Gesammelte Werke von Stefan Zweig. Стефан Цвейг

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Gesammelte Werke von Stefan Zweig - Стефан Цвейг

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an Cabral, derart weit nach Westen abzuschwenken, damit er dort durch einen »wunderbaren Zufall« – milagrosamente, wie er an den König von Spanien schreibt – das neue Land entdecken könne, gewinnt überdies viel an Glaubwürdigkeit durch die Art, mit der der Chronist der Flotte, Pêro Vaz de Caminha, dem König von der Auffindung Brasiliens Bericht erstattet. Er äußert keinerlei Erstaunen oder Begeisterung, unvermutet auf neues Land gestoßen zu sein, sondern verzeichnet bloß trocken die Tatsache als eine Selbstverständlichkeit; ebenso äußert der zweite, unbekannte Chronist nur che ebbe grandissimo piacere. Kein Wort des Triumphes, keine der bei Columbus und seinen Nachfolgern üblichen Vermutungen, daß man damit Asien erreicht hätte – nichts als kalte Notiz, die eher ein bekanntes Faktum zu bestätigen als ein neues anzukündigen scheint. So kann Cabral sein Ruhm, als erster Brasilien entdeckt zu haben, der ihm ohnehin durch Pinzons Landung nördlich des Amazonenstroms schon streitig gemacht wird, vielleicht noch durch späteren dokumentarischen Fund endgültig entzogen werden; solange uns dieses Dokument fehlt, muß jener 22. April 1500 als der Tag des Eintritts dieser neuen Nation in die Weltgeschichte gelten.

      Der erste Eindruck des neuen Landes auf die gelandeten Seeleute ist ausgezeichnet: fruchtbare Erde, milde Winde, frisches, trinkbares Wasser, reichliche Früchte, eine freundliche, ungefährliche Bevölkerung. Wer immer in den nächsten Jahren in Brasilien landet, wiederholt die hymnischen Worte Amerigo Vespuccis, der, ein Jahr nach Cabral dort eintreffend, ausruft: »Wenn irgendwo auf Erden das irdische Paradies existiert, so kann es nicht weit von hier gelegen sein!« Die Einwohner, die den Entdeckern im Unschuldskleid der Nacktheit in den nächsten Tagen entgegentreten und ihre unbedeckten Körper »com tanta innocencia como o rostro«, mit ebensoviel Unbefangenheit wie ihr Gesicht darbieten, bereiten ihnen freundlichen Empfang. Neugierig und friedlich drängen die Männer heran, aber insbesondere sind es die Frauen, die durch ihre Wohlgebautheit und (auch von allen späteren Chronisten dankbar gerühmte) rasche und wahllose Gefälligkeit die Seefahrer die Entbehrungen vieler Wochen vergessen lassen. Zu einer wirklichen Erforschung oder Besetzung des inneren Landes kommt es vorläufig noch nicht, denn Cabral muß nach Erfüllung seines geheimen Auftrags möglichst rasch an sein offizielles Ziel, nach Indien weiter. Am 2. Mai, nach einem Aufenthalt von im ganzen zehn Tagen, steuert er nach Afrika hinüber, nachdem er Gaspar de Lemos Befehl gegeben, mit einem Schiff die Küste nordwärts entlangzukreuzen und dann mit der Nachricht über das aufgefundene Land und einigen Proben seiner Früchte, Pflanzen und Tiere nach Lissabon zurückzukehren.

      Die Meldung, daß die Flotte Cabrals dieses neue Land, sei es in Erfüllung geheimen Auftrages, sei es durch bloßen Zufall erreicht hat, wird im königlichen Palast wohlgefällig, aber ohne richtige Begeisterung aufgenommen. Man meldet sie in offiziellen Briefen an den König von Spanien weiter, um sich den Rechtstitel des Besitzes zu wahren, jedoch die Mitteilung, daß dies neue Land sem ouro nem prata, nem nenhuma cousa de metal sei, gibt dem Funde zunächst wenig Wert. Portugal hat in den letzten Jahrzehnten so viele Länder entdeckt und einen so gewaltigen Teil des Weltalls in Besitz genommen, daß die Aufnahmsfähigkeit des kleinen Landes eigentlich völlig erschöpft ist. Der neue Seeweg nach Indien sichert ihm das Gewürzmonopol und damit allein schon unermeßlichen Reichtum; man weiß in Lissabon, daß in Calicut, in Malakka die seit Hunderten von Jahren sagenhaft gewordene Pracht an Edelsteinen, kostbaren Stoffen, Porzellan und Spezereien für einen kühnen Zugriff bereitliegt, und die Ungeduld, mit einem Ruck diese ganze Welt überlegener Kultur und orientalischer Pracht an sich zu reißen, treibt Portugal zu einer Anspannung des Wagemuts und des Heroismus, wie sie in der Weltgeschichte kaum ihresgleichen hat. Selbst die »Lusiaden«, dieses Heldengedicht, vermögen kaum dieses Abenteuer, diesen neuen Alexanderzug begreiflich zu machen, den eine Handvoll Menschen unternimmt, um mit einem Dutzend winziger Schiffe gleichzeitig drei Erdteile und noch dazu den ganzen unbekannten Ozean zu erobern. Denn das kleine arme Portugal, kaum zweihundert Jahre erst der arabischen Herrschaft entrungen, besitzt kein bares Geld, immer wenn er eine Flotte ausrüstet, muß der König im voraus den Ertrag Wechslern und Händlern verpfänden. Es hat außerdem nicht genug Soldaten, um gleichzeitig die Araber, die Inder, die Malaien, die Afrikaner, die Wilden, zu bekriegen und an allen Orten der drei Erdteile Niederlassungen und Festungen zu errichten. Und doch, wie durch ein Wunder holt Portugal aus sich alle diese Kräfte heraus. Ritter, Bauern und, wie Columbus einmal ärgerlich klagt, sogar »Schneider« verlassen ihre Häuser, ihre Frauen, ihre Kinder, ihre Berufe und strömen aus dem ganzen Land zu den Häfen, und es schreckt sie nicht, daß nach Barros’ berühmtem Wort »der Ozean das häufigste Grab der Portugiesen« wird. Denn das Wort Indien hat magische Macht. Der König weiß, ein Schiff, das von diesem Golkonda zurückkehrt, zahlt für zehn, die verlorengehen, ein Mann, der die Stürme, die Schiffbrüche, die Kämpfe, die Krankheiten übersteht, ist reich für sich und seine Nachfahren. Nun, da die Tür gesprengt ist zur Schatzkammer der damaligen Welt, will keiner in der pequena casa des Vaterlands zurückbleiben, und die Einhelligkeit dieses Willens gibt Portugal eine Ekstase der Kraft und des Muts, die für ein Jahrhundert das Unmögliche möglich, das Unwahrscheinliche zur Wahrheit macht.

