Das Eulenhaus. Eugenie Marlitt

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Das Eulenhaus - Eugenie Marlitt

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brauche ich vielleicht den Mammon?« Er schüttelte energisch den Kopf. »Ich habe genug und übergenug zu leben bis an mein seliges Ende – Sorgen kenne ich nicht, und das verdanke ich meiner seligen gnädigen Frau. Nein, damit dürfen Sie mir nicht kommen, gnädiger Herr, damit nicht! … Nicht ein Bröckchen, nicht so viel, daß man einen Zwirnsfaden damit wichsen kann, nehme ich von dem Zeug da! – Aber ich sage nun auch, gut ist’s, gleich vor die rechte Schmiede zu gehen. Mag doch einer herüberkommen und die Nase hineinstecken, da gibt’s nachher kein dummes Gerede!«

      4

      Am Nachmittag des anderen Tages schritt Klaudine durch den Wald nach dem Neuhäuser Geroldshofe. Sie wollte selbst mit Beate sprechen. Sie hatte den schmalen Fußweg gewählt, der nach verschiedenen Krümmungen auf die breite, in der Nähe des Altensteiner Geroldshofes von der Chaussee abzweigende Fahrstraße mündete.

      Es war ein beträchtliches Stück Weges, das sie zurücklegen mußte, aber sie ging auf weichem Moos und Gräsern wie auf Samt, und über ihr dunkelte das festverwachsene, von kräftigem Grün strotzende Geäst der Baumriesen. Sie selbst, der schöne Schwan der Geralds, wie ihr Bruder sie zärtlich nannte, wandelte in ihrem hellen Sommerkleid, mit dem weißen Strohhut über der Stirn, wie ein Lichtschein durch das köstlich kühle, grüne Dämmern, das sie umfing, bis sie die Fahrstraße betrat. Von da ging es ganz allmählich bergauf in lichter werdendem Gehölz, dann an Kleeäckern und Kornbreiten vorüber durch das ganze, weithingebreitete, segentriefende Mustergelände.

      Unwillkürlich bückte sie sich, um eine Handvoll Butterblumen zu pflücken, die wie Goldaugen auf dem fetten Wiesengrase leuchteten. Nicht lange, da blinkten auch die Fensterreihen des Gutshauses auf. Es lag auf einer sanften Bodenerhebung. Kurz gehalten, samtartig legte sich der Rasen über die Abhänge.

      Klaudine stieg einen der schmalen Wege hinauf, die den Rasen durchschnitten. Sie ging mit gesenkter Stirn und sah erst auf, als sie den Kies unter den Linden an der Westseite des Hauses betrat, und da schrak sie zusammen und hielt einen Moment unangenehm betroffen und unschlüssig den Schritt an. Neuhaus hatte Gäste.

      Eine Dame, die offenbar promenierend im Lindenschatten auf und ab gegangen war, trat ihr entgegen, eine stattliche Erscheinung mit sehr weißem Gesicht und südlich flammenden, dunklen Augen. Ihre elegante, grauseidene Schleppe fegte den Kies, und in dem Kamme, der ihre vollen Haarsträhnen hoch auf dem Scheitel zusammenhielt, blitzten bei jeder Wendung farbige Steine auf. Sie trug ein Kind auf dem Arme, ein hageres, gelbes Geschöpfchen in weißem Tragkleid, dessen Spitzenkanten nahezu den Boden streiften.

      Klaudines Blick hing wie festgebannt an dem Kindergesichtchen. Sie kannte diese großen, funkelnden Beerenaugen, das gebogene Näschen über den starkgeschwellten Lippen, die niedere Stirn, auf welcher sich die dicken, schwarzen, feuchtglänzenden Haare so eigenwillig aufsträubten – das war der Gesichtstypus der Seitenlinie des herzoglichen Hauses.

      »Will haben!« stammelte die Kleine und reichte verlangend nach den Butterblumen in Klaudines Hand.

      Die junge Dame wollte ihr freundlich lächelnd den Strauß in das ausgestreckte Händchen drücken, aber die Trägerin des Kindes wich so rasch zurück, als sei die beabsichtigte Berührung ansteckend. »O bitte – nicht! Ich kann das nicht erlauben!« protestierte sie, und ihr Blick streifte hochmütig den einfachen Anzug der jungen Dame. Bei dieser Weigerung erhob das Kind ein ohrzerreißendes Geschrei.

      Im gleichen Augenblick bog ein Herr um die Hausecke. »Weshalb schreit denn die Kleine so häßlich?« rief er, rasch näherkommend, mit hörbarem Unwillen.

      Klaudine nahm unwillkürlich die kühl ablehnende Haltung an, die ihr am Hofe Schild und Panzer gewesen war.

      – Baron Lothar war nach Deutschland zurückgekehrt, und das kleine, eigensinnige Mädchen da war sein Kind.

