Fräulein oder Frau. Уилки Коллинз
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Читать онлайн книгу Fräulein oder Frau - Уилки Коллинз страница 4
»Ich weiß nicht, was du meinst. Ich ereifere mich gar nicht, ich bin nur neugierig. Hast du herausgebracht, wer es gewesen ist?«
»Allerdings. Er hieß Howard – er war in Liverpool sehr wohl bekannt als ein höchst schlauer und äußerst gefährlicher Mensch. Er war zu der Zeit, von der ich rede, noch ganz jung und ein ausgezeichneter Kapitän, berühmt und berüchtigt wegen seiner Bereitwilligkeit, die Führung seeuntüchtiger, aber hoch in der Assekuranz stehender Schiffe und den Befehl über hergelaufenes Gesindel zu übernehmen. Wie man mir erzählte, hatte er sich für einen Mann in seiner Stellung, auf diese Weise – im Dienst schlecht berufener Firmen, wobei er vor keiner noch so schlimmen Gefahr zurückschreckte – schon ein hübsches Vermögen erworben. Ein gefährlicher Spitzbube, Richard! Mehr als einmal war er schon in Europa und Amerika durch Akte grausamer Gewalttätigkeit dem Gesetze verfallen. Er wird wohl schon lange tot sein.«
»Oder vielleicht«, sagte Launce, »lebt er noch unter einem anderen Namen und hat sein Glück auf einem anderen Wege unter neuen verzweifelten Gefahren anderer Art gemacht.«
»Kennen Sie die Geschichte?« fragte Turlington, indem er Launce seine Frage in einem scharf herausfordernden Tone zurückgab.
»Was ist denn aus dem fremden Matrosen geworden, Papa?« fragte Natalie dazwischen, indem sie Launce absichtlich zuvorkam, bevor er die in gereiztem Tone an ihn gerichtete Frage in gereiztem Tone beantworten konnte.
»Wir brachten etwas für ihn zusammen, liebes Kind, und wandten uns an seinen Konsul. Der arme Kerl kam so auf ganz gute Weise nach seinem Vaterlande zurück.«
»Und damit ist Sir Josephs Geschichte zu Ende«, sagte Turlington, indem er sich von seinem Sitze erhob. »Schade, daß wir nicht einen Schriftsteller an Bord haben, der könnte eine Novelle daraus machen.« Als er aufgestanden war, sah er nach dem Oberlicht hinauf. »Da haben wir aber endlich die Brise, und dieses Mal irre ich mich nicht!« rief er aus.
Es verhielt sich wirklich so. Endlich war die Brise da. Die Segel pauschten sich, der Hauptmast knarrte und das endlich wieder in Bewegung gekommene Wasser fing an, die Schiffswände mit munteren Wellen zu bespülen.
»Komm aufs Verdeck und schöpfe ein wenig frische Luft, Natalie«, sagte Fräulein Lavinia, indem sie nach der Kajütentüre voranging.
Natalie hob den Rock ihres Nankinganzuges etwas in die Höhe, und ließ dadurch sichtbar werden, daß von dem roten Besatz mehrere Ellen abgerissen waren.
»Laß mich erst noch eine halbe Stunde in meiner Kabine das wieder in Ordnung bringen, Tante«, sagte sie.
Fräulein Lavinia zog ihre ehrwürdigen Augenbrauen erstaunt empor. »Liebes Kind«, sagte sie, »seit du auf Herrn Turlingtons Yacht bist, hast du fortwährend deine Kleider zerrissen. Das ist doch höchst sonderbar! Ich habe mir während der ganzen Fahrt noch nichts an meinem Zeuge zerrissen.«
Nataliens dunkler Teint wurde noch eine Nuance dunkler. Sie lachte etwas gezwungen. »Ich bin so ungeschickt am Bord«, antwortete sie – und damit wandte sie sich ab und schloß sich in ihre Kabine ein.
Richard Turlington zog seine Zigarrentasche hervor.
»Jetzt«, sagte er zu Sir Joseph, »ist die Zeit für die beste Zigarre am Tage – die Zigarre nach dem Frühstück! Komm mit aufs Deck.«
»Kommst du mit hinauf, Launce?« sagte Sir Joseph zu diesem.
»Laß mich erst eine halbe Stunde studieren«, erwiderte Launce. »Ich darf meine medizinischen Kenntnisse auf der See nicht einrosten lassen, und später am Tage werde ich wohl keine Lust zu den Büchern haben!«
»Ganz recht so, lieber Junge, recht so!« – Dabei klopfte Sir Joseph seinem Neffen wohlgefällig auf die Schulter.
Launce ging seines Weges und schloß sich in seine Kabine ein. Die drei andern gingen zusammen aufs Verdeck.
Zweites Kapitel.
