Die toten Seelen. Nikolai Gogol

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Die toten Seelen - Nikolai Gogol

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Augenblick kamen Porfirij und Pawluschka ins Zimmer; der letztere war ein handfester Bursche, und es schien gar nicht vorteilhaft, mit ihm etwas zu tun zu haben.

      »Du willst also die Partie nicht zu Ende spielen?« fragte Nosdrjow. »Antworte!«

      »Es ist unmöglich, die Partie zu Ende zu spielen«, sagte Tschitschikow und blickte zum Fenster hinaus. Er sah seinen Wagen fertig im Hofe stehen, und Sselifan schien nur auf den Wink zu warten, um vorzufahren; es war aber gar keine Möglichkeit, aus dem Zimmer herauszukommen: In der Türe standen die beiden handfesten leibeigenen Narren.

      »Du willst also die Partie nicht zu Ende spielen?« wiederholte Nosdrjow, feuerrot vor Zorn.

      »Wenn du spielen würdest, wie es einem anständigen Menschen geziemt … so kann ich aber nicht.«

      »Aha! du kannst also nicht, Schurke! Weil du siehst, dass du bei mir nicht gewinnen kannst, sagst du plötzlich, dass du nicht kannst! Haut ihn«, schrie er wütend, sich an Porfirij und Pawluschka wendend, während er selbst ein Pfeifenrohr aus Weichselholz in die Hand nahm. Tschitschikow wurde bleich wie Leinwand. Er wollte etwas sagen, fühlte aber, dass seine Lippen sich nur lautlos bewegten.

      »Haut ihn«, schrie Nosdrjow, mit dem Pfeifenrohr in der Hand auf ihn losstürzend, ganz in Feuer und Schweiß, als gelte es, eine unbezwingbare Festung zu erobern. »Haut ihn«, schrie er mit einer Stimme, mit der bei einem wichtigen Sturmangriffe ein tollkühner Leutnant, dessen wahnsinnige Tapferkeit solche Berühmtheit erlangt hat, dass ein eigener Befehl ergangen ist, ihn in den entscheidendsten Augenblicken bei den Händen zu halten, seinen Soldaten: »Vorwärts, Kinder!« zuzurufen pflegt. Der Leutnant ist aber schon ganz im Banne der Schlacht, in seinem Kopfe dreht sich alles; das Vorbild Ssuworows schwebt ihm vor, es gilt eine große Tat. »Vorwärts, Kinder!« schreit er, vorwärts drängend, ohne sich zu überlegen, daß er dem vorberechneten allgemeinen Angriffsplan schadet, daß Millionen von Gewehrläufen aus den Schießscharten der unbezwingbaren, in die Wolken ragenden Festungsmauern starren, daß seine ohnmächtige Kompanie wie Flaum in die Luft fliegen wird und daß schon die verhängnisvolle Kugel pfeift, die ihm seinen vorlauten Mund verschließen wird. Wenn aber Nosdrjow einen solchen tollkühnen, besinnungslosen, eine Festung bestürmenden Leutnant darstellte, so machte die Festung, gegen die er zog, durchaus keinen unbezwingbaren Eindruck. Die Festung hatte im Gegenteil solche Angst, daß ihr das Herz in die Hosen gefallen war. Schon war ihm der Stuhl, mit dem er sich verteidigen wollte, von den Leibeigenen entrissen; schon war er, mehr tot als lebendig, mit geschlossenen Augen bereit, das tscherkessische Pfeifenrohr des Hausherrn zu kosten; doch dem Schicksale war es angenehm, die Seiten, die Schultern und alle die edlen Körperteile unseres Helden zu retten. Ganz unerwartet erklang plötzlich wie aus den Wolken Schellengeläute, ein Wagen fuhr dröhnend vor, und das schwere Schnaufen und Schnarchen einer erhitzten Troika wurde sogar im Zimmer vernehmbar. Alle blickten unwillkürlich zum Fenster hinaus: ein Mann mit Schnurrbart, in halb militärischer Uniform, stieg aus dem Wagen. Nachdem er sich im Vorzimmer erkundigt hatte, trat er ins Zimmer just in dem Augenblick, als Tschitschikow, der sich von seinem Schreck noch nicht erholt hatte, sich in der jämmerlichsten Lage befand, die je ein Sterblicher erfahren hat.

      »Darf ich fragen, wer ist hier Herr Nosdrjow?« fragte der Unbekannte, mit einigem Erstaunen bald auf Nosdrjow, der mit dem Pfeifenrohr in der Hand dastand, und bald auf Tschitschikow, der aus seiner unvorteilhaften Lage eben zu sich zu kommen begann, blickend.

      »Gestatten Sie zuerst die Frage, mit wem ich die Ehre habe?« fragte Nosdrjow, näher herantretend.

      »Ich bin der Polizeihauptmann.«

      »Und was wünschen Sie?«

      »Ich komme, um Ihnen eine mir eben zugegangene Meldung mitzuteilen, nämlich, daß Sie sich im Anklagezustand befinden, bis der gegen Sie schwebende Prozeß erledigt ist.«

      »Unsinn, was für ein Prozeß?« sagte Nosdrjow.

