Lichtenstein. Wilhelm Hauff
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Berta hat an diesem Abend den unglücklichen jungen Mann keines Blickes mehr gewürdigt, was ihm übrigens über dem größeren Schmerz, der seine Seele beschäftigte, völlig entging. Sein Unglück wollte es auch, daß er nie mehr Gelegenheit fand, Marien wieder allein und ungestört zu sprechen, der Abendtanz ging zu Ende, ohne daß er über Mariens Schicksal und über die Gesinnungen ihres Vaters gewisser wurde, und Marie fand kaum noch auf der Treppe Gelegenheit, ihm zuzuflüstern, er möchte morgen in der Stadt bleiben, weil sie vielleicht irgendeine Gelegenheit finden würde, ihn zu sprechen.
Verstimmt kamen die beiden Schönen nach Hause. Berta hatte auf alle Fragen Mariens kurze Antwort gegeben, und auch diese, sei es, daß sie ahnte, was in ihrer Freundin vorgehe, sei es, weil sie selbst ein großer Schmerz beschäftigte, war nach und nach immer düsterer, einsilbiger geworden.
Aber auf beiden lastete die Störung ihres bisherigen freundschaftlichen Verhältnisses erst recht schwer, als sie ernst und schweigend in ihr Gemach traten. Sie hatten sich bisher alle jene kleinen Dienste geleistet, welche junge Mädchen nur zu noch engerer Freundschaft verbinden. Wie ganz anders war es heute! Berta hatte die silberne Nadel aus dem reichen blonden Haar gezogen, daß es in langen Ringellocken über den schönen Nacken herabströmte. Sie versuchte, es unter das Nachthäubchen zu stecken; ungewohnt, diese Arbeit ohne Mariens Hilfe zu verrichten, kam sie nicht damit zu Rande, aber zu stolz, ihrer Feindin, wie sie Marien in ihrem Sinn nannte, ihre Verlegenheit merken zu lassen, warf sie das Häubchen in die Ecke und ergriff ein Tuch, um es um das Haar zu winden.
Schweigend nahm Marie das verworfene Häubchen wieder auf und trat hinzu, das Haar ihrer Base nach gewohnter Weise zu ordnen und aufzubinden.
"Hinweg, Du Falsche!" rief die erzürnte Berta, indem sie die hilfreiche Hand zurückstieß.
"Berta; hab' ich dies um Dich verdient?" sprach Marie mit Ruhe und Sanftmut. "Oh wenn Du wüßtest, wie unglücklich ich bin, Du würdest sanfter gegen mich sein!"
"Unglücklich?" lachte jene laut auf, "unglücklich! Vielleicht, weil der artige Herr nur einmal mit Dir tanzte?"
"Du bist recht hart, Berta", antwortete Marie, "Du bist böse auf mich und sagst mir nicht einmal warum?"
"So? Du willst also nicht wissen, daß Du mich betrogen hast? Nicht wissen, wie mich Deine Heimlichkeiten dem Spott und der Beschämung aussetzten? Ich hätte nie geglaubt, daß Du so schlecht, so falsch, an mir handeln würdest!"
Von neuem erwachte in Berta das kränkende Gefühl, sich hintangesetzt zu sehen Ihre Tränen strömten, sie legte die heiße Stirn in die Hand, und die reichen Locken flossen über ihr zusammen und verhüllten die Weinende.
Tränen sind die Zeichen milderen Schmerzes. Marie kannte diese Tränen und fuhr mit mehr Vertrauen fort: "Berta! Du schiltst meine Heimlichkeit. Ich sehe, Du hast erraten, was ich nie von selbst sagen konnte. Setze Dich selbst in meine Lage. Ach, Du selbst, so heiter und offen Du bist, Du selbst hättest mir Dein Geheimnis nicht vertrauen können. Aber jetzt ist es ja aus. Du weißt, was meine Lippen auszusprechen sich scheuten. Ich liebe ihn, ja ich werde geliebt, und nicht erst von gestern her. Willst Du mich hören? Darf ich Dir alles sagen?"
