Die Frau in Weiss. Уилки Коллинз

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Die Frau in Weiss - Уилки Коллинз

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völlig hilfloses Wesen in meiner Macht – und dieses Wesen ein verlassenes Weib. Kein Haus war in der Nähe; Niemand ging vorüber, den ich hätte zu Rathe ziehen können, und ich besaß in der Welt nicht das kleinste Recht über sie, selbst wenn ich gewußt hätte, in welcher Richtung ich dieses Recht hätte geltend machen sollen.

      Ich schreibe diese Zeilen mit Zagen, indem die Schatten späterer Ereignisse schon auf das Papier fallen, auf dem ich schreibe; aber dennoch frage ich: was konnte ich thun?

      Was ich that, war, daß ich Zeit zu gewinnen suchte, indem ich sie befragte:

      »Sind Sie gewiß, daß Ihre Freundin in London Sie zu so später Stunde noch aufnehmen wird?« sagte ich.

      »Ganz sicher. Sagen Sie nur, daß Sie mich nicht hindern wollen, Sie, wann und wie ich will, zu verlassen – sagen Sie, daß Sie mich nicht hindern werden, wollen Sie mir’s versprechen?«

      Als sie diese Worte zum dritten Male wiederholte, trat sie dicht an mich heran und legte ihre Hand mit einer plötzlichen sanften Schüchternheit auf meine Brust, eine magere Hand, eine kalte Hand (ich fühlte es, als ich sie mit der meinigen hinwegnahm) selbst in jener heißen Nacht. Bedenke man, daß ich jung war und daß die Hand, welche mich berührte, einer Frau gehörte.

      »Wollen Sie mir’s versprechen?«

      »Ja.«

      Ein Wort! das kleine, gewöhnliche Wort, das zu jeder Stunde des Tages auf Jedermanns Lippen ist. Ach! und ich zittere, jetzt in dem Augenblicke, wo ich es niederschreibe. –

      Wir wandten uns nach London zu und gingen zusammen in dieser ersten stillen Stunde des neuen Tages dahin – ich und diese Frau, deren Name und Charakter, deren Geschichte und Lebenszwecke, ja, deren Gegenwart an meiner Seite in jenem Augenblicke unergründliche Geheimnisse für mich waren. Es war wie ein Traum. War ich Walter Hartright? War dies der wohlbekannte, erlebnisarme Weg, den an Sonntagen bunte Volksmassen besuchten? Hatte ich wirklich vor wenig mehr als einer Stunde die ruhige, anständige, ehrbar häusliche Atmosphäre des Hauses meiner Mutter verlassen? Ich war zu verwirrt – zu sehr mir eines gewissen Selbstvorwurfes bewußt – um während der ersten Minuten zu meiner sonderbaren Gefährtin zu sprechen. Es war wieder ihre Stimme, die zuerst das Schweigen brach.

      »Ich wünsche, Sie nach etwas zu fragen,« sagte sie plötzlich. »Kennen Sie viele Leute in London?«

      »Ja, sehr viele.«

      »Viele Herren von Rang, welche Titel haben?« Es lag ein unverkennbarer Ton des Argwohnes in dieser sonderbaren Frage. Ich zögerte, sie zu beantworten.

      »Einige,« sagte ich nach kurzem Schweigen.

      »Viele« – sie schwieg und sah mir prüfend in’s Gesicht – »viele im Range eines Baronets?«

      Zu sehr erstaunt, um zu antworten, befragte ich sie meinerseits.

      »Warum fragen Sie das?«

      »Weil ich um meiner selbst willen hoffe, daß es einen Baronet gibt, den Sie nicht kennen.«

      »Wollen Sie mir seinen Namen sagen?«

      »Ich kann nicht – ich wage es nicht – ich vergesse mich, wenn ich ihn ausspreche.« Sie sprach laut und fast zornig, erhob ihre geballte Hand und schüttelte sie leidenschaftlich; dann, sich plötzlich fassend, fügte sie fast flüsternd hinzu, »sagen Sie mir, welche Sie kennen.«

      Ich konnte ihr eine solche Kleinigkeit kaum versagen und nannte daher drei Namen. Zwei von Familienvätern, deren Töchter ich unterrichtete; und noch den eines jungen Mannes, der mich auf einer Seefahrt in seiner Jacht mitgenommen hatte, um Skizzen für ihn zu machen.

