Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe). Оскар Уайльд

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Weihnachtsgeschichten, Märchen  & Sagen (Über 100 Titel  in einem Buch - Illustrierte Ausgabe) - Оскар Уайльд

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Gesellschaft gewöhnt war, graute es Scrooge doch vor der stummen Erscheinung so sehr, daß seine Knie wankten und er kaum mehr zu stehen vermochte, als er sich anschickte, ihr zu folgen. Der Geist hielt für einen Augenblick an, als bemerkte er seine Furcht und wollte ihm Zeit lassen, sich zu beruhigen.

      Aber Scrooge erging es dadurch noch schlechter. Ein leeres unbestimmtes Grausen durchzitterte ihn bei dem Gedanken, daß sich hinter diesem schwarzen Schleier gespenstische Augen fest auf ihn hefteten, während er, wiewohl er seine Augen heftig anstrengte, doch nichts sehen konnte als eine gespenstische Hand und einen großen, dunklen faltigen Mantel.

      »Geist der Zukunft!« rief er, »ich fürchte dich mehr als die Erscheinungen, die ich schon wahrgenommen habe. Aber weil ich weiß, daß es Absicht ist, mir Gutes zu tun, und da ich hoffe weiter zu leben, um ein anderer Mensch zu werden, als ich es früher war, bin ich bereit, dich zu begleiten, und ich tue das mit dankbarem Sinn. Willst du nicht mit mir reden?«

      Die Gestalt antwortete ihm nicht. Die Hand wies gerade in die Ferne vor ihnen.

      »Führe mich«, rief Scrooge. »Führe mich, die Nacht geht schnell dahin, und die Zeit ist kostbar für mich. Führe mich, Geist.«

      Die Erscheinung bewegte sich von ihm fort, ebenso, wie sie auf ihn zugekommen war. Scrooge folgte dem Schatten ihres Gewandes, der, wie es ihm dünkte, ihn emporhob und davontrug.

      Es war kaum so, als ob sie in das Stadtzentrum von sich aus hineingelangten; denn das Stadtzentrum schien eher rund um sie in die Höhe zu schießen und sie zu umzingeln. Aber sie waren doch im Herzen desselben, auf der Börse unter den Kaufleuten, die hin und her eilten, mit dem Geld in ihren Taschen klapperten, in Gruppen miteinander sprachen, nach der Uhr blickten und gedankenvoll mit den großen, goldenen Uhranhängern spielten, wie Scrooge dies oft bemerkt hatte.

      Der Geist blieb bei einer Schar von Kaufleuten stehen. Scrooge sah, daß die Hand der Erscheinung dahinwies, und so näherte er sich ihnen, um ihr Gespräch mit anzuhören.

      »Nein«, sagte ein großer, korpulenter Herr mit einem mächtigen Unterkinn, »ich kann nicht viel darüber sagen. Ich weiß nur, daß er tot ist.«

      »Wann starb er denn?« fragte ein anderer.

      »Vorige Nacht, wenn ich recht unterrichtet bin.«

      »Nun, wie geht das zu?« fragte ein Dritter und nahm eine gewaltige Prise aus einer sehr großen Dose. »Ich dachte, er würde nie sterben.«

      »Weiß Gott, wie es kam«, sagte der erste gähnend.

      »Was hat er mit seinem Gelde begonnen?« fragte ein Herr mit einem roten Gesicht und mit einem Gewächs auf der Nasenspitze, das hin und her wackelte wie der Lappen eines Hahns.

      »Ich habe darüber nichts vernommen«, sagte der Mann mit dem großen Unterkinn, abermals gähnend. »Er hat es wahrscheinlich seiner Sippschaft hinterlassen. Mir hat er es nicht vermacht. Soviel weiß ich.«

      Dieser geistreiche Scherz wurde mit allgemeinem Gelächter aufgenommen.

      »Es wird wohl ein sehr billiges Begräbnis werden«, fuhr derselbe Unterhalter fort; »denn so wahr ich lebe, ich kenne niemanden, der folgen sollte. Wenn wir nun zusammenträten und freiwillig folgten?«

      »Ich bin dabei, wenn für einen Lunch gesorgt wird«, bemerkte der Herr mit dem Gewächs auf der Nasenspitze. »Aber ich muß wohl bewirtet werden, wenn ich dabei sein soll.«

      Ein erneutes Gelächter.

