Namenlos. Уилки Коллинз

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Namenlos - Уилки Коллинз

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der verwaisten Schwestern.

      Indem sie wie in einem Spiegel dunkel die beiden Charaktere zu erkennen suchte, tappte sie von einem Zweifel zum andern, von einer möglichen Wahrheit auf die andere fort. Wohl möchte es der Fall sein, daß die äußere Oberfläche von den Charakteren Alles war, was sie bis jetzt bei Nora und Magdalene deutlich gesehen hatte. Möglich, daß die abstoßende Zurückhaltung und Verschlossenheit der einen Schwester, die anziehende Offenheit und Aufgewecktheit der andern, Jedes für sich, mehr oder weniger ans jene leiblichen Ursachen zurückzuführen waren, welche gegenüber der Erzeugung sittlicher Erfolge wirksam sind. Möglich, daß unter einer so gestalteten Oberfläche, einer Außenseite, welche bisher in dem glücklichen, heitern, ereignißlosen Leben der Schwestern durch Nichts zerstört wurde, die Mächte einer angeborenen eingewurzelten Anlage verborgen lagen, welche der Stoß des ersten schweren Unglücks in ihrem Leben ans Tageslicht gebracht hatte. War es Dieses? Blickte eine verheißende Zukunft mit prophetischen Strahlen durch das Schattendunkel der verschlossenen Außenseite Noras und düster mit prophetischer Glut durch das Flitterwerk der launigen Außenseite Magdalenens? Wenn das Leben der älteren Schwester von nun ab dazu bestimmt war, das Erntefeld des unentwickelt in ihr schlummernden Guten zu werden, war da das Leben der jüngeren Schwester dazu verurtheilt, der Tummelplatz tödtlicher Kämpfe mit den in ihr erweckten Mächten des Bösen zu werden?…

      Am Rande dieser schrecklichen Schlußfolgerung bebte Miss Garth unwillig zurück. Ihr Herz war ein wahres Frauenherz. Es nahm die Ueberzeugung, welche Nora in ihrer Liebe höher hob, willig hin; es wies den Zweifel, welcher Magdalenen tiefer zu stellen drohte, zurück. Sie erhob sich und schritt unruhig durch das Zimmer. Sie bebte mit plötzlichen Unwillen vor der ganzen Gedankenkette zurück, welche ihr Geist eben im Augenblicke vorher durchgemacht hatte. Wie, wenn wirklich gefährliche Elemente in der Stärke von Magdalenens Charakter lagen,.. war es da nicht ihre Pflicht, dem Mädchen gegen sein schlimmeres Selbst Beistand zu leisten? Wie hatte sie diese Pflicht erfüllt? Sie hatte sich von der ersten Furcht, den ersten Eindrücken leiten lassen; sie hatte nicht einmal gewartet, bis ausgemacht war, ob nicht Magdalenens offen bekannte Handlung von dem Morgen eine aufopfernde Tapferkeit zur Voraussetzung hatte, welche im spätern Leben die edelsten und erhabensten Erfolge versprach. Sie hatte Nora gehen und jene Worte voll zärtlicher Vorwürfe, voll liebreicher Fürbitte sprechen lassen, welche sie eigentlich selbst zuerst hätte sagen sollen.

      – Ach, sagte sie sich mit Schmerz, wie lange habe ich in der Welt gelebt und wie wenig habe ich bis jetzt meine eigene Schwäche und Fehler gekannt!

      Die Thür des Zimmers öffnete sich. Nora kam herein, allein, wie sie gegangen war.

      – Erinneren Sie sich Etwas vergessen zu haben auf dem kleinen Tische vor der Gartenbank? fragte sie ruhig.

      Bevor Miss Garth die Frage beantworten konnte, hielt sie Derselben ihres Vaters Testament und ihres Vaters Brief entgegen.

      – Magdalene kam zurück, nachdem Sie schon weg waren, sagte sie, und fand diese letzten Reliquien Sie hörte Mr. Pendril sagen, Dies wäre ihr und mein Erbtheil. Als ich in den Garten ging, las sie den Brief. Es war nicht nöthig mit ihr zu sprechen: unser Vater hatte mit ihr aus seinem Grabe heraus gesprochen. Sehen Sie, wie sie auf ihn gelauscht hat!

      Sie zeigte aus den Brief. Die Spuren von schweren Thränen lagen dicht auf den letzten Zeilen der Handschrift des Verstorbenen.

      – Ihre Thränen, sagte Nora sanft.

      Miss Garth beugte sich nieder auf die stummen Zeugen von Magdalenens Rückkehr zu ihrem bessern Selbst —

      – O werden Sie nie wieder irre an ihr! bat Nora. Wir sind jetzt allein auf der Welt, wir haben unsern harten Weg durchs Leben zu gehen, so ruhig als wir nur vermögen. Wenn Magdalene jemals schwankt und rückwärts gehen will, stehen Sie ihr bei um der Liebe aus alten guten Tagen willen, stehen Sie ihr gegen sich selbst bei.