      »Ach! Sie kennen ihn nicht,« sagte sie mit einem Seufzer der Erleichterung. »Sind Sie selbst ein Mann von Rang und haben Sie einen Titel?«

      »Weit entfernt. Ich bin nur ein Zeichenlehrer.« Als ich die Antwort aussprach – vielleicht mit etwas Bitterkeit – nahm sie mit der Hast, die alle ihre Handlungen kennzeichnete, meinen Arm.

      »Kein Mann von Rang und ohne Titel,« sagte sie zu sich selbst. »Gott sei Dank! Ihm darf ich trauen!«

      Es war mir bis hierher gelungen, meine Neugier aus Schonung für meine Gefährtin zu beherrschen. Jetzt aber überwältigte sie mich.

      »Ich fürchte, Sie haben ernste Ursache, sich über einen Mann von Rang zu beklagen?« sagte ich. »Ich fürchte, der Baronet, dessen Namen Sie so ungern aussprechen, hat Ihnen irgend ein großes Unrecht zugefügt? Ist er die Ursache, daß Sie so seltsamerweise und in so später Nacht hier draußen sind?«

      »Fragen Sie mich nicht, lassen Sie mich nicht davon sprechen,« entgegnete sie, »ich bin es jetzt nicht im Stande. Man hat mich grausam behandelt, mir ein arges Unrecht angethan. Es wird noch größere Freundlichkeit von Ihnen sein, wenn Sie schneller gehen und nicht mit mir sprechen wollen. Es thut mir so sehr nöthig zu schweigen – damit ich ruhig werde, wenn ich kann.«

      Wir gingen schnellen Schrittes weiter, und während wenigstens einer halben Stunde wurde von uns Beiden kein Wort gesprochen, von Zeit zu Zeit – da sie mir verboten hatte, Fragen an sie zu richten – sah ich verstohlen auf ihr Gesicht. Es war immer dasselbe; die Lippen fest geschlossen, die Stirn gerunzelt, die Augen eifrig und doch scheinbar gedankenlos vor sich hinsehend, wir hatten die ersten Häuser erreicht und waren dicht vor der neuen Wesley’schen Schule, als ihre Züge milder wurden und sie wieder sprach.

      »Wohnen Sie in London?« fragte sie.

      »Ja.« Als ich antwortete, fiel mir ein, daß sie möglicherweise beabsichtige, mich um Rath oder Beistand zu bitten und daß ich ihr eine Täuschung ersparen sollte, indem ich ihr sofort meine bevorstehende Abwesenheit von zu Hause mittheilte. Deshalb fügte ich hinzu: »Aber morgen werde ich London auf einige Zeit verlassen. Ich reise auf’s Land.«

      »Wohin?« fragte sie, »nach Norden oder Süden?«

      »Nach dem Norden – nach Cumberland.«

      »Cumberland!« sie wiederholte das Wort mit zärtlichem Tone. »Ach! ich wollte, ich reiste auch dorthin. Ich war einst glücklich in Cumberland.«

      Ich versuchte noch einmal den Schleier zu lüften, der zwischen mir und dieser Frau gezogen.

      »Vielleicht,« sagte ich, »sind Sie in dem schönen Lande der Seen geboren?«

      »Nein,« entgegnete sie, »ich bin in Hampshire geboren; aber ich ging einmal auf kurze Zeit in Cumberland zur Schule. Seen? Ich erinnere mich keiner Seen. Es ist das Dorf Limmeridge und Limmeridge House, das ich so gern einmal wiedersehen möchte.«

      Jetzt war ich an der Reihe, plötzlich stille zu stehen. Da meine Neugierde in jenem Augenblicke einmal sehr erregt war, erfüllte mich die zufällige Erwähnung von Mr. Fairlie’s Wohnorte von den Lippen meiner seltsamen Gefährtin in Erstaunen.

      »Hörten Sie Jemanden hinter uns rufen?« fragte sie, sowie ich still stand, indem sie erschrocken den Weg auf und ab blickte.

      »Nein, nein. Mir fiel nur der Name Limmeridge House auf – ich hörte denselben vor einigen Tagen von Leuten aus Cumberland aussprechen.«

      »Ach! nicht von meinen Leuten. Mrs. Fairlie und ihr Mann sind todt und ihre kleine Tochter mag jetzt wohl schon verheiratet und fortgezogen sein. Ich weiß nicht, wer jetzt in Limmeridge wohnt, wer sie auch sein mögen; sobald sie denselben Namen tragen, weiß ich, daß ich sie liebe um Mrs. Fairlie’s

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