Fridolins heimliche Ehe. Adolf von Wilbrandt
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»Ich höre!«
»Gut. Du hörst. Ich rede. Was unterscheidet die Kunst von der Natur? Daß die Kunst das in sich Abgeschlossene, ewig Fertige, die Natur das ewig Werdende und Vergehende, ewig Unfertige ist. Die Kunst duldet keine Grenzenlosigkeit, die Natur keine Grenze. Nehmen wir an, die Natur hätte – als ihr höchstes irdisches Gebilde – den Menschen hervorgebracht. Hat sie ihn als eine abgeschlossene, fertige Einheit hervorgebracht? Nein. In ebenso vielen Formen und Farben, als es Individuen gibt. Der thörichte Laie sagt: sie hat den weißen, den schwarzen, den roten Menschen geschaffen. Die höheren Intelligenzen – du und ich – wir sagen: es gibt nicht den weißen, den schwarzen und den roten Menschen, sondern es gibt alles, was es geben kann; vom weißesten Weiß durch alle Möglichkeiten der Verdunkelung bis zum schwärzesten Schwarz. Es fehlt kein Uebergang, es fehlt keine Verbindung. Könnte man alle Menschen dieser Erde in einer Reihe nebeneinander stellen, nach ihrer Hautfarbe geordnet, vom hellsten Albino bis zum verfinstertsten Neger, so würde jener thörichte Laie trotz aller Mühe nirgends eine Grenze finden, wo die eine Farbe aufhört und die andere beginnt. Er würde ganz vergebens eine Lücke suchen. Oder wenn er endlich den Triumph erlebte, zwischen zwei Menschen die sie verschmelzende kleine Schattierung zu vermissen, so würde ihm der Weltgeist auf die Schulter klopfen und sagen: ›Mein Sohn, stelle du dich zwischen diese beiden Menschen; denn diese Schattierung bist du.‹«
Leopold mußte lachen.
»Lachst du,« fragte Fridolin, »über meine Darstellung oder über die Sache? Gibst du die Richtigkeit meines Satzes zu?«
»Ich bin entschlossen, sie zuzugeben, Fridolin,« antwortete Leopold.
»Gut. Du bist entschlossen. Wie hat diese selbe Natur es mit diesem selben Menschen in Hinsicht seines Geschlechts gemacht? Fragen wir den thörichten Laien! Der thörichte Laie – der ewig thörichte – antwortet: Die Natur schuf den Mann und schuf die Frau; und weiter nichts. Fragen wir ihn weiter: Und es ist also jeder Mann einfach ein rechter Mann, jede Frau einfach eine rechte Frau? Wenn du die Menschen deiner Bekanntschaft auf ihre geistige Beschaffenheit, auf ihr Gemüt, auf ihren Charakter ansiehst, findest du, mein Lieber, daß jeder Mann durchaus männlich, jedes Weib durchaus weiblich geartet ist? Oder findest du, daß es hier sonderbare Abweichungen und Ausnahmen gibt? – Er nickt. – Wenige? Viele? – Er nickt. – Sanfte, starke, ungeheuerliche? Mannweiber? Weibmänner? – Er nickt. Es gibt alles. Er nickt, notgedrungen, zu allem! – Nun, mein thörichter Laie, so laß uns höhere Intelligenzen dir sagen, daß diese sogenannten ›Abweichungen‹ und ›Ausnahmen‹ auch hier nur die unzähligen Uebergänge, Zwischenglieder der grenzenlosen Natur sind; daß sie auch hier keine Grenze, keine Lücke kennt. Wir werden dir abermals alle Menschen der Erde nebeneinander stellen, diesmal nach den seelischen Eigenschaften des Geschlechts, vom Nordpol der Männlichkeit bis zum Südpol der Weiblichkeit geordnet; und wenn dann der Weltgeist die Gewogenheit hat, dir auf einen Augenblick seinen alles durchdringenden Weltblick zu leihen, so wirst du zur Beschämung deines blöden Geistes wahrnehmen, daß vom männlichsten Mann bis zum weiblichsten