Soll und Haben. Gustav Freytag
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»Es ist trocken dort oben«, sagte Herr Pix zum Prinzipal.
»Können Sie die Zigarren nicht irgend anderswo unterbringen?« fragte der Prinzipal Herrn Pix rücksichtsvoll.
»Es ist unmöglich«, antwortete Herr Pix bestimmt.
»Haben Sie den ganzen Bodenraum zur Wäsche nötig, liebe Tante?« fragte der Prinzipal die Dame.
»Ich glaube, die Hälfte wäre genug«, warf Herr Pix dazwischen.
»Ich hoffe, Sie werden sich mit einer Ecke begnügen«, entschied der Prinzipal lächelnd. »Lassen Sie sogleich den Tischler einen Verschlag machen.«
»Wenn Herr Pix erst einmal auf dem Boden ist, so wird er unsere Wäsche verdrängen«, klagte die erfahrene Tante.
»Es soll die letzte Billigung sein, die wir ihm machen«, beruhigte sie der Prinzipal.
Herr Pix lachte still, wie die Tante später behauptete, mit einem rebellischen Grinsen, und gab unserm Helden, sobald sich die beiden Autoritäten entfernt hatten, sofort den Befehl, mit den Kisten wieder hinaufzuziehen.
Am größten aber war Herr Pix, sooft seine Vertrauten, die reisenden Kommis des Geschäfts, auf kurze Zeit in die Handlung zurückkehrten. Dann setzte sich das Provinzialgeschäft im Hinterhause zusammen und verarbeitete die Neuigkeiten des Landes. Dann entfaltete Herr Pix seine genaue Bekanntschaft mit allen Geschäftsleuten der Provinz, mit ihren Vermögensverhältnissen und ihrer Gemütsart, und verfügte in kurzen, aber gewichtigen Worten, wieviel an Vertrauen und Kredit den kleinen Handlungen zu schenken sei. Dann wurde Punsch getrunken und Solo gespielt, welches Spiel seines monarchischen Charakters wegen von Herrn Pix am meisten geschätzt wurde; doch behandelte er auch hier alle Kompaniegeschäfte mit Verachtung.
Was aber Herrn Pix in dem Auge der Mitwelt das größte Ansehen gab, das waren die Riesen, welche um die große Waage herum nach seinem Befehle schalteten, hohe breitschultrige Männer mit herkulischer Kraft. Wenn sie die großen Tonnen zuschlugen und rollten und mit Zentnern umgingen wie gewöhnliche Menschen mit Pfunden, so erschienen sie dem neuen Lehrling wie die Überreste eines alten Volkes, von dem die Märchen erzählen, daß es einst auf deutschem Boden gehaust und mit turmhohen Felsblöcken Märmel gespielt habe. Bald merkte Anton, daß sie selbst nicht einem Stamme angehörten. Da waren zuerst sechs Hausknechte, alle von der Natur aus zähem Holz über Lebensgröße ausgeführt. Sie gehörten ganz der Handlung an, waren die regelmäßigen Untergebenen des schwarzen Pinsels, ja mehrere von ihnen wohnten im Hause selbst und hatten allnächtlich der Reihe nach die Wache. Von neun Uhr ab saß dann Pluto, der Neufundländer des Fräuleins, neben einer riesigen Gestalt schweigend im Schatten eines großen Fasses. Diese Hausknechte, wie groß sie auch waren und wie stark, sahen doch den Söhnen sterblicher Menschen noch in manchen Stücken ähnlich. Daneben aber bildeten die Auflader der Kaufmannschaft eine besondere Korporation, welche auf dem Packhof vor dem Tore ihr Hauptquartier hatte und von dort aus die Ladungen nach den großen Warenhandlungen der Stadt schaffte oder abholte. Diese waren die mächtigsten unter den Riesen und einzelne unter ihnen von einer Körperkraft, wie sie in anderm Berufe nicht mehr gefunden wird. Sie hatten mit vielen Handlungen der Stadt zu tun, aber das alte angesehene Haus von T. O. Schröter war die irdische Stätte, auf der sie sich am liebsten herabließen, mit der kleinen Gegenwart zu verkehren. Seit mehr als einem Menschenalter war der Chef dieses Hauses der erste Vorstand ihrer Korporation gewesen. So hatte sich ein Klientenverhältnis zu der Firma gebildet. Herr Schröter empfing am Neujahr als erster ihren Glückwunsch und wurde Pate sämtlicher Riesenkinder, welche im Laufe des Jahres bei ihrer Taufe die Arme der diensttuenden Hebamme auf das Taufbecken herunterdrückten und den Geistlichen durch ihre ungeheuren Köpfe so beunruhigten, daß er seine Stimme zur Stärke des Donners erhob, um den Teufel aus ihnen herauszutreiben.
