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style="font-size:15px;">      Klaudine trat einstweilen wieder an das Fenster zurück. Ihre Wangen brannten und die feinen Brauen zogen sich in finsterem Brüten zusammen. Was alles mochten Bosheit und Leichtfertigkeit im Herzogsschloß ersinnen, um ihr, die mutig einen ihr besseres Selbst rettenden Schritt getan, Steine nachzuwerfen! Und womit hatte sie den Mann, der eben hinausging, je so beleidigt und gereizt, daß er ihr mit anscheinend scherzhaft hingeworfenen, aber in Wahrheit verletzenden Bemerkungen das kaum beschwichtigte Herz aufregen durfte?

      Da draußen, dem Fenster ziemlich nahe, stand der Wagen mit seinem Kinde. War er verbittert und ließ es andere entgelten, weil sie von ihm gegangen war, die fürstliche Frau, die seinem Dasein einen unerhörten Glanz gegeben hatte? Er mochte freilich schwer tragen an seinem Geschick. Sie war ihm für immer entrissen, und was ihm von ihr geblieben, da lag es, gebrechlich und hilflos, und der glänzende Reichtum, den die Prinzessin hinterlassen, vermochte nicht, ihrem Kinde so viel Kraft zu geben, daß es auf seinen Füßen treten konnte! Wieviel war schon um dieses winzige Geschöpfchen gekämpft und gestritten worden! Die Großmutter, die Prinzessin Thekla, die sich über den Tod ihrer Lieblingstochter nicht beruhigen konnte, war selbst in Italien gewesen, um sich das Kind zu erbitten, aber Baron Lothar hatte sie entschieden zurückgewiesen. Nun flüsterte man bei Hofe, die alte Dame verfolge den Plan, dem verwitweten Schwiegersohn die ihr gebliebene Tochter, Prinzessin Helene, als zweite Frau zu geben, damit das geliebte Enkelkind nicht in die Hände einer fremden Stiefmutter falle, und einige Kluge, die das Gras wachsen hörten, wollten wissen, daß die junge Prinzessin nicht »nein« sagen würde, da sie ja schon zur Zeit der Brautschaft ihrer Schwester eine stille Neigung für den schönen Schwager gehegt habe. Prinzessin Helene war hübscher als die Verstorbene, aber sie hatte auch die großen, unheimlichen Funkelaugen, mit denen das Kind da draußen unverwandt hinauf in das Lindengeäst starrte, während eine alte Kinderfrau strickend neben dem Wagen saß.

      Ein starkes Räderrollen erschütterte den Boden unter den Füßen der jungen Dame, und gleich darauf trat Beate, zum Ausgehen umgekleidet, wieder in das Zimmer. Sie nahm das Weidenkörbchen mit den Erdbeeren vom Tische und hing es an den Arm. »Für deine kleine Elisabeth«, sagte sie zu Klaudine, und ein roter Schimmer lief über ihr Gesicht.

      Zuckerdose und Kuchenreste wurden noch eiligst im Wandschrank verschlossen, dann ging es fürbaß.

      Draußen vor der offenen Haustür hielt ein Wagen mit zurückgeschlagenem Verdeck. Baron Lothar saß auf dem Bock und hielt die Zügel.

      »Vorwärts, Schatz!« trieb Beate, als Klaudine wie erschreckt auf den Türstufen sichtlich zögerte eine solche Aufmerksamkeit in Neuhaus anzunehmen. »Die schmucken Kerlchen da vorn« – sie zeigte nach den Pferden, herrlichen, jungen Tieren, die sich ungestüm gebärdeten – »schnauben wie die Sonnenrosse, sie möchten uns am liebsten durchbrennen.«

      Gleich darauf brauste der Wagen unter den Linden hin und die Fahrstraße hinab. Baron Lothar lenkte das feurige Gespann leicht, mit spielender Sicherheit. Und dabei musterte er von Zeit zu Zeit die Roggen- und Rübenfelder, die mit grünen Früchtebüscheln besetzten Zweige der Obstbäume zu beiden Seiten des Fahrweges. Aber nicht einmal wandte er sich nach den Insassen des Wagens zurück. Er hatte vorhin Klaudines Zögern gesehen und den Widerspruch in ihren Zügen gelesen, sie wußte es, denn ihr Blick war dem seinen begegnet, einem Spottblick, der ihr das Blut in die Wangen getrieben hatte, aber wohl oder übel mußten sie nun doch zusammen fahren, »Montecchi und Capuletti« in einem Wagen, der mit seiner hellen Atlaspolsterung, seiner ganzen blitzenden und schimmernden, vornehmen Ausrüstung wie ein verkörpertes Stück Hofglanz durch das Paulinental flog.