Weib keine Schattierung, keine Möglichkeit fehlt. Daß es unter anderm in der Mitte dieser langen Reihe sehr merkwürdige Wesen – sagen wir nicht ›Ausnahmen‹, sondern ›Uebergangsmenschen‹ – gibt, die, was ihre liebe Seele betrifft, ungefähr ebenso viel vom Manne wie vom Weibe haben; die männlichen Verstand haben und weibliches Empfinden – oder weiblichen Geist und männlichen Charakter – oder alles aus Männlichem und Weiblichem gemischt. Die daher ihre Ergänzung – da ja jedes Geschlecht nach seiner geistigen Ergänzung strebt – sowohl nach rechts als nach links, sowohl beim Manne als beim Weibe suchen; deren seelische Magnetnadel bald nach dem Nordpol der Männlichkeit, bald nach dem Südpol des Weiblichen zeigt. Die man« (Fridolin seufzte) – »die man leider tragische Erscheinungen nennen muß: denn sie suchen ihre Ergänzung, aber sie finden sie nicht. Suchen sie den Mann? Nur die weibliche Hälfte ihrer Seele sticht den Mann. Die andere Hälfte nicht; sie hat den Mann in sich selbst. Suchen sie die Frau? Nur diese andere Hälfte ihrer Seele sucht nach der Frau. Sie können sich nicht ergänzen, denn sie sind schon ergänzt. Sie sind mit sich selbst verheiratet. Sie leben mit sich selbst in einer heimlichen Ehe.«
»Das ist die heimliche Ehe, von der ich dir sagte,« setzte Fridolin nach einer Pause hinzu.
Leopold hatte ruhig, fast ohne sich zu rühren, zugehört. Auch jetzt blieb er still, nur daß er vor sich hin nachdenklich nickte.
»Du widersprichst mir nicht?« fragte Fridolin.
»Nein.«
»Du gibst zu, daß ich, ›der Unterzeichnete‹, in so einer Ehe mit mir selber lebe?«
»Ja. Nun, da du das Wort gesagt, die Sache bezeichnet hast, gebe ich es zu.«
»So begreifst du nun, mein Freund, warum ich nicht geheiratet habe, und warum ich nicht heirate.«
Leopold lächelte liebenswürdig elegisch, und ergriff Fridolins Hand. »Und daß ich indiskret frage,« sagte er, »lebt ihr glücklich miteinander? Oder vielmehr, lebst du glücklich mit dir?«
Statt zu antworten, nahm Fridolin auch Leopolds andere Hand; er hielt sie beide, seine eigenen Arme von sich streckend; ein Ausdruck tragischen Humors zog ihm langsam über das Gesicht. »Warum nehme ich deine Hände?« fragte er nach einer Weile. »Warum genügt es mir nicht, meine eigene linke Hand mit meiner rechten zu nehmen? Ach, mein Freund, zwei halbe Menschen ergänzen sich schlecht; erst zwei ganze Menschen ergänzen sich gut; so hat die Natur es gewollt. Sieh mich an, Leopold!« (Er wiederholte noch weicher:) »Sieh mich an. Die Natur hat mich, nach meines Leibes Gestalt, mit diesem klassischen Bart, dieser breiten Brust, ganz zum Manne geschaffen. Ich sehe aus wie Graf Egmont, sagt ihr. Graf Egmont gefiel den Frauen; – ich teile mit ihm dieses freundliche Geschick. Es haben sich Verliebungen und Leidenschaften ereignet; es ist nicht gezählt worden, wie viele. Und ich selbst —! Meine Konstitution ist zärtlich, mein Herz ist verliebt. Eine reizende Frau zwingt mich in der ersten Stunde zum Wohlgefallen, in der zweiten zur Entzückung, in der dritten zum lyrischen Gedicht. Beabsichtige ich sie auch zu heiraten? Ja, ich beabsichtige es. Ich bin bereit, mit jedem um ihren Besitz zu kämpfen. Was bin ich? Nur noch ein liebender, verliebter Mann, weiter nichts. hab' ich noch eine Erinnerung davon, daß auch eine weibliche
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