Das Eulenhaus. Eugenie Marlitt

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Das Eulenhaus - Eugenie Marlitt

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      »Ich bin überzeugt und leiste hiermit Abbitte!« unterbrach er sie und neigte in sarkastischer Unterwürfigkeit sein Haupt. »Sie scheinen nicht bloß das Aschenbrödel, Sie sind es in Wirklichkeit. Ein Mann kann sich freilich schwer in eine solche Situation hineindenken, aber einen pikanten Reiz mag es schon haben, augenblicklich in der grauen Puppenhülle zu verschwinden, um später mit strahlenden Flügeln in Sonnenhöhe aufzusteigen.«

      Sie preßte die Lippen aufeinander und schwieg, weil sie wußte, daß sie sich vor ihrer eigenen Stimme entsetzen würde, wenn sie auch nur mit einem einzigen Worte ein Thema berührte, das sie tief verschwiegen in der Brust trug, und welches er immer wieder hartnäckig, mit einer Art von Verbissenheit aufnahm.

      Sie trat seitwärts, um ihm den Weg freizugeben, und er schritt weiter. Sie gingen an der Schattenseite, unter überhängenden Buchenzweigen hin. Man hörte eine Zeitlang nur die Schritte des kräftig ausschreitenden Mannes und das Hufeklappern des geduldig nebenher gehenden Pferdes, bis die kleine Elisabeth das drückende Schweigen mit einem Schmeichelnamen für den »guten, braven Fuchs« unterbrach.

      »Es hat auch nicht die geringste Ähnlichkeit mit seiner brünetten, spanischen Mutter, dies kleine deutsche Blondchen«, sagte Baron Lothar, während er in das reizende Kindergesicht sah. »Sie hat die Altensteiner Augen. Wir haben in Neuhaus das Bild unserer Urgroßmutter, die bekanntlich eine Altensteiner gewesen ist. Ein so wilder Junge ich auch war und so wenig Interesse die steifen Porträts an den Wänden für mich hatten, vor jenem schönen großen Ölbild bin ich doch stets stehen geblieben, wenn unsere Staatszimmer oben einmal ausnahmsweise zugänglich waren. ›Die Lilie des Tales‹ hat sie der damalige Herzog Ulrich genannt. Aber sie ist eine scheue Frau gewesen, die nie wieder zu Hofe gegangen ist, seit ihr Seine Hoheit einmal allzu feurig die Hand geküßt hat.«

      Wieder war es still und in das Knirschen des Steingerölls unter den Tritten der Dahinschreitenden mischte sich jetzt auch das Piepen und Zwitschern in einem Vogelnest über ihren Häuptern.

      »Kleine Vögelchen sind auf dem Baume, ich weiß es, Heinemann hebt mich immer hoch und läßt mich in das Nest sehen«, sagte die Kleine mit einem begehrlichen Blick nach oben.

      Er lachte. »Das ist zu hoch, kleiner Schelm, da hinauf können wir nicht! Aber sieh, wie die blauen Augen auch funkeln können! Ich glaube nicht, daß sich das sanfte Sternenlicht in den Augen meiner schönen Urgroßmutter je so verwandelt hat. Bei den Neuhäuser Gerolds ist der Frauenkopf mit dem aschblonden Lockenhaar nicht wieder aufgetaucht, keine der weiblichen Nachkommen hat das Gesicht geerbt, so viele Töchter auch in Neuhaus gefreit worden sind. Ich meinte deshalb immer, die Frau sei einzig in ihrer Art gewesen. Erst später, viel später überzeugte ich mich, daß jenes Gesicht Erbeigentümlichkeit der Altensteiner sei. Es war an unserem Hofe. Ich war mit dem Herzog auf der Jagd gewesen und wir kamen spät, gerade in dem Augenblick in den Salon der Herzogin-Mutter, als eine neue Hofdame an den Flügel trat, um ›Das Veilchen‹ von Mozart zu singen.« – Er bog sich vor, um ihr in das Gesicht zu sehen. – »Sie erinnern sich selbstverständlich des Abends nicht?«

      Sie schüttelte mit einem lebhaften Erröten den Kopf. »Nein. Ich habe ›Das Veilchen‹ so oft singen müssen, daß sich keine besondere Erinnerung für mich daran knüpft.«

      Er hatte für einen Augenblick den Schritt angehalten, aber nun ging es in beschleunigtem Tempo wieder vorwärts.

      Nicht lange mehr, da schimmerte das bunte Blumenfeld des Gartens durch das lichter werdende Unterholz, und das Gebell des Hundes klang herüber. Herrn von Gerold mochte doch nachträglich das plötzliche Erscheinen seiner Schwester in der Glockenstube und ihre hastige Frage nach dem Kinde nachdrücklicher zum Bewußtsein gekommen sein, er hatte wohl auch ihr ängstliches Rufen, gehört und sich schließlich selbst aufgemacht, zu suchen, denn er kam jetzt eilenden Schrittes daher, und zwischen den Eibenbäumen des Garteneinganges bog sich scheu ein mit Kompressen umwickelter Frauenkopf in der Nachthaube – Fräulein Lindenmeyer hatte sich in ihrer Herzensangst selbstvergessen bis an die äußerste Grenze des Grundstückes gewagt, jetzt freilich rannte sie beim Erblicken der hohen, fremden Männergestalt, mit fliegenden Röcken und das Schaltuch schleunigst über den Kopf geworfen, nach dem Hause zurück.

