Der eiserne Gustav. Hans Fallada

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Der eiserne Gustav - Hans  Fallada Hans-Fallada-Reihe

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länger zu tun, wird man schön warm davon!«

      Dann schwiegen wieder alle.

      Nach einer Weile kam die Frau zurück. »So«, sagte sie, und ihre Stimme hatte einen ganz anderen Klang. »Jetzt halte ich es wieder eine Weile aus. Wollen Sie auch? Ich sorge schon für Ihren Platz.«

      Aber Gertrud Gudde schüttelte den Kopf. »Nein, danke«, sagte sie leise. Nicht, daß sie nicht fror, aber sie scheute sich, mit ihrer Mißgestalt vor den anderen herumzulaufen. Sie waren ja alle arme geschlagene Weiber, aber es gab doch immer welche, die in aller Armut noch über den Ärmeren spotteten.

      Und dann hatte sie wirklich Angst um ihren Platz, es standen jetzt schon so viele hinter ihr! Es war unmöglich, daß der Fleischer Knochen für alle hatte. Und jetzt war es erst sechs! Sie flehte, daß doch gegen acht ein Schutzmann vorüberkommen und die Leute schubweise in den Laden lassen würde. Sonst gab es einen Wirbel, wenn die Ladentür aufgemacht wurde, und sie wurde von den Stärkeren nach hinten gedrängt!

      Hinter ihr unterhielten sich jetzt zwei mit lauten, scharfen Stimmen über eine neue Bestimmung wegen des Urlaubs von der Front. »Es ist wahr«, sagte die eine, »du kannst es mir glauben: Für jeden Goldfuchs, den du hier in der Heimat ablieferst, kriegt dein Mann einen Tag Urlaub.«

      »So was werden sie doch nicht machen!« antwortete die andere. »Das wäre doch nur was für die Reichen! Im Schützengraben draußen sind doch wenigstens alle gleich!«

      »Für die Reichen, sagst du?« fragte die erste Stimme wieder erbittert. »Für die Schieber und Hamster, meinst du! Wer anständig war, hat sein Gold doch längst abgeliefert, als es hieß ›Gold gab ich für Eisen‹! Ja, Scheiße – die Anständigen sind wieder mal die Dummen! Aber es gibt ihrer noch genug, die Gold im Strumpf haben. Die kriegen ihren Mann, für zehn Tage, für vierzehn Tage, für drei Wochen … und in der Zeit fällt vielleicht grade dein Mann …«

      »Das machen sie nicht«, sagte wieder die andere, aber sie sagte es unsicher. »Das wäre doch keine Gerechtigkeit.«

      »Gerechtigkeit!« rief die andere fast rasend. »Red doch bloß nicht solchen Stuß! Gerechtigkeit! Wer mag denn so ein Wort in den Mund nehmen! Wo siehste denn Gerechtigkeit? Gold her – und du kannst mit deinem Mann ins Bett gehen. Kein Gold – ei du liebe Scheiße!«

      »Die Leute reden soviel …«, sagte die andere wieder zaghaft.

      »Gerechtigkeit …«, rief die andere, die sich gar nicht beruhigen konnte. »Neulich haben sie bei mir wieder einen Wisch durch die Tür gesteckt. Ich les sonst das Zeugs nicht – es ist alles bloß Quatsch. Daß wir unsere Ketten zerbrechen sollen und so – das sollen die, die so etwas drucken, uns erst mal vormachen! Wenn sie selber ihre Ketten zerbrochen hätten, brauchten sie die Zettel ja nicht heimlich durch die Tür zu stecken!«

      Ein paar lachten.

      »Habe ich nicht recht?« fragte die Frau friedlicher. »Das ist ja alles bloß Geschwätz! Aber den Wisch habe ich gelesen. Menu stand darüber.« (Sie sagte: Me-nuh.) »Das soll heißen, was es zu essen gab. Kaiserliches Hauptquartier, stand darüber, Homburg vor der Höhe – seit wann ist denn überhaupt Homburg vor der Höhe an der Front? Ich denk immer, das ist ’ne deutsche Stadt.«

      »Das verstehste nicht«, sagte eine andere Frau. »Dafür bist du zu dusselig. Einen Kaiser wie Willem, den gibt et nur einmal, aber deinen Emil oder wie er heißt, den gibt et hunderttausendmal …«

      »Det verstehst nu du wieder nich«, sagte die erste, aber ganz besänftigt, »weil du nämlich meinen nich kennst. Wenn du den nämlich kennen würdest, wie ich ihn kennen tue, würd’ste nich sagen, es gibt ihn tausendmal. Nee, so einen gibt’s auch nur einmal …«

      So redeten sie weiter. Immer weiter redeten sie von Emil und Willem und von seinem Menu mit sieben Gängen, alles auf französisch. Aber dieses Französisch hatten sie ganz gut verstanden. Sie redeten weiter, sie erhitzten sich und wurden wieder verdrossen – es kam nichts heraus dabei, es war das Gewohnte –, aber die Zeit verging ihnen darüber.