      In diesem Tumult der Leidenschaften wird ein so welthistorisches Geschehnis wie die Entdeckung Brasiliens kaum bemerkt, und nichts ist für die Geringschätzung dieser Tatsache charakteristischer, als daß Camões in seinem Heldengedicht unter den Tausenden von Zeilen nicht mit einer einzigen der Auffindung oder Existenz Brasiliens überhaupt Erwähnung tut. Die Seeleute Vasco da Gamas haben kostbare Stoffe mitgebracht, Juwelen, Edelsteine und Gewürze und vor allem die Nachricht, daß tausendmal und tausendmal mehr an solcher Beute in den Palästen der Zamorins und der Radjahs bereitliegt. Wie arm dagegen ist die Beute des Gaspar de Lemos – ein paar bunte Papageien, einige Proben Holz, ein paar Früchte und die ernüchternde Kunde, daß man den nackten Menschen dort nichts nehmen könnte. Er hat kein Staubkörnchen Gold gebracht, keinen einzigen Edelstein, keine Gewürze, nichts von diesen Kostbarkeiten, von denen eine Handvoll wertvoller ist als ganze Wälder Brasilholz, Schätze, die sich mit ein paar Schwerthieben, ein paar Kanonenschüssen leicht erraffen lassen, während die Baumstämme erst gefällt werden müssen, ehe man sie versägen, verschiffen und dann verkaufen kann. Wenn diese Ilha oder Terra de Santa Cruz Reichtümer enthält, so können es nur potentielle sein, Reichtümer, die in jahrelanger mühsamer Arbeit der Erde entrungen werden müssen. Aber Portugals König braucht raschen, greifbaren Gewinn, um die Schulden zu zahlen. Erst also Indien, Afrika, die Molukken, den Orient! So wird Brasilien die Cordelia dieses König Lear, die mißachtete der drei Schwestern Asien, Afrika und Amerika und doch die einzige, die ihm in der Stunde der Not die Treue halten wird.

      Es entspricht also nur der harten Logik der Notwendigkeiten, daß sich das von seinen phantastischen Erfolgen berauschte Portugal zunächst kaum um Brasilien kümmert; der Name dringt nicht ins Volk, er beschäftigt nicht die Phantasie. Die deutschen und italienischen Geographen zeichnen die Linie der Küste als Brassil oder Terra dos Papagaios auf gut Glück in ihre Landkarten ein, aber die Terra de Santa Cruz, dieses leere grüne Land hat nichts, um Anziehung auf Seeleute oder Abenteurer zu üben. Doch wenn König Manuel weder Zeit noch Neigung hat, dieses neue Land richtig zu nützen und zu schützen, so ist er doch gleichzeitig nicht gewillt, auch nur einen Fußbreit dieser Erde andern zu gönnen, weil Brasilien ihm den Seeweg nach Indien schützt und weil vor allem Portugal in seinem Rausch von Glück und Eroberungslust mit seiner kleinen Hand am liebsten die ganze Erde decken möchte. Zäh, ausdauernd und geschickt kämpft er mit Spanien um die Anerkennung, daß dies Gebiet nach dem Vertrage von Tordesillas in seine Zone falle; beinahe kommt es zwischen den beiden Ländern zum Konflikt um eines Landes willen, das keines von ihnen wirklich will und braucht, denn beide wollen sie nur Edelsteine und Gold. Aber rechtzeitig sehen beide ein, wie sinnlos es wäre, gegeneinander die Waffen zu wenden, wo sie jeden Mann und jede Bleikugel benötigen, um die plötzlich ihnen vom Himmel zugefallenen neuen Welten auszuplündern. 1506 kommt es zu einer Einigung, die Portugal sein bisher bloß platonisch ausgeübtes Recht auf Brasilien bestätigt.

      Von Spanien, dem mächtigen Nachbarn, ist nun keinerlei Gefahr mehr zu befürchten. Aber die Franzosen, die bei der Teilung der Erde zwischen Spanien und Portugal zu kurz gekommen sind, beginnen diesem noch unbesiedelten und unorganisierten Stück breiter, schöner Erde zusehends ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Immer häufiger erscheinen Schiffe aus Dieppe und Le

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