Gesammelte Werke von Stefan Zweig. Стефан Цвейг
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Der erste Schlag gilt der Hauptstadt. Am 9. Mai 1624 wird Bahia fast ohne Widerstand genommen und unermeßliche Beute weggeschleppt. Nun erst wacht Spanien auf; über fünfzig Schiffe mit elftausend Mann werden entsandt, die Bahia vereint mit den einheimischen Hilfstruppen aus Pernambuco zurückerobern, ehe die zweite Flotte der Holländer mit vierunddreißig Schiffen eintrifft: bereits haben sich in Erkenntnis des Werts der bisher mißachteten Kolonie die Anstrengungen verhundertfacht, das »Zuckerland« zu behaupten. Genötigt, in Bahia zurückzuweichen, rüstet die holländische Compagnie zu einem neuen Angriff mit neuen Verstärkungen und hat damit Erfolg. 1635 wird Recife und in den folgenden Jahren außer Bahia die ganze Nordküste besetzt. Von dieser Stunde an besteht durch dreiundzwanzig Jahre im Norden Brasiliens eine selbständige holländische Verwaltung.
Die kolonisatorische Leistung dieser dreiundzwanzig holländischen Jahre ist allerdings eine großartige. Sie übertrifft bei weitem alles, was die Portugiesen vordem in hundert Jahren getan. Die Holländer haben klare und erprobte Organisationsideen. Sie überlassen die Einwanderung und Verwaltung nicht zufälligen anarchischen Elementen, sie senden nicht den Abhub ihres Landes, sondern ihre besten und vorsorglich ausgewählten Männer. Moritz von Nassau, der als Gouverneur der Krone das neue Land verwaltet, stammt nicht nur aus königlichem Blut, sondern ist auch im geistigen Sinn ein Edelmann, weitsichtig, großzügig und tolerant. Er bringt einen ganzen Generalstab von Fachleuten, Ingenieuren, Botanikern, Astronomen, Gelehrten, um das Land zu erforschen, zu kolonisieren, zu europäisieren. Und nichts ist typischer für die Minderwertigkeit des kulturellen Materials, das die Portugiesen im Vergleich zu den Franzosen und Holländern nach Brasilien entsandten, als daß wir über die erste Jugendzeit Brasiliens keine einzige wirklich literarisch gültige Beschreibung von irgendeinem Portugiesen außer den Briefen der Jesuiten besitzen, während die Franzosen nach wenigen Jahren schon das Werk über die »France Antarctique« der Welt geben und Moritz von Nassau durch Barleus jenes vorbildliche Prachtwerk mit Kupfern und Plänen anfertigen läßt, das seinen Ruhm und seine Leistung verewigt.
Moritz von Nassau macht gute Figur in der brasilianischen Geschichte. Er hat als Humanist die Idee der Toleranz mitgebracht, allen Religionen freie Wirkung verstattet, allen Künsten fruchtbare Entwicklung ermöglicht, und selbst die alten Ansiedler können über keine Gewalttätigkeit klagen. In Recife, ihm zu Ehren Mauritsstaad benannt, werden Paläste, steinerne Häuser und saubere Straßen gebaut, das umliegende Land von Geographen durchforscht. Für die Zuckerindustrie werden neue hydraulische Pressen eingeführt, in den Handel die Kaufleute eingeschaltet, die aus Portugal geflüchtet waren, das ganze öffentliche Leben auf Stabilität und Entwicklung eingestellt. Den Portugiesen bleiben ihre Rechte gewahrt, den Eingeborenen ihre Freiheit. In gewissem Sinn verwirklicht Moritz von Nassau das gleiche Ideal der friedlichen Besiedlung, wie es die Jesuiten auf religiöser Grundlage anstrebten, im Geiste der Humanität.