      »Sie sind in den Fall des Gutsbesitzers Maximow verwickelt, den Sie in trunkenem Zustande durch Rutenschläge persönlich beleidigt haben sollen.«

      »Sie lügen! Ich habe einen Gutsbesitzer Maximow nie im Leben gesehen.«

      »Mein Herr, lassen Sie es sich gesagt sein, daß ich Offizier bin. Das können Sie Ihrem Diener sagen und nicht mir.«

      Tschitschikow wollte gar nicht abwarten, was Nosdrjow darauf erwidern würde; er ergriff schleunigst seine Mütze, schlüpfte hinter dem Rücken des Polizeihauptmanns hinaus, stieg in seinen Wagen und befahl Sselifan, die Pferde im Galopp anzutreiben.

      Kapitel 5

      Unser Held hatte ordentlich Angst bekommen. Obwohl der Wagen im rasendsten Tempo dahinjagte, und Nosdrjows Besitzung schon längst hinter den Feldern, Anhöhen und Hügeln verschwunden war, blickte er noch immer voller Angst zurück, als setzte man ihm nach. Er atmete schwer, und als er die Hand versuchsweise aufs Herz legte, fühlte er, daß es so heftig hüpfte wie eine Wachtel in einem Käfig. »Das war mal ein Dampfbad! Ist das ein Kerl!« An die Adresse Nosdrjows ergingen noch viele schwere und kräftige Verwünschungen; sogar einige unanständige Worte waren darunter. Aber was soll man machen? Ein aufgebrachter Russe kann gar nicht anders! Die Sache war auch durchaus kein Scherz. »Man mag sagen, was man will,« sagte er zu sich selbst, »aber wäre der Landpolizeimeister nicht rechtzeitig gekommen, so käme ich vielleicht nicht mehr in die Lage, die Welt Gottes zu schauen! Wie eine Blase auf dem Wasser wäre ich geplatzt, ohne jede Spur, ohne Nachkommen, ohne meinen künftigen Kindern ein Vermögen und einen ehrlichen Namen zu hinterlassen!« Unser Held war um seine Nachkommenschaft außerordentlich besorgt.

      – So ein schlechter Herr! – dachte Sselifan. – So einen Herrn habe ich noch nie gesehen. Dem könnte ich einfach ins Gesicht spucken! Laß lieber einen Menschen hungern, aber einen Gaul mußt du doch füttern, denn der Gaul liebt den Hafer. Das ist seine Nahrung; was für uns zum Beispiel unsere Kost ist, das ist für ihn der Hafer: er ist seine Nahrung. –

      Auch die Pferde schienen ungünstig über Nosdrjow zu denken; nicht nur der Braune und der Assessor, sondern auch der Scheck waren schlechter Laune. Obwohl er immer einen schlechteren Hafer bekam und Sselifan ihm seine Portion niemals anders in den Trog schüttete als mit den Worten: »Ach, du Schuft!«, so war es doch immerhin Hafer und nicht gemeines Heu; er verzehrte den Hafer mit Hochgenuß und steckte seine lange Schnauze häufig in die Tröge seiner Freunde, um zu versuchen, was für eine Beköstigung sie bekamen, besonders, wenn Sselifan nicht im Stalle war. Aber diesmal kriegte er nichts wie Heu – das war gar nicht gut! Alle waren unzufrieden.

      Alle diese Unzufriedenen wurden aber bald in ihren Betrachtungen auf die unerwartetste Weise unterbrochen. Alle, auch der Kutscher, kamen erst dann zur Besinnung, als ein mit sechs Pferden bespannter Wagen sie überrannte und fast über ihren Köpfen das Geschrei der im Wagen sitzenden Damen und die Flüche und Drohungen des fremden Kutschers erklangen: »Ach, du Spitzbube! Ich habe dir doch laut zugeschrien: ›Wende nach rechts, du Krähe!‹ Bist du gar betrunken?« Sselifan sah sein Versehen wohl ein, aber da der Russe seine Schuld vor anderen nicht gerne zugibt, so nahm er eine stolze Haltung ein und sagte: »Und was fährst du so schnell? Hast du deine Augen etwa in der Schenke versetzt?« Gleich darauf versuchte er, seinen Wagen zurückzuziehen, um sich aus dem fremden Gespann zu befreien; es war aber nichts zu machen: alles war durcheinander geraten. Der Scheck beschnüffelte neugierig die neuen Freunde, die plötzlich rechts und links von ihm standen. Die Damen, die im Wagen saßen, verfolgten dies alles mit ängstlichen Mienen. Die eine war alt, die andere blutjung, vielleicht sechzehnjährig mit goldigem Haar, das hübsch und geschickt um ihr niedliches Köpfchen angeordnet lag. Das hübsche Oval ihres Gesichts rundete sich und schimmerte in einem durchsichtigen Weiß wie ein frisches Eichen, das frisch gelegt, von den braunen Händen der prüfenden Haushälterin gegen das Licht gehalten wird und die leuchtenden Sonnenstrahlen durchläßt; so durchsichtig

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