Die Vorratskammer
Für Leute mit trägen Lebern und zärtlichen Herzen wird der Genuß einer Seefahrt durch zwei ernste Schattenseiten beeinträchtigt. Es ist außerordentlich schwer, auf der See sich hinreichend Bewegung, und fast unmöglich, im Geheimen die Cour zu machen. Fassen wir hier einen Augenblick nur die letztere Schwierigkeit ins Auge, so kann man das Leben innerhalb der engen und stark bevölkerten Grenzen eines Schiffs als ein wesentlich öffentliches bezeichnen. Vom Morgen bis Abend ist man seinem Nachbar, oder sein Nachbar einem im Wege.
Bei diesem Zustand der Dinge darf man einen Mann, der im Stande ist, auf der See unbeobachtet einen Kuß zu rauben, als einen mit den seltensten Eigenschaften ausgestatteten Menschen bezeichnen. Eine angeborne Begabung für die feinsten Kriegslisten, eine unerschöpfliche Erfindungsgabe, eine durch die übermenschlichsten Prüfungen nicht zu ermüdende Geduld, eine Geistesgegenwart, die durch keinen noch so unerwarteten Zufall außer Fassung zu bringen ist – das sind einige der Eigenschaften, mit welchen die Liebe auf einer Seefahrt ausgerüstet sein muß, wenn sie sich als Kontrebande auf das Schiff mit eingedrängt hat und nicht gehörig in die Schiffspapiere einregistriert ist. Nachdem Natalie und Launce sich über eine hinlänglich originelle Zeichensprache verständigt hatten, die sie in den Stand setzte, vertraulich miteinander zu verkehren, während die Augen und anderer weit geöffnet, auf sie gerichtet waren, hatten sie die noch größere Schwierigkeit zu überwinden, ein Mittel zu finden, am Bord der Yacht unbeobachtet von Zeit zu Zeit zusammenzukommen. Launce hatte sich den Schwierigkeiten, die sich ihm in den Weg stellten, nicht gewachsen gezeigt. Natalie, die in Folge dessen auf ihre eigene Erfindungsgabe angewiesen war, hatte Launce den Gedanken eingegeben, sich seiner medizinischen Studien als einer triftigen Entschuldigung dafür zu bedienen, daß er sich von Zeit zu Zeit in den unteren Regionen einschloß, und war dann auf die glückliche Idee gekommen, sich immer wieder den Besatz ihres Kleides abzureißen, und sich zur selbsteigenen Ausbesserung dieser Risse zu verurteilen, und so ihrerseits eine unverwerfliche Entschuldigung für ihr Verschwinden zu gewinnen. Auf diese Weise machten die Liebenden es möglich, während die nichts ahnenden regierenden Mächte auf dem Verdeck weilten, im Geheimen unter ihnen auf dem neutralen Boden der großen Kajüte zusammenzukommen, und hier waren sie, in Folge einer vorgängigen Verabredung am Frühstückstisch, auch eben jetzt wieder im Begriff, sich im Geheimen zu treffen.
Natalie öffnete, wie gewöhnlich bei diesen Gelegenheiten, ihre Tür zuerst und zwar aus dem triftigen Grunde, weil sie diejenige war, auf deren Behendigkeit im Fall eines unvorhergesehenen Zufalls sie sich am besten verlassen konnten. Sie sah nach dem Oberlicht hinauf. Dort wurden die Beine der beiden Herren und die Röcke ihrer Tante, die an der Leeseite des Schiffes ruhig verharrten, sichtbar. Sie trat einige Schritte weiter vor und horchte. Das Geräusch der Stimmen oben ließ plötzlich nach. Sie sah wieder hinauf. Ein paar Beine, und zwar nicht die ihres Vaters, waren verschwunden. Ohne einen Augenblick zu zögern, flog Natalie in ihre Kabine zurück, gerade noch zu rechter Zeit, um Richard Turlington, der eben die Kajütentreppe herunter kam, zu entgehen. Er trat an eine der Schubladen unter dem Bücherschrank der Kajüte, nahm eine Karte heraus und ging dann sofort wieder auf Deck. Nataliens böses Gewissen ließ sie gleichwohl den voreiligen Schluß ziehen, daß Richard Verdacht gegen sie hege. Gleich darauf trat sie zum zweiten Mal an die Tür ihrer Kabine, dieses Mal aber nicht, um sich in die Kajüte zu wagen, sondern um flüsternd hinaus zu rufen: »Launce!«
Ihr Vetter erschien an seiner Tür, aber noch bevor er die Schwelle überschreiten konnte, rief sie ihm in peremtorischem Tone zu: »Rühr‘ dich nicht! Richard ist unten in der Kajüte gewesen! Er hat Verdacht geschöpft!«
»Unsinn! Komm doch heraus!«