Der scharlachrote Buchstabe. Hawthorne Nathaniel

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Der scharlachrote Buchstabe - Hawthorne Nathaniel

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konnten aber beim weiteren Vorrücken des Tages der irdischen Existenz an Stürmen und Wirbelwinden fruchtbar werden.

      Die Familiendisziplin war in jener Zeit weit härter als jetzt. Der strenge Blick, der scharfe Tadel, die von der Heiligen Schrift gebotene häufige Anwendung der Rute, wurden nicht nur als Strafen für wirkliche Vergehen, sondern auch als heilsame Zuchtmittel für das Wachstum und die Beförderung aller kindlichen Tugenden betrachtet. Esther Prynne, die alleinstehende Mutter dieses einen Kindes, lief jedoch nur geringe Gefahr, auf der Seite unziemlicher Strenge zu irren; da sie sich indes fortwährend ihrer eigenen Irrtümer und Unfälle erinnerte, bemühte sie sich früh schon, der unsterblichen Seele des ihrer Obhut anvertrauten Kindes eine liebevolle, aber strenge Erziehung zu geben. Die Aufgabe überforderte sie jedoch. Nachdem sie sowohl Güte wie Strenge versucht, aber gefunden hatte, daß keine von beiden Behandlungsweisen einen irgend berechenbaren Einfluß ausübte, sah sich Esther endlich gezwungen, beiseite zu treten und es dem Kinde zu überlassen, wohin es seine eigenen Impulse führen würden. Körperlicher Zwang oder Antrieb war natürlich wirksam, solange er dauerte, was aber jede andere Art der Disziplinierung betraf, mochte sie sich nun an ihren Geist oder ihr Herz wenden, so befand sich die kleine Perle je nach Laune, welche den Augenblick beherrschte, bald in deren Bereich, bald auch nicht. Ihre Mutter lernte, als Perle noch ein Kind war, einen gewissen eigentümlichen Blick kennen, welcher ihr verkündete, wenn es vergebliche Mühe sein würde, zu beharren, zu überreden oder zu bitten; es war ein so intelligenter und doch unerklärlicher, so eigenwilliger, zuweilen so boshafter, gewöhnlich aber von einer so wilden, übermütigen Laune begleiteter Blick, daß Esther sich in solchen Momenten fragen mußte, ob Perle ein Menschenkind sei. Sie schien eher ein Luftgeist zu sein, der, nachdem er eine kurze Zeitlang seine phantastischen Spiele auf dem Boden der Hütte getrieben, mit einem spöttischen Lächeln wieder verschwinden würde. Wenn je sich dieser Blick in ihren unsteten, strahlenden, tiefschwarzen Augen zeigte, so bekleidete er sie mit einer seltsamen Abwesenheit und Unfaßbarkeit; es war, als ob sie in der Luft schwebte und plötzlich wieder unsichtbar werden könne, wie ein schimmerndes Licht, welches kommt und geht, wir wissen nicht woher noch wohin. Wenn ihn Esther wahrnahm, so mußte sie auf das Kind zustürzen, den kleinen Elfen auf der Flucht, die er stets begann, verfolgen und ihn mit innigem Druck und eifrigen Küssen an ihren Busen pressen, nicht sowohl aus überströmender Liebe, wie um sich zu überzeugen, daß Perle ein Wesen von Fleisch und Blut und nicht geradezu ein Blendwerk sei. Wenn Perle aber gefangen wurde, so machte ihr Lachen, wiewohl es voller Heiterkeit und Wohllaut war, die Mutter doch noch zweifelhafter als vorher.

      Im tiefsten Herzen über diesen neckenden und verwirrenden Zauber verwundet, welcher sich so oft zwischen sie und ihren einzigen Schatz stellte, den sie so teuer erkauft hatte und der ihre ganze Welt war, brach Esther zuweilen in unaufhaltsames Weinen aus. Dann runzelte vielleicht – denn man konnte nicht voraussehen, wie es sie berühren würde, – Perle die Stirn und ballte ihre kleine Faust und verhärtete ihre niedlichen Züge zu einer finsteren gefühllosen Miene voller Unzufriedenheit. Nicht selten traf es sich, daß sie von neuem und lauter als vorher lachte, wie ein Ding, das des menschlichen Kummers unfähig und dem er unverständlich wäre, oder – aber dies kam seltener vor – sie wurde von einem Schmerzparoxismus durchkrampft und schluchzte ihre Liebe zu ihrer Mutter in gebrochenen Worten aus und schien beweisen zu wollen, daß sie ein Herz habe, indem sie es brechen ließ. Esther konnte sich jedoch kaum mit Zuversicht dieser stürmischen Zärtlichkeit hingeben, denn sie verging ebenso plötzlich wieder, wie sie gekommen war. Die Mutter brütete über allen diesen Dingen und hatte ein Gefühl, als ob sie einen Geist heraufbeschworen, aber infolge irgendeiner Unregelmäßigkeit bei der Beschwörung nicht vermocht habe, das Meisterwort zu erlangen, welches dieses neue, uns unverständliche Wesen beherrschte. Ihr einziger wirklicher Trost war der, das Kind im ruhigen, sanften Schlafe liegen zu sehen. Dann war sie seiner sicher und genoß Stunden stillen, trüben, köstlichen Glückes, bis die kleine Perle erwachte und vielleicht eben jener verkehrte Ausdruck unter ihren neugeöffneten Lidern hervorschimmerte.

