Dr. Katzenbergers Badereise. Jean Paul
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Theoda indes, nie mit einer lauen oder höflichen Überzeugung zufrieden, suchte den Poeten für den Vater noch stärker anzuwärmen durch das Berichten, wie dieser bei dem Scheine einer geizigen Laune ganz uneigennützig als heilender Arzt Armen öfter als Vornehmen zu Hülfe eile und dabei lieber in den seltensten gefahrvollsten als in gefahrlosen Krankheiten der Schutzengel werde. Jedes Wort war eine Wahrheit; aber die Tochter voll kindlicher und jeder Liebe kam freilich nicht darhinter, dass ihm eigentlich die Wissenschaft, nicht der Kranke höher stand als Geld und dass er mit einer gewaltigen Gegnerin von kranker Natur am liebsten das medizinische Schach spielte, weil aus der größern Verwicklung die größere Lehrbeute zu holen war; ja er würde für eine stichhaltige Versicherung der bloßen Leichenöffnung jeden umsonst in die Kur genommen haben aus Liebe zur Anatomie.
»Vollends aber die Güte, womit mein genialer Vater alle Wünsche erfüllt, mit welchen ich nicht gerade seinen wissenschaftlichen Eifer störe, und was er alles für meine Bildung getan, das kann ich als Tochter leichter in meinem Herzen verehren als durch Worte andern enthüllen; aber schmerzen muss es mich jederzeit, wenn ich ihn bei andern, da er Stand und fremdes Urteil gar zu wenig achtet, ordentlich darauf ausgehen sehe, verkannt zu werden«, beschloss Theoda. – Du warme Verblendete! – So wie wir alle merken, bildet sie sich ein, den Poeten Nieß durch Preisen für ihren Vater zu gewinnen, für einen Mann, der ihm doch ins Gesicht gesagt, seine Nasenwurzel sei zu dünn. Schwerlich sind Wurzelwörter eines solchen Ärgers je auszuziehen, und aus der Nasenwurzel wird in Nieß – da es etwas anderes sein würde, wäre statt der Eitelkeit bloß sein Stolz beleidigt worden – immer etwas Stechendes gegen den Doktor wachsen.
Dafür aber zog sich aller Weihrauch, den die Tochter für den Vater anbrannte, auf sie selber zurück in Nießens Nase, und am Ende konnt‘ er sie kaum anhören vor Anblicken; so dass ihm nichts fehlte zu einer poetischen Umhalsung Theodas als der wahre Schlaf des schnarchenden Fuchses. Indes ging er auf andere Weisen über, Lieben auszusprechen, und legte solche an einem bekannten theudobachischen Schauspiel: »Die scheue Liebe« zergliedernd auseinander. Ein Bühnen-Dichter vieler Stücke oder ein Kunstrichter aller Stücke hat oder ist leicht eine Schiff- und Eselbrücke in ein Weiberherz. Darüber versank doch der Doktor vor Langweile aus dem vorgeträumten Schlaf in einen echten, und zwar bald nach Nießens schönen wahren Worten: »Jungfräuliche Liebe schlummert wohl, aber sie träumt doch.«
Als er ganz spät aufwachte, sagt‘ er, halb im Schlafe: »Natürlich schläft sie und träumt darauf.« Nur Nießen war dieser ihm zugehörige Sinnspruch deutlich und erinnerlich, und er dachte leise: »Seht den Dieb!«
Eben watete ihnen im Sande ein Bekannter der Familie entgegen, der sogleich sich umkehrte und in die Taschen griff, als er den Wagen erblickte. Es ist bekannt, dass es der Winkel-Schul-Direktor Würfel war, ein feines Männchen. Der Doktor ließ ihm schnell nachfahren, um das Umwenden zu begreifen. Eingeholt kehrte der Direktor sich wieder um und verbeugte sich stufenweise vor jedem. Der Doktor fragte, warum er immer so umkehre. »Er sei«, sagte er, »so unglücklich gewesen, sein Taschenbuch in Huhl zu vergessen; und jetzt so glücklich geworden, indem ers hole, eine solche Gesellschaft immer vor Augen, wenn auch von weitem, zu haben.« – »So nehmen Sie hier Rücksitz und Stimme«, sagte der Doktor zu Nießens Verwundrung.