      Noch vor wenigen Tagen würde Herr von Gerold an dem Neuhäuser fremd und unberührt von irgend einem verwandtschaftlichen Gefühl vorübergegangen sein, gestern aber hatte Baron Lothar seiner Schwester einen ritterlichen Dienst geleistet und heute trug er ihm sein vermißtes Kind entgegen. Er eilte deshalb mit dem Ausdruck warmen Dankes auf ihn zu, und nach einigen erklärenden Worten von seiten Klaudines schüttelten sich die beiden Männer herzlich die Hände. Und Baron Lothar machte durchaus keine Anstalten, das Pferd wieder zu besteigen und seines Weges zu reiten, nachdem Herr von Gerold ihm die Kleine abgenommen. Er schritt im Gespräch zwischen den Geschwistern weiter und weiter bis zur Gartentür, und da nahm er Herrn von Gerolds Einladung, näher zu treten und sich den interessanten Wachsfund anzusehen, ohne Zögern, als ganz selbstverständlich an.

      Klaudine eilte den anderen voraus nach dem Hause. Auf der Türschwelle wandte sie sich noch einmal zurück, sie mußte lächeln. Baron Lothar hatte von König Drosselbart und Aschenbrödel gesprochen und war sie nicht in der Tat wie im Märchen, die heutige Wandlung? Dort schritt er in schlichtem Rock und führte sein Pferd an Heinemanns für den Handel gezogenen Blumen hin, ängstlich darauf achtend, daß die Hufe keines der nutzbringenden Blütenblättchen berührten, er, dessen ritterliche Gestalt sie bei Hofe zuletzt von einem Glanz umflossen gesehen, wie er nur selten einem Sterblichen zuteil wird – und sie, das damalige sogenannte Hätschelkind der Herzoginmutter, das gleichsam wie auf Samt gegangen war und von keinem rauhen Lüftchen angeweht werden durfte, sie eilte jetzt die dunklen, ausgetretenen Steinstufen hinab, um einige der wenigen Flaschen Wein, die noch von der Großmama her im Kellerwinkel lagen, für ihn heraufzuholen.

      Er führte sein Pferd in eine kühle, schattige Ecke der Kirchenruine und band es an einen starken Holunderbaum. Dann betrat er das Haus.

      In den Wachskeller warf er nur einen flüchtigen Blick, man sah, die prosaische Hinterlassenschaft der Nonnen war es nicht, was ihm das Eulenhaus plötzlich in einem interessanten Lichte zeigte.

      Klaudine stellte ein Tischchen mit Flasche und Gläsern und einem frischen Blumenstrauß draußen neben die Glastür, die aus dem Wohnzimmer ins Freie führte. Da stand, hart an der Mauer des Zwischenbaues, der letzte Ausläufer einer ehemaligen Allee, eine uralte Steinlinde mit nahezu abgestorbener Krone. Der einzige Ast, in dem noch der Saft flutete, reckte sich über das Geländer herein, er aber strotzte von jungem, kräftigem Laub und bildete mit einem ausgespannten schmalen Zeltdach eine schattige Ecke. Man sah von da aus zwei schlanke, einsam in die Lüfte ragende Pfeiler, die letzten der herrlichen, die einst das Mittelschiff der Kirche getragen, und hinter ihnen wölbte sich ein scheibenloses Spitzbogenfenster in der östlichen Seitenmauer. Duch die anderen Fenster zwängte der im Lauf der Jahre dicht an das Gemäuer herangerückte Wald sein Geäst, und von seinem Boden herauf kroch luftiges Geranke. Die Pfeiler und der Fensterbogen dagegen umfaßten ein schmales, umdunkeltes Stück Waldwiese draußen, ein stilles, grünes Eiland, über welches das Wild sorglos hinwandelte.

      Mit verschränkten Armen trat Baron Lothar an das Geländer und sah in die reizvolle Aussicht hinein.

      »Auch deutscher Wald ist schön«, sagte Herr von Gerold, der Vielgereiste, mit seiner milden, weichen Stimme neben ihm.

      »Was?« fuhr der Angeredete herum. »Auch? Ich sage, nur deutscher Wald ist schön! Was frage ich nach Palmen und Pinien, was nach der weichen Südluft, die mein Gesicht widerwärtig umschmeichelt, wie die Liebkosung einer ungewünschten Hand! Ich habe mich krank gesehnt nach dem Thüringer Wald und seiner herben Luft, nach seinem tiefen Schatten und feuchten Gestrüpp, das sich trotzig gegen den Jäger wehrt – krank gesehnt nach dem Wintersturm, der feindlich durch die Äste fährt, der mich hart anfaßt und meine Kraft herausfordert. Nein, und ich gestehe, selbst

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