei des Löwen und das Gurgeln des Brüllfrosches in irgendeinem tropischen Lande lauschte.

      6

      Der Freiherr von Rothsattel hatte sein Quartier in der Hauptstadt selbst eingerichtet. Es war nur von mäßiger Größe, aber die Form der Möbel, die Arabesken der einfachen Wandmalerei, die Zeichnungen auf den Vorhängen und Teppichen waren so geschmackvoll zusammengepaßt, daß das Ganze in der guten Gesellschaft als ein Muster von Eleganz und Wohnlichkeit gerühmt wurde. Recht in der Stille hatte er das alles vorbereitet. Endlich hielt der neugekaufte Wagen vor der Wohnung, der Freiherr hob seine Gemahlin heraus und führte sie durch die Reihe der Zimmer bis zu ihrem kleinen Boudoir, das ganz mit weißer Gaze dekoriert war, die Decke eine Sonne von weißen Falten und an allen Wänden weiß gefältelte Sterne. Da flog ihm die Baronin, entzückt über so viel Aufmerksamkeit, in die Arme, und der gute Herr fühlte sich zufrieden und stolz wie ein König. Schnell war die Familie eingelebt, die Ackerpferde führten vom Gute die unvermeidlichen Kisten, Truhen und Vorräte von Lebensmitteln herbei, und nachdem einige Tage hindurch Strohhalme von Treppen, Fußböden und Teppichen abgefegt worden waren, konnte man daran denken, sich außerhalb des Hauses umzusehen und die nötigen Besuche zu machen.

      Ein großer Teil des Landadels pflegte die Wintermonate in der Hauptstadt zuzubringen, und die Rothsattel trafen mehrere Gutsnachbarn, viele Bekannte und Verwandte. Überall war man erfreut, die angesehene Familie in der Stadt zu begrüßen, und nach wenigen Wochen fanden sie sich mitten in einem großen Kreise fröhlicher Geselligkeit eingelebt. Der niedere Adel mit all seinen Titeln, welche ihm von den deutschen Regenten freigebig erteilt worden sind, bildete eine stattliche, ziemlich abgeschlossene Gesellschaft, und wenn in dem Völkchen auch nicht gerade ein Überfluß von geistreicher Bildung vorhanden war, so war doch das gesellige Behagen, mit dem sie untereinander verkehrten, vielleicht um so größer. Die Baronin wurde durch ihre sichere Liebenswürdigkeit eine Hauptgröße der Frauenwelt; auch ihr Gemahl, der in den ersten Wochen manchmal die Wanderungen durch den Wirtschaftshof und die Spazierritte in seinen Wald vermißt hatte, befand sich bald unter seinen Jugendfreunden nicht weniger wohl. Er wurde Mitglied einer adeligen Ressource, suchte seine alte Meisterschaft auf dem Billard hervor, spielte mit Anstand Whist und L’hombre und trieb in müßigen Stunden etwas Politik und ein wenig Kunst. So verlebte die Familie eine behagliche und heitere Wintersaison, und der Freiherr und seine Gemahlin äußerten einander ihre Verwunderung, warum sie ihrem Leben nicht schon in früheren Jahren diese bescheidene und anständige Abwechslung gegönnt hätten.

      Nur Lenore war mit dem Umzug nicht ganz zufrieden. Sie fuhr fort, die Befürchtung ihrer Mutter zu rechtfertigen, daß sie ein Original werden könnte. Es wurde ihr schwer, den zahlreichen ältlichen Tanten der Familie eine anmutige Ehrerbietung zu bezeigen, und noch schwerer wurde ihr, lustige Herren aus der Nachbarschaft, gute Freunde ihres Vaters, die sie vom Gut her kannte, hier in der Stadt nicht zuerst anzureden, wenn sie ihnen auf der Straße begegnete. Auch das Behältnis war ihr peinlich, in dem sie die Bildung aus dem Mädcheninstitut nach Hause tragen mußte. Es war ein Zwitter von Tasche und Mappe, voll von langweiligen Heften und Lehrbüchern. Da die Mutter nicht gern sah, wenn der Bediente ihr die Schulbücher nachtrug, so schlenkerte sie das Ding verächtlich am Arm, sooft sie auf der Straße ging, blieb dabei von Zeit zu Zeit stehen und sah wie eine Juno mit dreistem Blick auf die Gruppen der Marktleute, auf Eckensteher, die sich prügelten, auf andere Menschenknäuel, welche sich in den Straßen einer großen Stadt zusammenballen. Einst, als sie so auf der Straße stand, die Mappe als Zeichen ihrer Sklaverei am Arme und einen kleinen Regenschirm in der Hand, siehe, da kam ihr auf dem Trottoir der junge Herr entgegen, den sie im Garten umhergeführt und über den Teich gefahren hatte. Sie freute sich darüber; er war ihr eine freundliche Erinnerung an das Gut, an ihren Pony und an das Volk der Schwäne. Noch war er eine Strecke entfernt, als ihre Falkenaugen ihn beobachteten. Er kam näher und sah sie nicht. Da ihr die Mutter verboten hatte, irgendeinen Herrn auf der Straße anzusprechen, so blieb sie in seinem Wege stehen und stampfte ihren Schirm befehlend vor ihm auf die Steine. Anton, der im Geschäftstrott war, blickte auf und sah mit der höchsten Freude, daß das schöne Fräulein vom See vor ihm stand. Er zog errötend seinen Hut, und das Fräulein erkannte aus seinem strahlenden Gesicht mit Befriedigung, daß trotz der Büchertasche ihre Erscheinung noch ebenso gewaltig auf ihn wirkte wie früher.

      »Wie geht es Ihnen, mein Herr?« fragte sie würdevoll, das Köpfchen zurückwerfend.

      »Sehr gut« sagte Anton. »Wie bin ich glücklich, Sie hier in der Stadt zu sehen.«

      »Wir wohnen jetzt hier«, sprach das Fräulein weniger vornehm, »für den Winter, Bärenstraße Nummer zwanzig.«

      »Darf ich fragen, wie sich der Pony befindet?« sagte Anton ehrfurchtsvoll.

      »Denken Sie, er hat zu Hause bleiben müssen«, klagte die Dame. »Und was treiben Sie hier?«

      »Ich bin in der Handlung von T. O. Schröter«, antwortete Anton mit einer Verbeugung.

      »Also Kaufmann«, sagte das Fräulein, »und womit handeln Sie?«

      »Kolonialwaren und Produkte; es ist das größte Geschäft in dieser Branche hier am Platze«, antwortete Anton mit Selbstgefühl.

      »Und haben Sie gute Menschen gefunden, die für Sie sorgen?«

      »Mein Prinzipal ist sehr gütig gegen mich«, antwortete Anton, »in Kleinigkeiten muß ich für mich selbst sorgen.«

      »Haben Sie auch Freunde hier, mit denen Sie sich unterhalten?« setzte das Fräulein ihr Examen fort.

      »Einige Bekannte. Ich habe aber viel zu tun, und in den Freistunden muß ich für mich lernen.«

      »Sie sehen auch etwas bleich aus«, sagte das Fräulein, ihn mit mütterlichem Wohlwollen betrachtend. »Sie müssen sich mehr Bewegung machen und fleißig spazierengehen. – Es ist mir angenehm gewesen, Sie hier zu treffen; ich werde mich freuen, wenn ich höre, daß es Ihnen wohl geht«, fügte sie, wieder in Majestät übergehend,

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