      »Will haben!« wiederholte die Kleine und zeigte nach den Blumen.

      Baron Lothar drohte ihr ernst mit dem Finger, worauf sie scheu verstummte. Eine jähe Glut war in sein bärtiges Gesicht geschossen, und aus seinen Augen fuhr ein Blitz über die ernst-ruhige Erscheinung der ehemaligen Hofdame. Nichtsdestoweniger verbeugte er sich tief und ritterlich vor ihr.

      »Kind«, sagte er spöttisch lächelnd zu der Kleinen, während er ihr mit seinem Taschentuch die Tränen von dem hageren Gesichtchen wischte, »wer wird Blumen begehren, die andere pflücken! Und weißt du nicht, daß Frauenhand da am liebsten verweigert, wo gewünscht wird?«

      Klaudine sah ihm, diesem verzogenen, vergötterten Liebling aller Damen, mit ungläubigem Erstaunen in das Gesicht, aber sie blieb seiner Bemerkung gegenüber vollkommen unbefangen. »Durch mich soll das Kindchen da diese erste schlimme Erfahrung gewiß nicht machen«, entgegnete sie gelassen. »Auch habe ich kaum ein Recht an diese Blumen – sie sind auf Ihrer Wiese gewachsen. Erlauben Sie jetzt —?« wandte sie sich an die Trägerin des kleinen Mädchens.

      Baron Lothar drehte sich rasch um und fixierte die stattliche Dame mit einem zornig erstaunten Blicke. »Jetzt?« wiederholte er. »Wieso?«

      »Ich fürchtete, Leonie möchte die Blumen in den Mund stecken«, antwortete die Dame stockend. Verlegenheit und Ärger stritten in ihrer Stimme.

      »Und die Wiesenblumen, die unbarmherzig zerzupft dort massenhaft neben dem Kinderwagen und auf seinen Decken liegen, wer hat ihr die gegeben, Frau von Berg?«

      Die Dame schwieg und wandte den Kopf.

      Klaudine beeilte sich, dem Kind den Strauß hinzureichen, denn die Szene wurde peinlich. In demselben Augenblick waren aber auch die zwei kleinen Fäuste dabei, die armen, gelben Dinger in Atome zu zerzupfen. Klaudine mußte unwillkürlich an die Mutter des Kindes, die Prinzessin Katharina, denken, von der man sich erzählte, daß sie in der ersten Zeit ihrer verschwiegenen Liebe alle vielblättrigen Blumen bei dem gemurmelten »Er liebt mich und so weiter« zerzupft habe.

      Baron Lothar sah mit gerunzelten Brauen auf die kleinen Vandalenhände und zuckte die Achseln. »Ich möchte Sie übrigens bitten, die Kleine wieder in gestreckte Lage zu bringen«, sagte er zu Frau von Berg. »Sie sitzt jedenfalls schon zu lange und ist ermüdet. Man sieht es an der Krümmung des Rückens.«

      Die Dame rauschte mit zurückgeworfenem Kopfe nach dem Kinderwagen, während sich Klaudine verabschiedend vor dem Herrn des Hauses neigte. Allein er blieb an ihrer Seite.

      Beim Umbiegen um die Hausecke kam ihnen ein leichter Zugwind entgegen. Er erregte ein leises Blätterrauschen in den Lindenkronen über ihnen.

      »Wie es geheimnisvoll raunt da oben!« sagte Baron Lothar. »Wissen Sie auch, von was die alten Bäume flüstern? Von den Montecchi und Capuletti des Paulinentales.«

      Die junge Dame lächelte kühl. »Im Mädcheninstitut besinnt man sich selten auf den Familienzwist daheim«, entgegnete sie gelassen. »Man hat sich gern und fragt nicht, ob man auch darf, und wenn ich heute den von den Meinen gemiedenen Boden betrete, so gilt es eben auch nur der Pensionsschwester. Ich war schon einmal während meiner letzten Institutsferien in Neuhaus. Die alten, schönen Bäume kennen mich.«

      Er verbeugte sich schweigend und ging weiter, und sie betrat den Hausflur. Sie brauchte nicht nach Beate zu fragen, denn hinter der nächsten Tür, die zu einem nach der Hofseite liegenden Gelaß führen mochte, klang in energischer Weise die gebieterische Stimme der »Pensionsschwester«.

      »Geh, sperre dich nicht, kindisches Ding!« schalt sie drin. »Ich habe keine Zeit zu vertrödeln – die Hand her!« Eine momentane Pause. »Sieh, sieh, wie schön die Schnittwunde heilt! Nun können wir auch den Nähfaden wieder herausziehen!« Der leise Aufschrei einer jugendlichen Stimme erfolgte, dann war es still.

      Klaudine

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