Die toten Seelen. Nikolai Gogol
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Der Skandal lockte die Bauern aus dem Dorfe herbei, das zum Glück in der Nähe lag. Da solch ein Schauspiel für einen Bauern ein Segen Gottes ist, wie für den Deutschen die Zeitung oder der Klub, so sammelte sich bald um die Equipagen eine ganze Menge; nur die alten Weiber und die kleinen Kinder blieben im Dorfe zurück. Man entwirrte die Stranghölzer und versetzte dem Schecken einige Püffe auf die Schnauze, so daß er zurückwich; mit einem Worte, die Wagen und die Pferde wurden getrennt. War es der Ärger, der die fremden Pferde befiel, weil man sie von ihren Freunden getrennt hatte, oder war es bloßer Eigensinn – sie blieben jedenfalls wie angewurzelt stehen, wie wütend der Kutscher auf sie auch einhieb. Die Teilnahme der Bauern nahm ungeheure Ausmaße an. Ein jeder kam mit seinem Ratschlag: »Geh, Andrjuschka, nimm du das rechte Beipferd am Zaum, Onkel Mitjaj soll sich aber aufs Mittelpferd setzen! Setz dich, Onkel Mitjaj!« Der hagere, lange, rotbärtige Onkel Mitjaj bestieg das Mittelpferd und wurde sofort dem Glockenturm einer Dorfkirche ähnlich oder richtiger einem Haken, mit dem man das Wasser aus dem Brunnen heraufholt. Der Kutscher hieb wieder auf die Pferde ein, doch ohne jeden Erfolg: Onkel Mitjaj hatte nicht viel erreicht. »Halt, halt!« schrien die Bauern. »Onkel Mitjaj, setz du dich auf das Beipferd, und auf das Mittelpferd soll sich Onkel Mitjaj setzen!« Onkel Minjaj, ein breitschultriger Bauer mit pechschwarzem Bart und einem Bauch wie jener Riesensamowar, in dem das wärmende Getränk für einen ganzen frierenden Markt gekocht wird, bestieg nicht ungern das Mittelpferd, das sich unter ihm fast bis zur Erde senkte. »Jetzt geht die Sache!« schrien die Bauern. »Hau zu, hau zu! Gib ihm die Peitsche, dem Braunen! Was zappelt er wie eine Mücke?« Als sie aber sahen, daß die Sache gar nicht vorwärts ging und das Hauen nichts half, bestiegen Onkel Mitjaj und Onkel Minjaj gemeinsam das Mittelpferd, während sich auf das Beipferd Andrjuschka setzte. Schließlich verlor der Kutscher die Geduld und jagte wie den Onkel Mitjaj so auch den Onkel Minjaj davon; und er tat gut daran, denn von den Pferden stieg sofort solch ein Dampf auf, als hätten sie, ohne Atem zu holen, mindestens eine Station zurückgelegt. Er ließ sie eine Minute ausruhen, und dann begannen sie ganz von selbst zu laufen. Während dieser Ereignisse betrachtete Tschitschikow sehr aufmerksam die junge Unbekannte. Er versuchte einigemal, mit ihr ins Gespräch zu kommen, aber es gelang ihm nicht. Die Damen fuhren indessen davon, das hübsche junge Mädchen mit den feinen Gesichtszügen und der feinen Taille verschwand wie eine Vision, und nur der Wagen, die Straße, die dem Leser schon bekannten drei Pferde, Sselifan, Tschitschikow und die leeren, glatten Felder blieben zurück. Überall im Leben, wie in seinen rohen, armseligen, verschimmelten, unappetitlichen Schichten, so auch unter den eintönig kalten, langweilig sauberen Ständen, überall begegnet dem Menschen wenigstens einmal im Leben eine Erscheinung, die allem, was er bisher gesehen hat, unähnlich ist und die in ihm wenigstens einmal ein Gefühl weckt, das von allen Gefühlen, die er je empfunden, verschieden ist. Überall, allen Leiden zum Trotz, aus denen unser Leben gewebt ist, fliegt plötzlich eine schimmernde Freude vorbei, wie eine glänzende Equipage mit goldenem Geschirr, herrlichen Rossen und funkelnden Spiegelscheiben, die unerwartet an einem entlegenen armen Dörfchen vorüberjagt, das außer den Bauernwagen nie etwas gesehen hat: lange stehen die Bauern mit weit aufgerissenen Mündern und entblößten Köpfen da, obwohl die wunderbare Equipage schon längst ihren Blicken entschwunden ist. Ebenso unerwartet ist auch diese Blondine in unserer Erzählung aufgetaucht und dann ebenso plötzlich verschwunden. Wäre an Tschitschikows Stelle irgendein zwanzigjähriger Jüngling – ein Husar, ein Student oder sonst irgendein junger Fant, der erst eben ins Leben tritt – mein Gott! – was wäre da in ihm nicht alles erwacht! Lange stünde er wie erstarrt am gleichen Fleck, die Augen wie geistesabwesend in die Ferne gerichtet, gleichgültig gegen den Weg und die ihn erwartenden Vorwürfe und Rügen wegen der Versäumnis, ohne an sich selbst, an den Dienst, an die Welt und alles in der Welt zu denken.
