Armadale. Уилки Коллинз
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»Mich soll der Henker holen, wenn ich noch länger die Jungen und die Kuchen anzugaffen im Stande bin!« rief Allan, seinen Freund von der Conditorei hinweg zerrend »Laß uns sehen, ob wir in der nächsten Straße nichts Unterhaltenderes finden können.«
Der erste unterhaltende Gegenstand in der nächsten Straße war der Laden eines Bildhauers und Vergolders, der eben im letzten Stadium commerciellen Verfalls den Geist aushauchte Auf dem Ladentische im Innern war nichts weiter zu sehen als der Kopf eines Knaben, der in der ungestörten Stille des Ortes friedlich schlummernd dalag. Im Fenster erblickte der vorübergehende Fremde drei arg von den Fliegen heimgesuchte kleine Bilderrahmen, einen in Folge langer Vernachlässigung mit Staub bedeckten Zettel, welcher ankündigte, daß das Haus zu vermiethen sei, und einen einzigen colorirten Kupferstich, den letzten einer Reihe von Bildern, welche nach den gewaltigsten Mäßigkeitsgrundsätzen die Gräuel der Trunkenheit – illustrierten. Die Composition, welche eine leere Branntweinflasche, eine geräumige Dachkammer, einen Bibelvorleser und eine vor ihm aus dem Boden liegende, sterbende Familie darstellt« suchte die Gunst des Publikums unter dem völlig untadelhaften Titel »Die Hand des Todes.« Allan’s Entschlossenheit, der Stadt Castletown einige Unterhaltung abzugewinnen, hatte vielem widerstanden; doch jetzt ließ dieselbe ihn endlich im Stich. Er schlug daher einen Ausflug nach einem andern Orte vor. Da Midwinter ihm bereitwillig beistimmte, kehrten sie nach dem Gasthofe zurück, um sich Auskunft geben zu lassen. Dank der entgegenkommenden Vertraulichkeit Allan’s einerseits und seinem völligen Mangel an Klarheit bei seinen Fragestellungen andrerseits sahen sich die beiden Fremden von Auskunft förmlich überfluthet, und zwar von Auskunft, die sich auf alles, nur nicht auf den Gegenstand bezog, der sie nach dem Gasthofe geführt hatte. Sie machten verschiedene interessante Entdeckungen in Bezug auf die Gesetze und die Constitution der Insel Man und die Sitten und Bräuche der Eingeborenen. Zu Allan’s großem Entzücken sprachen die Manxianer von England wie von einer wohlbekannten nahe gelegenen Insel, die sich in gewisser Entfernung von dem centralen Kaiserreiche der Insel Man, befinde. Es ward den beiden Engländern ferner offenbart, daß dieses glückliche kleine Volk sich seiner eigenen Gesetze erfreue, welche alljährlich einmal durch den Gouverneur und die beiden Oberrichten in entsprechendem Costüme auf dem Gipfel eines alten Hügels öffentlich bekannt gemacht wurden. Im Besitze dieser beneidenswerthen Institution genoß die Insel noch den unschätzbaren Segen eines eigenen Parlaments, das »Haus der Schlüssel« genannt, welches vor jenem andern Parlamente auf der benachbarten Insel den Vortheil voraus hatte, daß die Mitglieder sich ohne das Volk behalfen und sich feierlichst gegenseitig erwählten. Mit diesen und vielen andern Neuigkeiten, die er von allen möglichen Arten von Leuten innerhalb und außerhalb des Gasthofs gesammelt, verkürzte Allan sich auf seine eigene unstäte Weise die Zeit, bis das Geplauder eines natürlichen Todes starb und Midwinter, der sich inzwischen bei Seite mit dem Wirthe unterhalten hatte, ihn ruhig an den in Frage stehenden Gegenstand erinnerte. Midwinter hatte in Erfahrung gebracht, daß die schönste Küstengegend der Insel nach Westen und Süden gelegen sei und daß sich in jenen Regionen ein Fischerdorf befinde, Port-St.-Mary genannt, das sich eines Gasthofes zu rühmen habe, in welchem Reisende übernachten könnten. Wenn Allan’s Eindrücke von Castletown ihn noch zu einem Ausfluge nach einem andern Orte geneigt machten, so dürfe er dies nur sagen und es solle ihm augenblicklich ein Fuhrwerk zu Gebote stehen. Allan griff mit beiden Händen zu, und in zehn Minuten befand er sich mit Midwinter auf der Fahrt nach den westlichen Einöden der Insel.
In dieser Weise war der Tag nach Mr. Brock’s Abreise bis hierher verstrichen, ohne daß sich andere als ganz unbedeutende Ereignisse zugetragen – so unbedeutende Ereignisse, daß selbst Midwinter’s ängstliche Wachsamkeit nichts in denselben zu erblicken vermochte, und so blieb es bis der Abend kam – ein Abend, den wenigstens der eine der beiden Gefährten bis zu seinem letzten Lebenstage nicht vergessen sollte.
