Fridolins heimliche Ehe. Adolf von Wilbrandt
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Fridolins heimliche Ehe - Adolf von Wilbrandt страница 5
Der junge Mann auf dem Bett erhob sich, ohne etwas zu erwidern. Er setzte sich auf die Kante, betrachtete die fünf, die in den verengten Raum wie im Gänsemarsch hintereinander eintraten, und stand dann, als auch der letzte die Thür hinter sich hatte, lang und langsam auf. Ein nicht unliebenswürdig sarkastisches Lächeln überflog sein Gesicht. Er ließ sich Zeit, ehe er die Gesellschaft anders als mit diesem Lächeln begrüßte. Seinen Hut zurückschiebend, so daß die stark ausgearbeitete Stirn sichtbar ward, führte er den scharfen, gewohnheitsmäßig beobachtenden Blick seiner grauen Augen noch einmal von einem zum andern, und ein Ausdruck unwillkürlicher Ueberlegenheit blieb eine Weile in seinen Zügen stehn. Bis er endlich, vor sich hin nickend, den Mund öffnete und sagte: »Es ist merkwürdig. Ihr seht alle noch auf den Buchstaben genau so aus, wie vor einem Jahr. Guten Abend, ihr Männer!«
»Hast denn du dich verändert?« gab der kleine Frivolin, etwas empfindlich, zurück. »Doch ja, er hat sich verändert. Seht, er trägt sich nach der neuesten Mode. Er hat sich seinem Schneider untergeordnet. Er trägt einen Cylinder und Lackstiefel. Wenn ich fragen darf, Leopold, wann bekommt man denn deine Hand?«
»Hier sind alle beide,« erwiderte Leopold lächelnd; »empfindlicher junger Mann! Ich machte mir nur erst das Vergnügen, euch ein wenig zu betrachten, – als Naturforscher, der ich bin. Ihr Kunstforscher habt euch allerdings, wie man sehen kann, die Freiheit von der Mode und die souveräne Herrschaft über den Schneider erhalten. Eure gesinnungsvollen Halsbinden, eure überzeugungstreuen Westenformate – noch dieselben, wie vor einem Jahr! Ihr wart standhafter als ich. Ja, ja. Diese Hemdkragen; unternehmend und doch edel. Mich hat die Welt so weit heruntergebracht, daß ich, ohne vor Scham zu erröten, aussehe wie jedermann.
Der Schneider denkt, und ich ziehe seine Gedanken an; Teilung der Arbeit; das moderne Prinzip. Guten Abend, Risotto! ›Deine blauen Augen schauen immer noch zum Himmelslicht.‹ Ich sehe, du hast noch alle deine Ideale.«
Der Jüngling mit den sanften, blauen Augen, den Leopold so begrüßte, war ein Hüne von Gestalt, dem man deshalb das Beiwort »Riese« noch durch die vergrößernde italienische Endung »otto« verstärkt hatte; doch war dabei das minder ehrenvolle »Risotto« herausgekommen.
Risotto errötete nach seiner Gewohnheit; dann erwiderte er mit seiner zarten Stimme, die aus dem Munde eines solchen Riesen jedesmal überraschte: »Ich hoffe, du bist von unsern Idealen nicht abgefallen, – wenn du auch nach deinem Beruf nicht mehr zu uns gehörst.«
»Ich gehörte nie zu euch,« entgegnete Leopold. »Es war nur eine Grille von mir, ein Jahr lang Kunst zu naschen, eh ich mich ganz darauf warf, die Natur zu verdauen.«
»Wie du das wieder ausdrückst!« sagte Risotto, der abermals – diesmal aber vor Unwillen – errötete. »Ein ideales Streben, das du hattest, so zur ›Grille‹ zu machen!«
»Ich liebe die hohen Worte nicht,« antwortete Leopold mit etwas altkluger Kälte.
»Du hast Fridolin noch nicht gesehn?« fragte der kleine Frivolin.