      »Nun, da bin ich doch wohl der Uneigennützigste von euch«, sagte der erste Redende wieder, »denn ich trage nie schwarze Handschuhe und esse keinen Lunch. Aber ich gehe mit, wenn sich noch andere finden. Wenn ich mir’s recht überlege, war ich am Ende sein nächster Freund, wenn wir uns auf der Straße trafen. Guten Morgen, guten Morgen!«

      Die Redenden und Zuhörenden trennten sich und mischten sich unter andere Gruppen. Scrooge kannte die Leute und blickte den Geist fragend an.

      Der Geist schwebte weiter die Straße entlang.

      Seine Hand wies auf zwei sich treffende Personen.

      Scrooge hörte wieder zu, hoffend, daß er hier die Erklärung vernehmen werde.

      Auch diese beiden kannte er genau. Es waren Kaufleute, sehr reich und von großem Ansehen. Er war immer bemüht gewesen, sich ihrer Achtung zu versichern, das heißt in Geschäftssachen, bloß in Geschäftssachen.

      »Wie geht es?« fragte der eine.

      »Wie geht es Ihnen?« fragte der andere.

      »Gut«, sagte der erste. »Der alte Geizhals ist endlich tot, wissen sie es schon?«

      »Ich hörte es«, erwiderte der zweite. »Es ist kalt, nicht wahr?«

      »Wie sich das zu Weihnachten gebührt. Sie sind wohl kein Schlittschuhläufer?«

      »Nein, nein. Ich habe an andere Dinge zu denken. Guten Morgen!«

      Kein Wort weiter. So begegneten sie sich, so schieden sie.

      In Scrooge regte sich erst Erstaunen, weil der Geist auf anscheinend so unbedeutende Gespräche Wert zu legen schien. Aber sein Gefühl sagte ihm, daß sie eine geheime Bedeutung haben müßten, und er grübelte darüber nach, was diese wohl sein möge. Sie konnten nicht auf den Tod Jakobs, seines alten Kompagnons, Bezug haben, denn dieser gehörte in die Vergangenheit, und sein Führer war der Geist der Zukunft … Auch konnte er sich niemand von seinen näheren Bekannten denken, auf den er sie hätte beziehen können. Aber in der Gewißheit, daß, auf wen sie sich auch beziehen möchten, doch darinnen für ihn eine wichtige Mahnung liege, beschloß er, jedes Wort, das er vernahm, und jede Szene, die er schaute, getreulich in seinem Herzen zu behalten und namentlich seinen Schatten zu beobachten, wenn er erschien. Denn er erwartete von dem Benehmen seines künftigen Selbst die fehlende Aufklärung und die Lösung der Rätsel, die ihm jetzt so schwierig vorkamen.

      Schon auf der Börse sah er sich nach seinem Ich um; aber ein anderer stand an seiner gewohnten Stelle, und obgleich die Uhr die Stunde angab, in der er gewöhnlich dort sich befand, erblickte er sich doch auch nicht unter dem Publikum, das sich durch den Eingang hereindrängte. Dieses überraschte ihn indessen wenig; denn er hatte schon lange die Absicht, sein Geschäft aufzugeben, und glaubte und hoffte in diesen zu sehen, wie sein Plan in der Zukunft verwirklicht sei.

      Dunkel und bewegungslos ragte neben ihm das Gespenst mit seiner ausgestreckten Hand. Als er wieder in seiner nachdenklichen Haltung die Augen erhob, glaubte er der Richtung der Hand nach, daß die unsichtbaren Augen sich starr auf ihn richteten. Bei diesem Gedanken befiel ihn ein kalter Schauer.

      Sie verließen das Geschäftsviertel und eilten nach einem abgelegenen Teil der Stadt, wo Scrooge nie vorher gewesen war, dessen Lage und schlechter Ruf ihm aber bekannt waren. Die Straßen waren schmutzig, schmal und krumm; die Läden und Häuser ärmlich; die Menschen verlumpt, betrunken, barfuß, häßlich. Gäßchen und Torwege strömten wie ebensoviele Kloaken Übelkeit erregende Dünste, Schmutz und Menschen in den Straßen; und das ganze Viertel schien erfüllt von Verbrechen, von Verkommenheit und Elend.

      In einem der tiefsten Winkel dieser Heimat der Sünde und Schande war ein niedriger, dunkler Laden unter einem Wetterdach, wo Eisen, Lampen, Flaschen, Knochen

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