Ehe die Reisenden noch zwei Meilen ihres Weges zurückgelegt hatten, ereignete sich ein Unfall. Das Pferd stürzte und der Fuhrmann erklärte, daß dasselbe ernstlich verletzt sei. Es blieb ihnen daher keine andere Wahl, als entweder ein anderes Fuhrwerk aus Castletown kommen zu lassen oder den Weg nach Port-St.-Mary zu Fuße fortzusetzen. Sie entschlossen sieh zu Letzterem und waren noch nicht weit gegangen, als sie von einem Herrn eingeholt wurden, welcher allein in einer offenen Chaise fuhr. Derselbe stellte sich ihnen höflich als einen Arzt vor, der in unmittelbarer Nähe von Port-St.-Mary wohne, und bot ihnen Plätze in seinem Wagen an. Stets zu neuen Bekanntschaften bereit, nahm Allan sofort die Einladung an. Er und der Doctor, dessen Name, wie sich bald ergab, Hawbury war, wurden freundschaftlich vertraut, als sie noch keine fünf Minuten im Wagen gesessen hatten, während Midwinter zurückhaltend und schweigend hinter ihnen saß. Vor dem Hause des Doctors schieden sie von einander, indem Allan laut die hübschen französischen Fenster des Doctors und dessen zierlichen Blumengarten und Rasen bewunderte und ihm beim Abschied die Hand drückte, wie wenn sie einander seit frühester Kindheit gekannt hätten. In Port-St.-Mary angelangt, sahen die beiden Freunde sich in einem zweiten Castletown in verjüngtem Maßstabe. Aber die umliegende Gegend – wild, offen und hügelig – war ihres Rufes würdig. Ein Spaziergang half ihnen über einen guten Theil des Tages hinweg; es war noch immer der harmlose, müßige Tag, der es von Anfang an gewesen. Endlich rückte der Abend heran. Sie warteten noch eine Weile, um die Sonne zu bewundern, welche majestätisch hinter Hügel, Haide und Felsenriff ins Meer hinabsank, während sie sich von Mr. Brock und seiner langen Heimreise unterhielten; dann kehrten sie ins Hotel zurück, um ihr frühes Nachtessen zu bestellen. Immer näher und näher rückte die Nacht heran und mit ihr ein Abenteuer für die beiden Freunde, während doch ihre bisherigen Erlebnisse noch immer ein solches Abenteuer nicht ahnen ließen, sondern höchstens lächerlicher Natur waren. Das Nachtessen war schlecht zubereitet, und die Aufwärterin von einer unaussprechlichen Dummheit; der altmodische Glockenzug im Gastzimmer war, als Allan geschellt, abgerissen und hatte im Herunterfallen eine bemalte Porzellan-Schäferin getroffen und dieselbe in Scherben auf den Boden geworfen. Dieser Art waren die Ereignisse gewesen, als das Zwielicht erlosch und Kerzen ins Zimmer gebracht wurden.
Da Allan seinen Freund Midwinter nach der doppelten Strapaze einer schlaflosen Nacht und eines Unruhigen Tages wenig zur Unterhaltung aufgelegt fand, ließ er ihn auf dem Sofa ruhen und ging in die Hausflur, in der Hoffnung, dort Jemanden zu entdecken, mit dem er sich unterhalten könne. Hier führte ein abermaliges unbedeutendes Ereigniß Allan mit Mr. Hawbury zusammen und half – ob zum Glücke oder nicht, dies sollte sich erst zeigen – die Bekanntschaft zwischen ihnen befestigen.
Die Schenkstube des Wirthshauses befand sich an dem einen Ende der Hausflur, und in derselben war die Wirthin beschäftigt, ein Glas Grog für den Doctor zu bereiten, der soeben hereingekommen war, ein wenig zu Plaudern. Da Allan um Erlaubniß bat, beim Plaudern und Trinken der Dritte sein zu dürfen, reichte Mr. Hawbury ihm höflich das Glas, welches die Wirthin soeben gefitllt hatte. Dasselbe enthielt kalten Grog. Eine auffallende Veränderung in Allan’s Gesichte, wie er plötzlich zurücktrat und sich statt dessen Whisky ausbat, entging dem Auge des Arztes nicht. »Eine nervöse Antipathie«, sagte der Dotter, indem er das Glas ruhig für sich nahm. Diese Bemerkung nöthigte Allan zu dem Bekenntniß daß er einen unüberwindlichen Ekel gegen den Geruch und Geschmack von Rum habe, und er war thöricht genug, sich dessen ein wenig zu schämen. Mit welcher andern Flüssigkeit dieses Getränk auch immer vermischt sein mochte – seine Geruchs- und Geschmacksorgane entdeckten dasselbe augenblicklich, und die bloße Berührung der Mischung mit seinen Lippen verursachte ihm eine tödtliche Uebelkeit. Von diesem Bekenntnisse ausgehend, wandte das Gespräch sich dem Gegenstande der Antipathien im Allgemeinen zu, und der Doctor bekannte seinerseits, daß er ein berufsmäßiges Interesse an dem Gegenstande nehme und zu Hause einige merkwürdige Illustrationen desselben besitze, die sein neuer Bekannter, falls er diesen Abend nichts Besseres zu thun habe und in einer Stunde etwa, nachdem die Berufspflichten des Doctors zu Ende seien, nach seinem Hause kommen wolle, dort in Augenschein nehmen könne.
Nachdem er die Einladung zugleich im Namen Midwinter’s mit Herzlichkeit angenommen hatte, kehrte Allem in das Gastzimmer zurück, um sich nach seinem Freunde umzuschauen. Midwinter lag noch immer halb wach