Unter diesen Lederschürzen war Sturm, ihr Oberster, wieder der größte und stärkste, ein Mann, der enge Hintergassen vermied, um seine Kleider nicht auf beiden Mauerseiten zu reiben. Er wurde gerufen, wenn eine Last so schwer war, daß seine Kameraden sie nicht bewältigen konnten, dann stemmte er seine Schulter an und schob die größten Fässer weg wie Holzklötzchen. Es ging von ihm die Sage, daß er einmal ein polnisches Pferd mit allen vier Beinen in die Höhe gehoben hätte, und Herr Specht behauptete, es gäbe für ihn nichts Schweres auf der Erde. Über seinem großen Körper glänzte ein breites Gesicht von natürlicher Gutherzigkeit, welche nur durch die Würde gebändigt wurde, die ein Mann von seiner Stellung besitzen mußte.
Er stand zur Firma in einem besonders freundschaftlichen Verhältnis und besaß ein einziges Kind, an dem er mit großer Zärtlichkeit hing. Der Knabe hatte seine Mutter früh verloren, und der Vater hatte ihn als fünfzehnjährigen Burschen in der Handlung von T. O. Schröter untergebracht in einer eigentümlichen Stellung, die er selbst für ihn ausgedacht. Karl Sturm war unter den Hausknechten ungefähr dasselbe, was Fink im Kontor war, ein Volontär, er trug seine Lederschürze und seinen kleinen Haken wie der Vater und war durch eignes Verdienst zu einem ausgedehnten Wirkungskreis gekommen. Er genoß das Vertrauen aller Mitglieder der Handlung, wußte in jedem Winkel des Hauses Bescheid, sammelte alle Bindfäden und Schnüre, alle Nägel und alle Faßdauben, hob alles Packpapier auf, fütterte den Pluto und unterstützte den Bedienten beim Stiefelputzen. Er konnte genau angeben, wo irgendeine Tonne, ein Brett, ein alter Warenrest lag. Wenn ein Nagel einzuschlagen war, so wurde Karl gerufen; sooft ein Stemmeisen verlegt war, Karl wußte es zu schaffen; wenn die Tante den Wintervorrat von Schinken und Würsten aufhob, so verstand Karl am besten, diese Schätze einzupacken, und wenn Herr Schröter eine schnelle Bestellung auszurichten hatte, so war Karl der zuverlässigste Bote. Zu allem anstellig, immer guter Laune und nie um Auskunft verlegen, war er ein Günstling aller Parteien, die Auflader nannten ihn ›unser Karl‹, und der Vater wandte sich oft von seiner Arbeit ab, um einen heimlichen Blick voll Stolz auf den Knaben zu werfen.
Nur in einem Punkte war er nicht mit ihm zufrieden: Karl gab keine Hoffnung, seinem Vater in Größe und Stärke gleich zu werden. Er war ein hübscher Bursch mit roten Wangen und blondem Kraushaar, aber nach dem Gutachten aller Riesen war für seine Zukunft keine andere als eine mäßige Mittelgröße zu erwarten. So kam es, daß der Vater ihn als eine Art Zwerg behandelte, mit unaufhörlicher Schonung und nicht ohne Wehmut. Er verbot seinem Sohne, beim Aufladen schwerer Frachtgüter anzugreifen, und wenn er plötzlich von einem Vatergefühl ergriffen wurde, so legte er die Hand vorsichtig auf den Kopf seines Karls, in der unbestimmten Furcht, daß die Köpfe von Zwergen nur die Dicke einer Eierschale hätten und bei einem kräftigen Druck zerbrechen müßten.
»Es ist einerlei, was das Ding lernt«, sagte er zu Herrn Pix, als er den Knaben nach der Konfirmation im Geschäft einführte, »wenn er nur zweierlei lernt: ehrlich sein und praktisch sein.« Diese Rede war ganz nach dem Herzen des Herrn Pix. Und der Vater fing seine Lehre auf der Stelle damit an, daß er den Sohn in das große Gewölbe unter die offenen Vorräte führte und zu ihm sagte: »Hier sind die Mandeln und hier die Rosinen, diese in dem kleinen Faß schmecken am besten, koste einmal.«
»Sie schmecken gut, Vater«, rief Karl vergnügt.
»Ich denk’s, Liliputer«, nickte der Vater. »Sieh, aus allen diesen Fässern kannst du essen, soviel du willst, kein Mensch wird dir’s wehren; Herr Schröter erlaubt dir’s, Herr Pix erlaubt dir’s, ich erlaube dir’s. Jetzt merke auf, mein Kleiner. Jetzt sollst du probieren, wie lange du vor diesen Tonnen stehen kannst, ohne hineinzugreifen. Je länger du’s aushältst, desto besser für dich; wenn du’s nicht mehr aushalten kannst, kommst du zu mir und sagst: Es ist genug. Das ist gar kein Befehl für dich, es ist nur wegen dir selber und wegen der Ehre.« So ließ der Alte den Knaben allein, nachdem er seine große dreischalige Uhr herausgezogen und auf eine Kiste neben sich gelegt hatte. »Versuch’s zuerst mit einer