Gesammelte Gedichte (851 Titel in einem Buch). Christian Morgenstern
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und spricht: »Die ändern ruhn in meinem Bauch,
wie sollt ich Dich als frei und ungestraft
verschonen?! Sei getrost, ich freß' dich auch.«
O – raison d'esclave
»Krücken, Krücken! gebt uns Krücken!
Ach, wie geht die Menschheit lahm,
seit man, neu sie zu beglücken,
ihr die alten Stützen nahm.
Brillen, Brillen! gebt uns Brillen!
grün und blau und gelb und rot!
Volles Licht ist für Pupillen
unsrer Art der sichre Tod.
Lügen, Lügen! gebt uns Lügen!
Ach, die Wahrheit ist so roh!
Wahrheit macht uns kein Vergnügen,
Lügen machen fett und froh!
Gängelbänder, Schaukelpferde,
Himmel, Hölle und Moral –
und dich selbst gib deiner Herde
neu zurück, oh großer Baal!«
Gebt mir ein Ross ...
Gebt mir ein Roß, und laßt mich reiten
aus diesem Meer von Staub und Stein,
in Wäldernacht, in Steppenweiten
laßt einsam mich und selig sein!
Hurrah! hussah! Der Rappe fliegt ...
Die schwarzen Mauern fliehn zurück ...
Vor mir in stiller Ferne liegt
der Freiheit unaussprechlich Glück ...
Vorüber tausend glatten Städten,
bis mich ein freies Land empfängt,
wo nicht Kultur mit Sklavenketten
die kühne Mannesfaust behängt!
Hurrah! hussah! Zigeunerkind!
Herauf zu mir! mein Arm hält fest!
Hin, wo die Berge pfadlos sind!
Ein Horst sei unser Hochzeitsnest! ...
Und spürt uns die verruchte Sippe
im hohen Felsenbrautbett auf – –
todwilde Jagd zur nächsten Klippe!
Die letzte Kugel aus dem Lauf!
Hurrah! hussah! Die Tiefe droht ...
Umschling mich, Weib! Hörst du sie schrein? ...
Viel lieber hier im Abgrund tot
als dort im Staub lebendig sein! ...
Frühling
Wie ein Geliebter seines Mädchens Kopf,
den süßen Kopf mit seiner Welt von Glück,
in seine beiden armen Hände nimmt,
so faß ich deinen Frühlingskopf, Natur,
dein überschwänglich holdes Maienhaupt,
in meine armen, schlichten Menschenhände,
und, tief erregt, versink ich stumm in dich,
indes du lächelnd mir ins Auge schaust,
und stammle leis dir das Bekenntnis zu:
Vor so viel Schönheit schweigt mein tiefstes Lied.
Das Königskind
Ich ging an träumenden Teichen
vorüber in mondiger Nacht;
in den flüsternden Kronen der Eichen
spielten die Winde so sacht ...
Da umspann mich der Zauber der Stunde,
daß ich hemmte den einsamen Gang –
nur die Nixen sangen im Grunde,
tief im Grunde,
ihren leisen, dunklen Gesang.
Ihr Antlitz tauchten die Sterne
ins schauernde Wellenmeer,
aus duftverschleierter Ferne
grüßten die Berge her.
Kein Laut in schweigender Runde –
keines Vögleins verspäteter Klang –
nur die Nixen sangen im Grunde,
tief im Grunde,
ihren leisen, dunklen Gesang.
Da war mir, es käme gezogen
ein Nachen im leichten Wind
und trüge über die Wogen
ein strahlendes Königskind ...
Und ich rief mit bittendem Munde –
doch keine Antwort klang –
nur die Nixen sangen im Grunde,
tief