Dr. Katzenbergers Badereise. Jean Paul

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Dr. Katzenbergers Badereise - Jean Paul страница 9

Dr. Katzenbergers Badereise - Jean Paul Klassiker der Weltliteratur

Скачать книгу

      HALBTAGFAHRT NACH ST. WOLFGANG

      Theoda konnte unmöglich eine Viertelstunde vor dem Edelmarine sitzen, ohne ihn über Inner- und Äußerlichkeiten seines Freundes Theudobach, von dem Zopfe an bis zu den Sporen, auszufragen. Er schilderte mit wenigen Zügen, wie einfach er lebe und nur für die Kunst, und wie er, ungeachtet seiner Lustspiele, ein gutmütiges liebendes Kind sei, das ebenso oft geliebt als betrogen werde; und im Äußern habe er so viel Ähnlichkeit mit ihm selber, dass er darum sich oft Theudobachs Körper nenne. Himmel! mit welchem Feuer schauete die Begeisterte ihm ins Gesicht, um ihren Autor ein paar Tage früher zu sehen! »Ich habe doch in meinem Leben nicht zwei gleich ähnliche Menschen gesehen« sagte Theoda, der einmal in einem glänzenden Traume Theudobach ganz anders erschienen war als sein vergebliches Nachbild. »Soll er meiner Tochter gefallen«, bemerkte der Doktor, »so muss die Nasenwurzel des Poeten und die Nasenknorpel samt dem Knochenbau etwas stärker und breiter sein als bei Ihnen, nach ihren phantastischen Voraussetzungen aus seinen Büchern.« Wenn also der Schleicher etwa, wie ein Doppeladler, zwei Kronen durch seine Namen-Maske auf den Kopf bekommen wollte, eine jetzige und eine künftige: so ging er sehr fehl, dass er den Menschen ein paar Tage vor dem Schriftsteller abgesondert vorausschickte; denn jener verhärtete in Theodas Phantasie und ließ sich spröde nicht mehr mit diesem verarbeiten und verquicken, indes umgekehrt bei einer gleichzeitigen ungeteilten Vorführung beider das Schriftstellerische sogleich das Menschliche mit Glimmer durchdrungen hätte.

      Nieß warf ohne Antwort die Frage hin, wie ihr sein beziehlich-bestes Stück: »Der Ritter einer bessern Zeit« gefallen, mit welchem er eben in Maulbronn die deklamatorische Akademie anfangen wolle. Da ein Autor bei einem Leser, der ihn wegen eines halben Dutzends Schriften anbetet, stets voraussetzt, er habe alle Dutzende gelesen: so erstaunte er ein wenig über Theodas Freude, dass sie etwas noch Ungelesenes von ihm werde zu hören bekommen. Sie musste ihm nun – so wenig wurd‘ er auf seinem Selberfahrstuhl von Siegwagen des schönen Aufzugs satt – sagen, was sie vorzüglich am Dichter liebe; »großer Gott«, versetzte sie, »was ist vorzüglich zu lieben, wenn man liebt? Am meisten aber gefällt mir sein Witz – am meisten jedoch seine Erhabenheit – freilich am meisten sein zartes heißes Herz – und mehr als alles andere, was ich eben lese.« – »Was lesen Sie denn eben von ihm?«, fragte Nieß. »Jetzo nichts«, sagte sie.

      Der Edelmann brauchte kaum die Hälfte seiner feinen Fühlhörner auszustrecken, um es dem Doktor abzufühlen, dass er mit seinem verschränkten Gesichte ebenso gut unter dem Balbiermesser freundlich lächeln könnte als unter einem für ihn so widerhaarigen Gespräche; er tat daher – um allerlei aus ihm herauszureizen, worüber er bei der künftigen Erkennszene recht erröten sollte – die Frage an ihn, was er seines Orts vom Dichter für das Schlechteste halte. »Alles«, versetzte er, »da ich die Schnurren noch nicht gelesen. Mich wunderts am meisten, dass er als Edelmann und Reicher etwas schreibt; sonst taugen in Papiermühlen wohl die groben Lumpen zu Papier, aber nicht die seidnen.« Nieß fragte: ob er nicht in der Jugend Verse gemacht? »Pope« – gab er zur Antwort – »entsann sich der Zeit nicht, wo er keine geschmiedet, ich erinnere mich derjenigen nicht, wo ich dergleichen geschaffen hätte. Nur einmal mag ich, als verliebter Geßners-Schäfer und Primaner, so wie in Krankheiten sogar die Venen pulsieren, in Poetasterei hineingeraten sein, vor einem dummen Ding von Mädchen – Gott weiß, wo die Göttin jetzt ihre Ziegen melkt. – Ich stellte ihr die schöne Natur vor, die schon dalag, und warf die Frage auf: Sieh, Suse, blüht nicht alles vor uns wie wir, der Wiesenstorchschnabel und die große Gänseblume und das Rindsauge und die Gichtrose und das Lungenkraut bis zu den Schlehengipfeln und Birnenwipfeln hinauf? Und überall bestäuben sich die Blumen zur Ehe, die jetzt dein Vieh frisst! – Sie antwortete gerührt: Wird Er immer so an mich denken, Amandus? Ich versetzte wild: Beim Henker! an uns beide; wohin ich künftig auch verschlagen und verfahren werde, und in welchen fernen Fluss und Bach ich auch einst schauen werde – es sei in die Schweina in Meiningen – oder in die Besau und die Gesau im Henneberg – oder in die wilde Sau in Böhmen – oder in die Wampfe in Lüneburg – oder in den Lumpelbach in Salzburg – oder in die Sterzel in Tyrol – oder in die Kratza oder in den Galgenbach in der Oberpfalz – in welchen Bach ich, schwör‘ ich dir, künftig schauen werde, stets werd‘ ich darin mein Gesicht erblicken und dadurch auf deines kommen, das so oft an meinem gewesen, Suse. – Jetzt freilich, Herr von Nieß, sprech‘ ich prosaischer.«