Unser Held war aber schon in mittleren Jahren und von einem kühlen und umsichtigen Charakter. Er versank zwar in Gedanken, doch diese waren nicht so phantastisch, sondern gründlich und mehr positiver Natur. »Ein nettes Mädel!« sagte er, indem er seine Tabaksdose öffnete und eine Prise nahm. »Was ist aber an ihr so schön? Schön ist an ihr, daß sie soeben aus einer Pension oder einem Institut kommt und daß ihr noch alles Weibische fehlt, also gerade das, was an den Frauen am unangenehmsten ist. Sie ist jetzt wie ein Kind; alles an ihr ist einfach: sie sagt, was ihr in den Sinn kommt, und lacht, wenn sie eben lachen will. Aus ihr kann man alles machen: sie kann zu einem wahren Wunder heranwachsen und auch zu einem Ekel, und es wird aus ihr auch sicher ein Ekel werden! Wenn nur alle die Mamachen und Tantchen sie in Behandlung nehmen – in einem einzigen Jahre werden sie sie dermaßen mit allerlei Weibereien vollstopfen, daß ihr eigener Vater sie nicht mehr erkennen wird. Sie wird plötzlich aufgeblasen und geziert werden, wird sich darüber den Kopf zerbrechen, wie, wie lange und mit wem sie sprechen darf und wen sie anschauen soll; sie wird jeden Augenblick fürchten, mehr zu sagen, als nötig; sie wird sich in allen diesen Dingen verstricken und zuletzt ihr ganzes Leben zu einer Lüge machen; weiß der Teufel, was aus ihr werden wird!« Tschitschikow hielt in seinen Gedanken inne und fuhr dann fort: »Es wäre doch interessant, zu wissen, aus welcher Familie sie ist? Was mag ihr Vater sein? Ist er ein angesehener reicher Gutsbesitzer oder einfach ein wohlgesinnter Mann mit einem im Staatsdienste erworbenen Vermögen? Wenn dieses Mädchen so an die zweihunderttausend Rubelchen mitbekäme, wäre sie ein recht leckerer Bissen. Dann könnte sie sozusagen ein Glück für einen anständigen Menschen bilden.« Die zweihunderttausend Rubelchen malten sich so verlockend in seinem Kopfe, daß er sich schon zu ärgern begann, daß er während der Geschichte mit den Equipagen vom Vorreiter oder Kutscher nicht erfragt hatte, wer die durchreisenden Damen waren. Das Gut Ssobakewitschs, das bald vor ihm auftauchte, zerstreute jedoch seine Gedanken und lenkte sie auf den einzigen, ihn immer interessierenden Gegenstand.
Das Dorf erschien ihm recht groß; zwei Wälder – ein Birken- und ein Fichtenwald – faßten es wie zwei Flügel – der eine dunkler, der andere heller – von rechts und links ein: in der Mitte ragte das hölzerne Herrenhaus mit einem Mezzanin, einem roten Dach und Wänden von dunkelgrauer, oder richtiger, unbestimmter Farbe – ein Haus, wie man sie bei uns für Militärsiedlungen und deutsche Kolonisten zu bauen pflegte. Es war ihm anzusehen, daß der Baumeister bei seiner Arbeit ständig mit dem Geschmack des Hausherrn zu kämpfen hatte. Der Baumeister war ein Pedant und strebte nach Symmetrie; der Hausherr dachte aber nur an Bequemlichkeit und hatte wohl infolgedessen alle Fenster an der einen Seite vernagelt und an ihrer Stelle nur ein einziges durchbrochen, das er wohl für eine dunkle Kammer brauchte. Auch das Fronton kam trotz aller Bemühungen des Baumeisters nicht in die Mitte des Hauses, denn der Hausherr hatte ihm befohlen, eine der seitlichen Säulen zu beseitigen, und so standen statt der beabsichtigten vier Säulen nur drei da. Der Hof war von einem festen und ungewöhnlich dicken Holzgitter eingefriedigt. Der Besitzer legte anscheinend überhaupt das größte Gewicht auf Dauerhaftigkeit. Die Pferdeställe, Schuppen und Küchengebäude waren aus schweren, dicken Balken errichtet, als sollten sie Ewigkeiten überdauern. Auch die Bauernhäuser waren wunderbar fest gezimmert; es gab an ihnen zwar kein Schnitzwerk und sonstige Verzierungen, dafür waren die Balken fest und ordentlich aneinandergefügt. Selbst das Brunnengehäuse war aus festem Eichenholz gemacht, wie man es nur für Mühlen und Schiffe verwendet. Mit einem Wort – alles, was Tschitschikow auch sah, stand unwankbar und solide in einer festen und plumpen Ordnung da. Als sein Wagen vorfuhr, erblickte Tschitschikow zwei Gesichter, die fast gleichzeitig zum Fenster hinaussahen: ein weibliches, lang und schmal wie eine Gurke, mit einer Haube bekleidet, und ein männliches, rund und breit wie ein moldauischer Kürbis, aus dem man in Rußland die zweisaitige, leichte Balalaika macht, den Stolz und die Freude eines forschen zwanzigjährigen Bauernburschen, der den Mädchen mit weißem Busen und weißem Hals, die sich versammelt haben, um dem leisen