Die wichtigsten Werke von Novalis. Novalis
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87. Stimmungen, unbestimmte Empfindungen, nicht bestimmte Empfindungen und Gefühle machen glücklich. Man wird sich wohl befinden, wenn man keinen besondern Trieb, keine bestimmte Gedanken- und Empfindungsreihe in sich bemerkt. Dieser Zustand ist wie das Licht ebenfalls nur heller oder dunkler. Spezifische Gedanken und Empfindungen sind seine Konsonanten. Man nennt es Bewußtsein. Vom vollkommensten Bewußtsein läßt sich (sagen), daß es sich alles und nichts bewußt ist. Es ist Gesang, bloße Modulation der Stimmungen – wie dieser der Vokale oder Töne. Die innere Selbstsprache kann dunkel, schwer und barbarisch – und griechisch und italienisch sein – desto vollkommner, je mehr sie sich dem Gesange nähert. Der Ausdruck: er versteht sich selbst nicht, erscheint hier in einem neuen Lichte. Bildung der Sprache des Bewußtseins, Vervollkommnung des Ausdrucks, Fertigkeit sich mit sich selbst zu besprechen. Unser Denken ist also eine Zweisprache, unser Empfinden Sympathie.
88. Der größeste Zauberer würde der sein, der sich zugleich so bezaubern könnte, daß ihm seine Zaubereien wie fremde, selbstmächtige Erscheinungen vorkämen. Könnte das nicht mit uns der Fall sein?
89. Jahrszeiten, Tagszeiten, Leben und Schicksale sind alle, merkwürdig genug, durchaus ryhthmisch, metrisch, taktmäßig. In allen Handwerken und Künsten, allen Maschinen, den organischen Körpern, unsren täglichen Verrichtungen, überall: Rhythmus, Metrum, Taktschlag, Melodie. Alles was wir mit einer gewissen Fertigkeit tun, machen wir unvermerkt rhythmisch. Rhythmus findet sich überall, schleicht sich überall ein. Aller Mechanism ist metrisch, rhythmisch. Hier muß noch mehr drin liegen. – Sollt es bloß Einfluß der Trägheit sein?
90. Über die eigentliche Schwächung durch Debauchen. Durch viele indirekte Asthenie entsteht endlich direkt asthenische Disposition. Dies begünstigt Browns Meinung von der quantitativen Erregbarkeit.
91. Schlaf, Nahrung, Anzug und Reinigung, mündliche, schriftliche und handgreifliche Geschäfte (für mich, für den Staat, für meine Privatzirkel, für Menschen, für Welt.) Gesellschaft, Bewegung, Amüsement, Kunsttätigkeit.
92. Mechanischer Gottesdienst. Die katholische Religion ist weit sichtbarer, verwebter und familiärer, als die protestantische. Außer den Kirchtürmen und der geistlichen Kleidung, die doch schon sehr temporisiert, sieht man nichts davon.
93. Alle Zerstreuung schwächt. Durch fremde Gegenstände, die mich reizen, ohne mich zu befriedigen – oberflächlich – werde ich zerstreut. Mir ist deshalb die Zerstreuung zuwider, weil sie mich entkräftet. Nützlich ist sie bei sthenischen Zufällen. Gegen Ernst und Leidenschaft ist sie mit Nutzen zu gebrauchen. (Die Menschen werden künftig in medizinischer Hinsicht mehr zusammenhalten müssen.)
94. Medizin und Kur um ihrer selbst willen. Schöne Medizin und schöne Kur. Beide sollen nichts bewirken. Man braucht, um zu brauchen. Man nimmt die Medizin um ihrentwillen.
95. Vorrede und Kritik der Fragmente in Fragmenten.
96. Gemüt – Harmonie aller Geisteskräfte – Gleiche Stimmung und harmonisches Spiel der ganzen Seele. Ironie == Art und Weise des Gemüts.
97. Frauen – Kinder – Esprit des Bagatelles. Art der Konversation mit ihnen. Die Muster der gewöhnlichen Weiblichkeit empfinden die Grenzen der jedesmaligen Existenz sehr genau und hüten sich gewissenhaft dieselben zu überschreiten; daher ihre gerühmte Gewöhnlichkeit – praktische Weltleute.