Bertas Tränen flossen noch immer. Sie antwortete nicht auf jene Fragen, aber Marie hob an zu erzählen, wie sie Georg im Haus der seligen Muhme kennengelernt habe. Wie sie ihm gut gewesen, lange ehe er ihr seine Liebe gestanden Alle jene schöne Erinnerungen lebten in ihr auf, mit glühenden Wangen, mit strahlendem Auge führte sie die Vergangenheit herauf. Sie erzählte von so mancher schönen Stunde, vom Schwur ihrer Treue, von ihrem Abschied "Und jetzt", fuhr sie mit wehmütigem Lächeln fort, "jetzt hat ihn dieser unglückliche Krieg auf diese Seite geführt. Er hört, wir seien hier in Ulm, er glaubt nicht anders, als mein Vater sei dem Bund beigetreten, er hofft, mich durch sein Schwert zu verdienen, denn er ist arm, recht arm! Oh Berta, Du kennst meinen Vater. Er ist so gut, aber auch so streng, wenn etwas seiner Meinung widerspricht. Wird er einem Mann seine Tochter geben, der sein Schwert gegen Württemberg gezogen hat? Siehe, das waren meine Tränen! Ach, ich wollte Dir so oft sagen, warum sie fließen, aber eine unbesiegbare Scham schloß meine Lippen. Kannst Du mir noch zürnen? Muß ich mit dein Geliebten auch die Freundin verlieren?"
Auch Mariens Tränen flossen und Berta fühlte den eigenen Schmerz von dem größeren Kummer der Freundin besiegt. Sie umarmte Marien schweigend und weinte mit ihr.
"In den nächsten Tagen", fuhr diese fort, "will mein Vater Ulm verlassen, und ich muß ihm folgen. Aber noch einmal muß ich Georg sprechen, nur ein Viertelstündchen. Berta, Du kannst gewiß Gelegenheit geben. Nur ein ganz kleines Viertelstündchen!"
"Du willst ihn doch nicht der guten Sache abwendig machen?" fragte
Berta.
"Was nennst Du die gute Sache?" antwortete Marie. "Des Herzogs Sache ist vielleicht nicht minder gut als die Eure. Du sprichst so, weil Ihr bündisch seid. Ich bin eine Württembergerin, und mein Vater ist seinem Herzog treu. Doch sollen wir Mädchen über den Krieg entscheiden? Laß uns lieber auf Mittel sinnen, ihn noch einmal zu sehen."
Berta hatte über der Teilnahme, mit welcher sie der Geschichte ihrer Base zugehört hatte, ganz vergessen, daß sie ihr jemals gram gewesen war. Sie war überdies für alles Geheimnisvolle eingenommen, daher kamen ihr diese Mitteilungen erwünscht. Sie fühlte, wie wichtig und ehrenvoll der Posten einer Vertrauten sei, und gab sich daher alle mögliche Mühe, dem liebenden Paar mit ihrem Scharfsinn zu dienen.
"Ich hab's gefunden", rief sie endlich aus, "wir laden ihn geradezu in den Garten."
"In den Garten?" fragte Marie schüchtern und ungläubig, "und durch wen?"
"Sein Wirt, der gute Vetter Dietrich, muß ihn selbst bringen", antwortete sie, "das ist herrlich, und dieser darf auch kein Wörtchen davon merken, lass' nur mich dafür sorgen."
Marie, entschlossen und stark bei großen Dingen, zitterte doch bei diesem gewagten Schritt. Aber ihre mutige, fröhliche Base wußte ihr alle Bedenklichkeiten auszureden, und mit erneuerter Hoffnung, und befreit von der Last des Geheimnisses, umarmten sich die Mädchen, ehe sie sich zur Ruhe legten.
Kapitel 7
Sinnend und traurig saß Georg am Mittag nach dem festlichen Abend in seinem Gemach. Er hatte Breitenstein besucht und wenig Tröstliches für seine Hoffnungen erfahren. Der Kriegsrat hatte sich an diesem Morgen versammelt, und unwiderruflich war der Krieg beschlossen worden. Zwölf Edelknaben waren, die Absagebriefe des Herzogs von Bayern, der Ritterschaft und gesamten Städte an ihre Lanzen geheftet, zum Gögglinger Tor hinausgejagt, um die Feindesbotschaft dem Württemberger nach Blaubeuren zu bringen. Auf den Straßen rief man einander fröhlich diese Nachricht zu, und die Freude, daß es jetzt endlich ins Feld gehen werde, stand deutlich auf allen Gesichtern geschrieben. Nur einen traf diese Kunde wie das schreckliche Machtwort seines Schicksals. Der Gram trieb ihn aus dem Kreis der fröhlichen Gesellen, die jetzt den Weinstuben zuzogen, um in lautem Jubel das Geburtsfest des Krieges zu begehen und das Los künftiger Siege im Würfelspiel zu belauschen. Ach! Ihm waren ja schon die Würfel gefallen! Ein blutiges Schlachtfeld dehnte sich zwischen ihm und seiner Liebe aus, sie war ihm auf lange, vielleicht auf ewig verloren.
Eilige Tritte, welche die Treppe heraufstürmten, weckten ihn aus seinem