»Nein. Ich erwartete ihn.«
»Du willst hier mit uns zu Abend essen?«
»Ich denke.«
»Wie ich höre,« fuhr Fridolin mit wichtiger werdendem Gesichtsausdruck fort, »bist du Darwinist.«
»Ich bin Darwinist.«
»Entwickelungstheorie?«
»Entwickelungstheorie.«
Leopold schwur bei sich im stillen, daß dieses Wort »Entwickelungstheorie« ungefähr alles sei, was Fridolin davon wisse; er unterdrückte aber diesmal die Ironie seiner Mundwinkel und schwieg.
»Entwickelungstheorie,« wiederholte Risotto mit einem Ton, in dem er einen schmerzlichen Vorwurf und ein sanftes Bedauern zusammenmischte. »Du hattest früher, mit uns, ein – wie soll ich sagen – eine höhere, eine philosophische Weltanschauung.«
»Damals war ich ein Narr!«
Auf diese kurze Antwort entstand eine Pause. Die fünf Jünger der Kunst sahen einander an und schwiegen. Nur Fridolin, indem er langsam, gedankenvoll vor sich hin nickte, schien sich die Zustimmung zu dieser Ketzerei von einem höheren Standpunkt aus vorzubehalten.
Die peinliche Stille dauerte nicht lange. Die Stimme der Frau Ritter, dann die Fridolins ward vom Vorplatz vernehmbar. »Ist mein Leopold da!« rief er mit seinem herzlichen Pathos aus. Gleich darauf trat er in die Thür, und glänzende Freude in den Augen, die beiden Arme etwas feierlich ausbreitend, blieb er stehen und sagte:
So steigst du denn, Erfüllung, schönste Tochter
Des größten Vaters, endlich zu mir nieder!
Erst nachdem er diese Verse aus der »Iphigenie« mit schönster Betonung gesprochen, ging er auf den ihm entgegentretenden Leopold zu, schloß ihn in die Arme und küßte ihn auf den Mund.
»Und somit heiße ich dich willkommen!« setzte er dann hinzu. »Hast du Hunger oder Durst, so sage der Tante Ritter deine Wünsche. Und nun zuerst zu den Geschäften, ehe ich mich den Freuden des Wiedersehens widme!«
Er wandte sich zu den Leibschwaben, faßte zwei von ihnen ins Auge und den, der ihm zunächst stand, am Arm. »Du siehst hier diese Kommode,« sagte er.
»Ja, die sehe ich.«
»Diese Kommode ist für Fräulein Ottilie Ritter, die erwartete Nichte, auszuräumen. Ihr Inhalt besteht aus —«
»Papieren, Scharteken und Westen.«
»Ganz recht. Unterrichteter junger Mann! Es wird von euch beiden zukünftigen Architekten erwartet, daß ihr die Entleerung dieses Gebäudes in der nächsten Viertelstunde bewerkstelligt, und mit architektonischem Scharfsinn andere Räumlichkeiten für die ausgeräumten Papiere, Scharteken und Westen ausfindig macht.
Dies sei der Beruf,
Wozu der Meister euch erschuf!
Denn wer sich seinen Hunger nicht verdient, verdient nicht, daß er ihn stille.«
Professor Fridolin sprach noch, als die jungen Männer schon vor der Kommode standen und knieten und ihre Schubladen leerten. Fridolin winkte nun Risotto zu sich heran (neben dem er selber klein und zierlich wurde); aber eh er ihn anredete, warf er noch einen freudigen, zärtlichen Blick auf Leopold und sagte: »Wie ähnlich er seiner Mutter geworden ist! – Mein Sohn, seit wann bist du hier in Berlin?«
»Seit heute nachmittag.«
»Du hattest vermutlich deiner Mutter versprochen, ihr sogleich zu schreiben?«
«Ja.
»Und hast es vermutlich noch nicht gethan?«
Leopold