Der Winkel-Schul-Direktor war lange, wohl zehnmal, adeliger Haus- und Schloss-Lehrer gewesen – hatte mehr als hundert Hausbällen zugeschaut und getraute sich, jede adelige Schülerin noch anzureden, wenn sie mannbar geworden – wie der alte Deutsche im Trunke keusch blieb, so war er stets mitten unter den feinsten Dessertweinen nicht nur keusch, sondern auch nüchtern geblieben, weil er den schlechtesten bekam – und war überhaupt an den Tischen seiner Herren tafelfähig, wenn auch nicht stimmfähig gewesen. Dieses Durchwälzen durch die feine Welt hatt‘ an ihm so viele elegante Sitten zurückgelassen, als er zu oft an Spezial-, ja an Generalsuperintendenten vermisste; so dass ihm öfter nichts zum vollständigsten feinsten Fat fehlte als der Mut; aber er glich dem Prediger, welcher auf der Kanzel mitten zwischen seinen heiligsten Erhebungen über die Erde und deren Gaben von Zeit zu Zeit die Dose aufmacht und schnupft. Dabei hatte er durch langes Erziehen fast alle Sprachen und Wissenschaften samt übriger Bildung in den Kopf bekommen, die ihm, wie einem armen Postknechte Reichtümer und Prinzen, zu nichts halfen, als dass er sie weiter zu schaffen hatte. Da er indes kein Wort sagte, das nicht schon einen Verleger und Verfasser gehabt hätte: so hörte man seine Schüler lieber als ihren Lehrer.
Dieser Winkelschul-Direktor hatte nun einst mit Theoda Theudobachs Stücke ins Englische und sich dabei (da sie nur eine Bürgerliche war) in einen Liebhaber und in den Himmel übertragen. Eben deshalb hatte ihm der Doktor, der in Herzsachen Scherz verstand und suchte, einen Sitz neben dem zweiten Liebhaber Nieß ausgeleert: »Ich sehe«, sagte er, »nichts lieber miteinander spielen als zwei Hasen, ausgenommen den Fuchs mit dem Hasen.«
Es ging anders. Theoda stellte vor allen Dingen den Vielwisser Würfel – dem sie freudig alles schenkte, sich ausgenommen – unserem Freunde des ins Englische verdolmetschten Dichters vor. Da fing das lange Zergliedern des Dichters (Nieß war der Prosektor) an, jedes Glied wurde durch kritisches Zerschneiden vervielfacht und vergrößert und zum Präparat der Ewigkeit ausgespritzt und mit Weingeist beseelt. Bloß der Hör-Märterer Katzenberger litt viel bei der ganzen Sache und war der einzige Mann in diesem feurigen Ofen, der sich nicht mit Singen helfen konnte. Nieß zeigte überall die leichte Weltmanns-Wärme eines feurigen Juwels. Würfel zeigte eine Schmelzofenglut, als wären in seiner die poetischen Gestalten erst fertig zu gießen; Theoda zeigte eine Französin, eine Deutsche und eine Jungfrau und ein Sich. Indes sah der helle Edelmann aus jedem Worte Würfels, wie dieser den theudobachischen Sockus und Kothurn nur in ein Fahrzeug verkehre, um darin auf einer von den schönen Freundschaft-Inseln Theodas anzulanden; je mehr daher der Direktor den Dichter erhob, desto mehr erboste sich der Edelmann. Doch blieben beide, Nieß und Theudobach, so fest und fein und studierten die Menschen und wollten weniger die Schuldner einer (dichterischen) Vergangenheit sein als einer (prosaischen) Gegenwart; Nieß wollte zugleich als Münzer und als Münze gelten.
Vom Dichten kommt man leicht aufs Lieben, und indem man ideale Charaktere kritisiert, produziert man leicht den eigenen, und ein gedruckter Roman wird das Getriebe und Leitzeug eines lebendigen. Würfel stach hier mehr durch Feinheit hervor, Nieß durch Keckheit. Jener zeigte einen Grad von romantischer