      Gertrud Gudde stand auf ihrem neunzehnten Platz. Sie hörte das Gerede an, und sie überhörte es. Die eisige Kälte stieg hoch in ihr, aber es war nicht nur die Winterkälte, die sie so frieren machte. Urlaub, dachte sie. Schon über zwei Jahre ist er draußen und hat doch noch keinen Urlaub gehabt. Ich schreibe nicht davon, und er schreibt nicht davon, aber jeder Mann an der Westfront hat in dieser Zeit mindestens zweimal Urlaub gehabt. Nur er …

      Sie fängt wieder an zu grübeln, was sie schon hundertmal, schon tausendmal durchgegrübelt hat: Warum er nicht kommt? Er weiß Bescheid, wie es zu Haus aussieht; obwohl sie nie etwas von der Lebensmittelknappheit in ihren Briefen erwähnt hat, klingelt dann und wann ein Urlauber an ihrer Wohnungstür. Er gibt ein Eßpaket ab: ein bißchen Schmalz, zwei Pfund Speck, Zucker, auch einmal Linsen …

      »Warum kriegt Otto denn keinen Urlaub?« fragt sie dann die Urlauber.

      Sie zucken verlegen die Achseln, sie sehen sie an, sie sagen: »Ich weiß nicht, vielleicht will er nicht …«

      Sie sehen sie an, und schon mag sie nicht mehr weiter fragen. Sie haben sie so komisch angesehen, vielleicht denken sie: Wenn ich eine Frau hätte, die so aussieht wie du, würde ich auch nicht auf Urlaub fahren …

      Zuerst hat sie gedacht, daß er wirklich keinen Urlaub bekommt, weil er untüchtig ist … Aber wie dann die Nachricht vom Eisernen Kreuz kam, und dann, daß er Unteroffizier geworden war … Das konnte es nicht sein, daß er nicht durfte, er wollte vielleicht wirklich nicht …?

      Die redeten und redeten. Es machte so eiskalt, dies Gerede, die Welt wurde völlig trostlos, kein Mensch, der noch fröhlich lachte. Wenn sie jetzt lachten, verzogen sie das Gesicht zu einem bitteren Grinsen. Sie zwingt sich, sie will an etwas anderes denken, sie denkt an ihr Kind. Gustäving bat: »Mutti, erzähl noch mal. Das Märchen vom Bäckerladen!«

      Und sie erzählt ihm das Märchen vom Bäckerladen, aber es ist gar kein Märchen. Sie erzählt bloß, wie sie vor drei Jahren, ja, wie sie noch vor zwei Jahren in einen Laden ging und zeigte: Da, acht Schrippen. Vier Schnecken mit Zuckerguß, zwei Brote …

      »Aber zwei Brote hat er dir doch nicht gegeben?! Wie? Mutti!«

      Doch, er hatte zwei Brote gegeben. Er hatte sogar Dankeschön gesagt, er hatte sich bei ihr bedankt, weil sie so viel gekauft hatte. Unbegreiflicher Widersinn! Das Kind sitzt dabei, seine Augen leuchten. Die Mutter muß zeigen, wie sie das Brot nach Haus gebracht hat. Sie muß vormachen, wie sie davon abgeschnitten hat, so viel für den Papa, so viel für die Mutti, so viel für Gustäving …

      »Zeig noch mal! Oh, Mutti, das könnte ich nie aufessen!« Und dann, eifrig nickend: »Doch! Doch! Versuch es mal – ich schaffe es! Wollen wir es nicht mal probieren? Nur ein einziges Mal, bitte, bitte, Mutti!«

      Und nun, als Ende, das nie aufhörende Betteln, um ein Stückchen Brot, ein Scheibchen, eine halbe Scheibe, ach, eine Rinde nur …

      Eiseskälte aus dem, was sie reden, wie aus dem, was man denkt. Man kann es anfangen, wie man will …

      Aber jetzt braucht man nicht mehr zu denken. Die Frau vor Gertrud Gudde sagt aufgeregt: »Er zieht schon die Rolläden hoch! Wenn mir bloß nicht wieder einer in die Holzpantinen tritt! Das letztemal habe ich fünfzehn Plätze dadurch verloren. Passen Sie ein bißchen auf, junge Frau, ja?«

      Und dann kommt der Ansturm – natürlich ist kein Schutzmann da. Die gehen gerne in großem Bogen um solche Ansammlungen herum, schon damit sie nicht hören müssen, was die Frauen alles reden! Die Woge der Stürmenden faßt Gertrud

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