Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian Morgenstern
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Und, Tränen in den Augen, trat
er zu auf eine junge Magd
und faßte lächelnd ihre Hand
und schritt und drehte sich mit ihr.
Ehrfürchtig wich der rohe Schwarm;
die Jünger standen starr und bleich; –
Er aber schritt und drehte sich
als wie ein Träumer, weltentrückt.
Da brach auf eines Jüngers Wink
des Spielers Weise jählings ab –
ein krampfhaft Zucken überschrak
des Meisters hagre Hochgestalt –:
Und tief verhüllten Hauptes ging
er durch das Tor dem Garten zu ...
Wie dumpf Gestöhn verlor es sich
in der Oliven grauer Nacht.
Die apokalyptischen Reiter
Beim stillen Weinglas saß ich spät und spannte
zerrißne Saiten neu der treuen Geige –:
Da war's, daß mir das harte Haupt des Dante
erschien in meines Römers dunkler Neige:
Als wollte es die Lieder-Stufen höhnen,
auf denen ich zu meinem Ruhme steige.
Und alsobald begann im Zorn zu tönen
mein Saitenspiel von hochvermeßnen Händen
und füllte mein Gemach mit eh'rnem Dröhnen.
Und zuckend von irrlichterischen Bränden
zerbarst vor mir die laute Nacht in Stücke,
und von Gespenstern schwoll's aus fahlen Wänden ...
Doch wie ich rasch des Worts tollkühne Brücke
nach solcher Schattenflucht zu schlagen strebe,
entweicht es schon und lockt mit neuer Tücke ...
Bis endlich in die rinnenden Gewebe
einschlägt des Willens grollende Gewalt
und eins ergreift inmitten seiner Schwebe –:
Mit finstren Stämmen drängt empor ein Wald,
drin Wiesengrund im Dreieck ausgeweitet,
von Klumpen Mondgewölkes überballt.
Doch mehr mein Aug dem Dämmer noch entstreitet:
Vier sattelleere Rosse schau ich grasen
und dunkle Körper unweit hingebreitet.
Sind's Räuber, die die Flucht hierher geblasen?
Ein Mondstrahl gleißt: Dies Haupt verrät ein Weib,
zwei grüne Augen schillern im Verglasen.
Und um dies Haupt welch fürchterlicher Leib!
Nur widerwillig gibt die fahle Nacht
sein Bild, daß keinem es zu treu verbleib'.
Und jäh erkenn' ich, wer hier Rast gemacht –:
Der Tod, der Krieg, der Hunger und die Pest, –
tiefmüde Nachtrast! Nur der Hunger wacht ...
Die Greisin kauert Kinn an Knie gepreßt ...
Der Krieg, die Stirn am Schwertknauf, atmet schwer,
blutüberronnen noch vom letzten Fest ...
In freudelosen Halbschlaf sank selbst Er ...
Parabel
Kennst du die Figur der Polonaise,
wenn die Paare, hochgefaßter Hände,
Lauben, wie die Tänzer sagen, bilden?
Und das immer letzte Paar, sich bückend,
durch die Bogen an die Spitze schreitet,
dort als Tor sich wieder aufzustellen?
Nun, so wirst du mich begreifen, wenn ich,
dies betrachtend, an die Menschheit denke,
Wie sie sich vom Greis zum Kind erneuert:
Gleich als ob das Paar des höchsten Alters
plötzlich in der andern Rücken schwände,
vorn das Spiel von neuem aufzunehmen ...
Das Ende
Jahrhunderttausende durchmißt mein Geist ...
Verwandelt ist der Erde Angesicht,
der Menschheit letzte Horde tief vergreist.
Kaum bricht durch Wolken mehr das liebe Licht.
»Wie alt sind wohl die Menschen?« fragt ein Kind
den Vater. Und ich höre, wie der spricht:
»So alt, mein Liebling, als die Sterne sind!«
»Was sind das, Sterne, Vater?« »Späh einmal,
wenn nachts im Nebel wühlt der wilde Wind.
Vielleicht erspähst du einen stillen Strahl:
Der kommt von Welten, die unendlich fern;
uralte Sagen