      Wie bald – mit welcher seltsamen Schnelligkeit – gelangte Perle zu dem Alter, welches eines weiteren geselligen Verkehrs als desjenigen mit dem stets bereiten Lächeln und den kindischen Schmeichelworten der Mutter fähig war! Und welches Glück würde es dann für Esther Prynne gewesen sein, wenn sie gehört hätte, wie ihre klaren, vogelähnlichen Töne sich mit dem Lärm anderer Kinderstimmen vermischten, und sie imstande gewesen wäre, Laute ihres Lieblings unter dem verwirrten Geschrei einer Gruppe von spielenden Kindern zu unterscheiden und herauszufinden. Aber dies konnte niemals sein. Perle war schon von Geburt an von der Kinderwelt ausgeschlossen. Als ein böser Kobold, ein Sinnbild und eine Frucht der Sünde, hatte sie kein Recht, sich unter Christenkinder zu mischen. Es konnte nichts Merkwürdigeres geben, als den Instinkt, denn dies schien es zu sein, womit das Kind seine Einsamkeit, das Schicksal, welches einen undurchdringlichen Kreis um es gezogen hatte, kurz, die ganze Eigentümlichkeit seiner Lage in bezug auf andere Kinder begriff. Seit ihrer Entlassung aus dem Gefängnisse war Esther nie ohne Perle in der Öffentlichkeit erschienen. Bei allen Spaziergängen um die Stadt hatte sie auch ihr Kind bei sich, anfangs als Säugling auf dem Arme und später als kleines Mädchen, als Begleiterin ihrer Mutter, die mit ihrer ganzen Hand einen Zeigefinger umfaßt hielt und auf einen Schritt Esthers drei bis vier nebenhertrippelte. Sie sah die Kinder der Niederlassung auf dem berasten Rande der Straße oder auf den Schwellen der Familienhäuser auf die ernste Weise spielen, wie es die puritanische Erziehung gestattete, etwa In-die-Kirche-gehen oder Quäker peitschen oder in einem Scheingefecht mit Indianern Skalpe nehmen oder einander mit eingebildeten Hexereien in Furcht jagen. Perle sah sie und blickte sie aufmerksam an, bemühte sich aber nie, Bekanntschaft zu machen. Wenn sie angeredet wurde, so antwortete sie nicht. Wenn sich die Kinder um sie versammelten, wie es zuweilen geschah, so wurde Perle in ihrem Kinderzorn wahrhaft entsetzlich, hob Steine auf, um sie nach ihnen zu schleudern und stieß schrille, unzusammenhängende Schreie aus, bei welchen ihre Mutter erbebte, weil sie soviel von dem Klange der Verwünschungen einer Hexe in irgendeiner unbekannten Zunge an sich hatten.

      Das Wahre an der Sache war, daß die kleinen Puritaner, die zu dem unduldsamsten Geschlechte, welches je gelebt, gehörten, eine unbestimmte Idee von etwas Ausländischem, Unmenschlichem oder mit dem gewöhnlichen Leben in Widerspruch Stehendem über Mutter und Kind gefaßt hatten und sie daher in ihrem Herzen verachteten und nicht selten mit ihren Zungen schmähten. Perle fühlte diese Einschätzung und vergalt sie mit dem bittersten Hasse, welcher an einem Kinderherzen fressen kann. Diese Ausbrüche eines zornigen Charakters besaßen eine Art von Wert und selbst Trost für die Mutter, da in dieser Stimmung wenigstens ein verständlicher Sinn statt der unbeständigen Laune lag, welche sie bei den Äußerungen des Kindes so oft in Verwirrung gesetzt hatte. Dessen ungeachtet aber schauderte ihr, als sie auch hier wieder eine schattengleiche Abspiegelung des Bösen entdecken mußte, welches in ihr selbst existiert hatte. Alle diese Feindseligkeit und Leidenschaftlichkeit hatte Perle nach unveräußerlichem Rechte aus Esthers Herzen geerbt. Mutter und Tochter standen in dem gleichen Kreise der Abgeschlossenheit von der menschlichen Gesellschaft beisammen, und in der Natur des Kindes schienen sich die unruhigen Elemente fortzupflanzen, welche Esther Prynne von Perlens Geburt durchwühlt, seitdem aber begonnen hatten, von den erweichenden Einflüssen der Mutterschaft beschwichtigt zu werden.

      Daheim in der Hütte ihrer Mutter und um dieselbe fehlte es Perlchen nicht an einem weiten, verschiedenartigen Bekanntenkreise. Der Zauber des Lebens ging von ihrem stets schöpferischen Geiste aus und teilte sich tausenderlei Gegenständen mit, wie eine Fackel eine Flamme entzündet, wo sie auch angelegt werden mag. Die scheinbar untauglichsten Stoffe, ein Stock, ein Lumpenbündel, eine Blume waren die Puppen der Zauberei Perlens und paßten sich, ohne eine äußere Veränderung zu erfahren, geistig jedem Drama an, welches die Bühne ihrer inneren Welt einnahm. Ihre eine Kinderstimme diente einer Menge von eingebildeten Personen, so alten wie jungen, zum Sprechen. Die alten schwarzen, ernsthaften Fichten, welche ihr Stöhnen und andere traurige Töne von dem Winde forttragen ließen, bedurften nur einer geringen Umwandlung, um als puritanische Kirchenälteste zu figurieren, die häßlichsten Unkräuter im Garten waren deren Kinder, die Perle auf das unbarmherzigste niederschlug und ausriß. Es war wunderbar, in welche Vielzahl von Formen sie ihren Verstand fügte, allerdings ohne Zusammenhang, aber sie schossen auf und tanzten in einem Zustande

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