Aber nicht in Brasilien wird das Schicksal Brasiliens entschieden, sondern in Europa. 1640 hat sich Portugal wieder von Spanien losgelöst und unter Dom João IV. seine eigene Krone zurückgewonnen. Dadurch ist eine weitere Okkupation durch Holland ohne jede rechtliche Grundlage. Ein Waffenstillstand gibt beiden Teilen Rast, und da seinerseits Holland, die neue Seemacht, mit der noch jüngeren Seemacht Englands in Konflikt gerät, kann der Kampf um die Befreiung Brasiliens wiederaufgenommen werden; zum erstenmal sind es nationale brasilianische Kräfte, die ihn entfachen. Es ist diesmal nicht so sehr Portugal, sondern schon die Kolonie selbst, die um ihre Einheit und Unabhängigkeit ficht. Wieder sind es kirchliche Elemente, welche die Führung übernehmen, weil sie die vitale Wichtigkeit erkennen, das neue Land unversehrt von jeder Infiltrierung durch protestantische Elemente zu erhalten, deren Anwesenheit den mörderischen Religionskrieg aus Europa nach Brasilien übertragen könnte. 1649 gründet der Pater António Vieira, einer der genialsten Diplomatenfiguren seiner Zeit, in Lissabon eine Gegencompagnie gegen die holländische, die »Companhia Geral de Comércio para o Brasil«, die aus eigener Initiative eine Flotte ausrüstet, und gleichzeitig improvisiert sich im Lande im Verein mit den einheimischen Handelsleuten, die ihre Plantagen und Zuckerwerke zurückgewinnen wollen, eine nationale Armee. Und nun geschieht das Überraschende: während Portugal mit Holland noch verhandelt, ob und wann und wieviel von Brasiliens Küste ihm verbleiben solle, und ehe noch die Flotte, die Portugal zur Stützung senden will, herübergekommen ist, haben die Brasilianer die Initiative auf eigene Faust übernommen; Schritt für Schritt werden die Holländer zurückgedrängt, Moritz von Nassau verläßt das Land, und am 6. Januar 1654 kapituliert Recife, ihre letzte Festung; die Holländer ziehen sich endgültig zurück. Während das Traumreich der Lusiaden ebenso rasch entschwindet, wie es der schöpferische Augenblick Portugals gebaut, bleibt Brasilien unversehrt sich selbst erhalten.
Im ganzen bedeutet die holländische Episode in der Geschichte Brasiliens einen Glücksfall. Sie hat lange genug gedauert, um durch vorbildliche Verwaltung darzutun, was in diesem Lande bei guter, zivilisierter Organisation geleistet werden kann, und dauert doch anderseits nicht lange genug, um die Einheit der portugiesischen Sprache und der portugiesischen Sitte zu brechen; im Gegenteil: gerade die Bedrohung durch eine Fremdherrschaft erschafft und fördert erst das brasilianische Nationalgefühl. Von Norden bis Süden empfindet sich jetzt diese Kolonie als ein zusammengehöriges Land, das einhellig entschlossen ist, jede gewaltsame Einwirkung auf sein nationales Leben ebenso gewaltsam aus seinem Organismus auszuscheiden: alles Fremde muß sich von nun ab dem Brasilianischen amalgamieren, wenn es sich behaupten will. Scheinbar ist mit diesem Kriege Brasilien für Portugal zurückgewonnen, in Wirklichkeit aber schon sich selbst.
Denn zum erstenmal in diesem Kriege zwischen Portugiesen und Holländern ist dieses neue, in seinen Kräften und Eigenheiten noch unbekannte Element in Erscheinung getreten: der Brasilianer.
Langsam hat sich dieser Typus zu formen begonnen und zunächst in ziemlich gegensätzlicher Art. Die Küste und das Innere des Landes zeigen ein durchaus verschiedenes Bild. In den Küstenstädten strömt ständig neues Blut ein, Zuwanderer, Händler, Matrosen und Sklaven, in den aldeias des Binnenlands wiederum erhält sich dasselbe Blut durch ständige Vermischung. Die Menschen der Küste sind Händler oder primitive Industrielle, ihre wahre Heimat ist das Meer, unwillkürlich blicken sie mit ihren Produkten und Plänen ständig nach Europa hinüber. Für die Kolonisten dagegen ist die Heimat die Erde, und nur Erde erzeugt das volle Gefühl der Verbundenheit.
Die stärkere Energie ist bei den Männern des Hinterlandes. Sie wohnen im Ungesicherten und, gewöhnt an die Gefahr, haben sie begonnen, sie zu lieben. Vor allem in São Paulo beginnt ein merkwürdiger Typus sich zu bilden: der Paulista. Als Portugiesen oder Söhne von Portugiesen einerseits die nomadische Lust der alten Indios, anderseits die Abenteurerfreude der europäischen Ahnen im Blut liebt dies neue Geschlecht es nicht, die Erde selbst zu bestellen, die es besitzt. Längst besorgen diese grobe Arbeit für sie ihre Sklaven, und die langsame Art, Reichtum zu erwerben, widerstrebt ihrem unruhigen Blut. Mit Ackerbau und Viehzucht wird man nicht reich, solange man sie nicht mit hundert Sklaven in großem Stile betreibt, und sie wollen reich werden auf Conquistadorenart – reich, mit einem Schlag und wenn auch mit Einsatz ihres Lebens. So schließen sich die Ansiedler von São Paulo mehrmals im Jahr zu größeren Gruppen zusammen, um als Bandeirantes, die Fahne voran, zu Pferd und mit einem Troß von Dienern und Sklaven wie einst