      Nieß griff feurig nach des Doktors Hand und sagte: »Das scherzhafte Gewand verberge ihm doch nicht das weiche Herz darunter.« – »Ich muss auch durchaus früherer Zeit zu weich und flüssig gewesen sein – versetzte dieser –, weil ich sonst nicht gehörig hart und knöchern hätte werden können; denn es ist geistig wie mit dem Leibe, in welchem bloß aus dem Flüssigen sich die Knochen und alles Harte erzeugt, und wenn ein Mann harte Eiszapfenworte ausstößt, so sollte dies wohl der beste Beweis sein, wie viel weiche Tränen er sonst vergossen.« – »Immer schöner!«, rief Nieß; »o Gott nein!«, rief Theoda im gereizten Tone.

      Der Edelmann schob sogleich etwas Schmeichelndes, nämlich einen neuen Zug von Theudobach ein, den er mit ihm teile, nämlich den Genuss der Natur. »Also auch des Maies?«, fragte der Doktor; Nieß nickte. Hierauf erzählte dieser: Darüber hab‘ er seine erste Braut verloren; denn er habe, da sie an einem schönen Morgen von ihren Maigenüssen gesprochen, versetzt, auch er habe nie so viele gehabt als in diesem Mai wegen der unzähligen Maikäfer; als er darauf zum Beweise einige von den Blättern abgepflückt und sie vor ihren Augen ausgesogen und genossen: so sei er ihr seitdem mehr gräuels- als liebenswürdig vorgekommen, und er habe durch seine Rösel‘schen Insektenbelustigungen Brautkuchen und Honigwochen verscherzt und vernascht.

      Nieß aber, sich mehr zur Tochter schlagend, fuhr kühn mit dem Ernste des Naturgenusses fort und schilderte mehre schöne Aussichten ab, die man sah, und von manchen erhabenen Wolken-Partien lieferte er gute Rötelzeichnungen: – als endlich die Partien zu regnen anfingen und selbst herunterkamen. Sogleich rief der Doktor den langröckigen Flex in den Wagen herein als einen Füllstein für Nieß. Diesem entfuhr der Ausruf: »Dies zarte Gefühl hat auch unser Dichter für seine Leute, Theoda!« – »Es ist«, antwortete ihr Vater, »zwar weniger der Mensch da als sein langer Rock zu schonen; aber zartes Gefühl äußert sich wohl bei jedem, den der Wagen verdammt stößt.« Bald darauf kamen sie in St. Wolfgang an.

      MITTAGS-ABENTEUER

      Gewöhnlich fand der Doktor in allen Wirtshäusern bessere Aufnahme als in denen, wo er schon einmal gewesen war. Nirgends traf er aber auf eine so verzogne Empfangs-Physiognomie als bei der verwittibten, nett gekleideten Wirtin in St. Wolfgang, bei der er jetzt zum zwölften Male ausstieg. Das zweite Mal, wo sie in der Halbtrauer um ihre eheliche Hälfte und in der halben Feiertags-Hoffnung auf eine neue ihrem medizinischen Gaste mit Klagen über Halsschmerzen sich genähert, hatte dieser freundlich sie in seiner Amtsprache gebeten: sie möge nur erst den Unterkiefer niederlassen, er wolle ihr in den Rachen sehen. Sie ging wütig-erhitzt und mit vergrößerten Halsschmerzen davon und sagte: »Sein Rachen mag selber einer sein; denn kein Mensch im Hause frisst Ungeziefer als Er.« Sie bezog sich auf sein erstes Dagewesensein. Er hatte nämlich, zufolge allgemein-bestätigter Erfahrungen und Beispiele, z. B. de la Landes und sogar der Demoiselle Schurmann – welche nur naturhistorischen Laien Neuigkeiten sein können –, im ganzen Wirtshause (dem Kellner schlich er deshalb in den Keller nach) umhergestöbert und -gewittert, um fette runde Spinnen zu erjagen, die für ihn (wie für das oben gedachte Paar) Landaustern und lebendige Bouillon-Kugeln waren, die er frisch aß. Ja er hatte sogar – um den allgemeinen Ekel des Wirtshauses, wo möglich, zurechtzuweisen – vor den Augen der Wirtin und der Aufwärter reife Kanker auf Semmelschnitte gestrichen und sie aufgegessen, indem er Stein und Bein dabei schwur – um mehr anzuködern –, sie schmeckten wie Haselnüsse.

      Gleichwohl hatte er dadurch weit mehr den Abscheu als den Appetit in Betreff der Spinnen und Seiner-Selbst vermehrt, und zwar in solchem Grade, dass er selber der ganzen Wirtschaft als eine Kreuz-Spinne vorkam, und sie sich als seine Fliegen.

Скачать книгу