      In würzigen Feld- und Walddüften und in dem tiefen Goldglanz der Spätnachmittagssonne förmlich schwimmend, breitete sich das schöne, weite Tal hin, das der kleine, weit droben aus dem Berg quellende Fluß in fröhlichem Lauf durchschnitt. Wellenglitzernd, bald verdunkelt unter Weidengebüsch hinkriechend, bald im freien Sonnenlicht übermütig an den Uferblumen reißend, kam er daher, der Schuldige, der im Verein mit Gewitterregengüssen wiederholt zum wilden Raubtier geworden war. Wer sah es ihm an, daß er einen Teil des Geroldschen Wohlstandes verschlungen hatte?

      Ringsum, wohin der Blick fiel, wurde noch rüstig vor Feierabend gearbeitet. Die Sense des Mähers fuhr mit blendendem Blitz durch das niederrauschende Wiesengras, in den Furchen der Kartoffeläcker arbeiteten ganze Reihen gebückter Frauen mit der Hacke, und auf dem Anger am Flußufer und zwischen den wilden Schlehenbüschen der rasigen Raine trieben barfüßige, im Gehen strickende Mädchen ihre Gänse und Ziegen vor sich her. Hoch vom Walde herunter aber erscholl das taktmäßige Anschlagen der Holzaxt. Treuherzig grüßende Zurufe der fleißigen Menschen flogen den Vorüberfahrenden von allen Seiten zu und wurden freundlich erwidert, und Klaudine kam zum erstenmal der Gedanke, daß sich die Insassen des stolzen Wagens nicht vor dem schweißtriefenden Arbeiterfleiß zu schämen brauchten; sie arbeiteten und schafften auch, die eine im angeborenen Tätigkeitstrieb, und die andere um die Genugtuung willen, sich die Selbstachtung zu retten, sich nützlich zu machen und damit das Wohl geliebter Menschen zu fördern.

      Für einen kurzen Augenblick wurde weit drüben hinter den Baumwipfeln der Gärten das mächtige Schieferdach des Altensteiner Gutshauses sichtbar. Die Fahnenstange ragte noch kahl in die Lüfte – das schmerzlich beweinte verlorene Vaterhaus beherbergte den neuen Besitzer mithin noch nicht. Aber auf der Straße kam langsam ein schwerbeladener Möbelwagen daher, dem ein niederes Gefährt mit der Holzkiste eines Konzertflügels folgte.

      »Der neue Nachbar zieht ein, wie es scheint«, sagte Beate mehr wie für sich und musterte mit scharfem Blick die vorüberfahrenden Wagen.

      In diesem Augenblick wandte sich Baron Lothar rasch nach Klaudine zurück.

      »Sie wissen, wer das Gut gekauft hat?« unterbrach er sein bisheriges Schweigen so urplötzlich, wie ein Richter, der seinen Angeklagten in einem unbedachten Augenblick zu überrumpeln sucht.

      »Wie kann ich das wissen?« gab sie, durch seinen Ton befremdet, etwas scharf zurück. »Wir suchen zu vergessen, daß wir jenseits des Waldes zu Hause waren, und forschen grundsätzlich nicht, wer dort nach uns kommt.«

      »Das weiß hier im Tal noch niemand, Lothar«, bestätigte Beate. »Unsere besten Klatschweiber im Dorfe zerbeißen sich die Zähne an der harten Nuß. Mich beschleicht manchmal die geheime Furcht, daß ein reicher Industrieller der Käufer ist, und das, was ich eben durch die Vorhanglücken des Möbelwagens gesehen habe, bestärkt mich in dem Glauben – diese Leute können es ja nie stilvoll und glänzend genug haben! Schrecklich! Qualmende Fabrikschlote in unserem schönen, luftreinen Tal!«

      Baron Lothar hatte sich längst wieder umgewendet; er antwortete nicht und ließ die Peitsche auf dem Rücken der Pferde spielen. Und weiter brauste der Wagen.

      »Sieh, sieh, wie hübsch sich doch dein Eulenhaus herausgemausert hat!« rief Beate überrascht, als die kleine Besitzung in Sicht kam. »Seit meinem letzten Besuch bei dir und deiner Großmama bin ich nicht wieder hierhergekommen. Es hat sich ja förmlich mit einem grünen Mantel behangen!«

      Sie hatte recht. Erst in ihren letzten Lebensjahren hatte die verstorbene Besitzerin Anpflanzungen von wildem Wein am Turm gemacht. Noch vor vierzehn Tagen hatten die mit schwach entwickelten Blättchen besetzten Ranken nur wie ein dünnes, wenig sichtbares Fadennetz die Mauern umstrickt, heute aber ließ das üppige Blattgewebe nur noch ein paar Fensterbogen frei. Bis über die untere Turmstube kroch es hinauf; es umrahmte die auf die Plattform führende Glastür und hing seitwärts wieder über dem Geländer herab.

      Heinemann hatte der kleinen Elisabeth eben ein Vogelnest hoch im Gebüsch gezeigt, er trug das Kind noch auf dem Arme und ging so dem herankommenden Wagen entgegen. In ängstlicher Spannung zog er die dicken, gelben Brauen in die Höhe – kamen die dort vielleicht gleich mit, um ihren Anteil zu fordern?

      Der Wagen hielt. Der alte Gärtner öffnete mit einem höflichen

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