Sie mögen selbst übertriebne Feinheiten, Delikatessen, Wahrheiten, Tugenden, Neigungen nicht leiden. Sie lieben Abwechselung des Gemeinen, Neuheit des Gewöhnlichen; keine neuen Ideen, aber neue Kleider, Einförmigkeit im Ganzen, oberflächliche Reize. Sie lieben den Tanz, vorzüglich wegen seiner Leichtigkeit, Eitelkeit und Sinnlichkeit. Zu guter Witz ist ihnen fatal – so wie alles Schöne, Große und Edle. Mittelmäßige und selbst schlechte Lektüre, Akteurs, Stücke etc., das ist ihre Sache.
98. Über den Hanswurst und komische Rollen überhaupt.
99. Ordinäre Menschen ohne es zu wissen und zu wollen. Ordinäre Menschen aus Absicht und mit Wahl. Glücklicher Instinkt der Gemeinheit. Geborne ordinäre Menschen. – (Synthese des ordinären und extraordinären Menschen.)
100. Geborne Menschenbeherrscher.
101. Absolute Hypochondrie. Hypochondrie muß eine Kunst werden, oder Erziehung werden.
102. Unterschied zwischen Sitten und Gebräuchen (Langeweile und Mangel an Reizen des Seelebens drückt sich in den Reisebeschreibungen aus.) (Industrie, bestes Surrogat der Religion und Gegenmittel gegen alle Leidenschaften. Industrie der Not, Krankheit und Trägheit, Industrie des Überflusses, der Kraft und Gesundheit, oder Kunstindustrie.) Mancher wird erst dann witzig, wenn er sich dick gegessen hat, wenn er müde ist oder recht faul oder gedankenlos behaglich, wenn der üppige Wuchs und Andrang seiner Ideen gehemmt ist und er überhaupt körperlich gesättigt ist, wenn er so in Not ist, daß er über die Not ist, wenn er nichts mehr zu verlieren hat etc.
103. Bloße Gedanken, ohne eine gewisse Aufmerksamkeit auf dieselben, und Zueignung, wirken so wenig, wie bloße Gegenstände. Dadurch daß man häufig an reizende Gegenstände eines Sinnes wirksam denkt, wird dieser Sinn geschärft, er wird reizbarer. So wenn man häufig an lüsterne Dinge denkt, werden die Gst. (Geschlechtsteile?) empfänglicher, der Magen durch Gedanken an schmackhafte Speisen, der Kopf auf dieselbe Art, und so durchaus. – Methode eine schwächliche Konstitution zu verbessern. (Übung, allmähliche).
104. Die sogenannten falschen Tendenzen sind die besten Mittel vielseitige Bildung zu bekommen.
105. Liebe ohne Eifersucht ist nicht persönliche Liebe, sondern indirekte Liebe – man kann Vernunftliebe sagen; denn man liebt hier nicht, als Person, sondern als Glied der Menschheit. Man liebt die Rivale mehr, wie den Gegenstand.
Ergänzungen
Mit Recht können manche Weiber sagen, daß sie ihren Gatten in die Arme sinken. – Wohl denen, die ihren Geliebten in die Arme steigen.
In der moralischen Welt wird das Pudern mit Erdenstaub für ein notwendiges Stück des anständigen, sittlichen Anzugs gehalten. Nur der gemeine Mann und die Jugend dürfen die natürliche schöne, lichte und dunkle Farbe ihrer Haare zeigen. Wenn man auch den Kopf allenfalls damit puderte, so sollte man doch wenigstens von der Brust diesen Schmutz mit einer weißen Hülle abhalten.
Der vornehmere Stand kann durchgehends als das veredelte Bild des gemeinen Standes angesehen werden. Die genaue, wörtliche Vergleichung des Originals und der Bearbeitung ist sehr interessant und bietet Stoff zu artigen Bemerkungen. Neulich z.B. wie ich die Lucinde des Herrn Schlegels las, entdeckte ich einen unterhaltenden Zug: der Bauer bearbeitet den Mist mit der Mistgabel – der Gelehrte mit der Feder; die zwei Zinken der Gabel zeigen sich noch im gespaltenen Schnabel der Feder zierlich versteckt, und leiten den Etymologen der Feder.
Es gibt drei Hauptmenschenmassen: Wilde, zivilisierte Barbaren, Europäer. Der Europäer ist so hoch über den Deutschen, als dieser über den Sachsen, der Sachse über den Leipziger. Über