      – Von ganzem Herzen und mit all meinem Vermögen, Gott soll mein Zeuge sein, mit der Hingebung meines ganzen Lebens!

      Mit diesen begeisterten Worten antwortete Miss Garth. Sie ergriff die Hand, welche Nora ihr entgegenstreckte und führte sie in Kummer und Demuth an ihre Lippen.

      – Ach, meine Liebe, vergeben Sie mir! Ich bin zu meinem Jammer verblendet gewesen, ich habe Sie niemals so geschätzt, als ich gesollt hätte!

      – Nora wehrte ihr sanft, bevor sie mehr sagen konnte, und flüsterte leise:

      – Kommen Sie mit in den Garten hinunter, kommen Sie und helfen Sie Magdalenen ruhig in die Zukunft zu schauen.

      Die Zukunft! Wer konnte den schwächsten Schein davon sehen? Wer konnte etwas Anderes sehen, als die unheimliche Gestalt Michael Vanstones, welche dunkel an der Schwelle der Gegenwart stand und alle Aussicht, die hinter ihr lag, versperrte?

      Fünfzehntes Capitel

      Am zweitfolgenden Morgen erhielt man Nachricht von Mr. Pendril. Der Aufenthaltsort von Michael Vanstone auf dem Continent war entdeckt worden. Er lebte in Zürich, und ein Brief war dorthin an ihn abgefertigt worden, an demselben Tage, als man es erfuhr. Im Laufe der kommenden Woche konnte eine Antwort füglich erwartet werden, und der Inhalt derselben sollte sofort den Damen aus Combe-Raven mitgetheilt werden.

      So kurz er war, so verging doch dieser Aufschub langsam genug. Zehn Tage verstrichen, ehe die erwartete Antwort eintraf, und als sie endlich kam, so lief sie eigentlich darauf hinaus, daß sie Nichts beantwortete. Mr. Pendril war lediglich an einen Agenten in London gewiesen worden, der Michael Vanstones Weisungen haben sollte. Gewisse Schwierigkeiten hatten sich bei diesen Weisungen ergeben, wodurch es nothwendig geworden war, noch ein Mal nach Zürich zu schreiben. Und auf dem Flecke standen die Unterhandlungen augenblicklich wieder still.

      Eine andere Stelle in Mr. Pendrils Brief enthielt eine weitere, ganz neue Mittheilung. Mr. Michael Vanstones Sohn – und einziges Kind – Mr. Noël Vanstone war vor Kurzem in London angekommen und hielt sich in der Wohnung seines Cousins, Mr.George Bertram, auf. Rücksichten, welche ihm sein Beruf geboten, hatten Mr. Pendril veranlaßt, in jener Wohnung persönlich einen Besuch zu machen. Er war von Mr. Bertram sehr freundlich aufgenommen worden, war aber durch jenen Herrn bedeutet worden, daß sein Cousin nicht in der Lage wäre, Besuche annehmen zu können. Mr. Noël Vanstone hätte seit einigen Jahren an einer langwierigen und hartnäckigen Krankheit gelitten. Er wäre nach England gekommen, um sich der besten ärztlichen Hilfe bedienen zu können, und fühlte sich von der Beschwerde der Reise so stark angegriffen, daß er ans Bett gefesselt sei. Unter diesen Umständen hatte Mr. Pendril keine andere Wahl, als sich zu verabschieden. Eine Unterredung mit Mr. Noël Vanstone würde vielleicht über manche mit seines Vaters Weisungen zusammenhängenden Schwierigkeiten Aufklärung gegeben haben. Wie aber die Dinge einmal lägen, so müsse man wohl oder übel noch einige Tage länger warten.

      Die Tage vergingen, die leeren Tage der Einsamkeit und Bängniß. Endlich zeigte ein dritter Brief des Advocaten den lange hinaus geschobenen Abschluß des Briefwechsels an. Die Schlußantwort aus Zürich war eingetroffen, und Mr. Pendril wollte sie den nächsten Tag Nachmittags auf Combe-Raven persönlich mittheilen.

      Der nächste Tag war Mittwoch, der zwölfte August. Das Wetter hatte sich über Nacht geändert, und die Sonne ging in Nebel und Wolkendunst auf. Mittags war der Himmel nach allen Richtungen hin umzogen, die Temperatur war fühlbar kälter, und der Regen ging gerade, sanft und anhaltend auf die durstige Erde nieder. Gegen drei Uhr traten Miss Garth und Nora in das Morgenzimmer, um Mr. Pendrils Ankunft zu erwarten. Bald nachher kam auch Magdalene dazu. Eine halbe Stunde später drang von dem Staket hinter den Buschanlagen her das wohlbekannte Einfallen der eisernen Klinke in das Schloß zu ihnen. Mr. Pendril und Mr. Clare wurden auf dem Gartenwege sichtbar, sie kamen Arm in Arm im Regen. Beide unter einem Regenschirme. Der Advocat verbeugte sich, als sie am Fenster vorüberkamen,

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