Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen. Charles Sealsfield

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Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen - Charles  Sealsfield

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nun so sichtlich ihm, dem weißen Bruder, ihren Jammer zu eröffnen sich gedrungen fühlte, hatten ihm durch die Seele gebohrt. Er starrte sie eine Weile mit bekümmerten Blicken an und sprang dann auf sie zu.

      »Unglückliches, verlassenes Mädchen, du arme Rosa in der Wildnis!«

      »Mein Bruder«, sprach sie mit tränenschweren Augen, »ist also der armen Rosa nicht böse?«

      »Böse, teures Mädchen! Wer könnte einem solchen Engel böse sein? Gebiete, befehle, mein Leben steht dir zu Diensten. Komm, fliehe mit mir.«

      »Fliehen«, sprach sie, das Köpfchen schüttelnd, »und Canondah verlassen, die ihr eine Mutter war? Es würde ihr das Herz brechen. Nein, Rosa darf nicht, kann nicht fliehen. Es hat ja der alte Miko für sie gejagt, sie ist sein Eigentum. Aber kann mein Bruder nicht bleiben? Muß er von hinnen?«

      »Ich muß, oder ich bin verloren«, sprach er mit dumpfer Stimme. Sie blickte mit tränendem Auge zum Himmel, – »Rosa«, flüsterte sie, »weiß es – ja, sie weiß es«, sprach sie zu sich selbst. »Und sie ist nun hierhergeeilt zu ihrem Bruder, es hätte ihr sonst das Herz zerrissen. Sie hat es nicht mehr aushalten können. Sie mußte zu ihm, damit er nicht glaube, daß sie es ist, die ihn gefangen hält. Sie hat«, flüsterte sie leise, »gebeten, sie hat geweint, sie hat sich auf die Knie vor Canondah geworfen; Canondah will nicht. O sie ist gut, sehr gut, sie ist der Trost Rosas; aber sie fürchtet sich vor dem Miko und den Ihrigen.« Das Mädchen schauerte sichtlich zusammen, als sie diese Worte sprach. »Der Miko«, fuhr sie geheimnisvoll fort, »hat geschworen, jeden Yankee zu töten, der ihm in seinem Wigwam nachspäht.«

      »Aber ich bin kein Yankee«, erwiderte der Jüngling mit einiger Heftigkeit.

      Sie schüttelte das Köpfchen. »Rosa würde dir gern glauben; aber sie kennt dich weniger als Canondah, und meine Schwester ist klug und hat nie eine Lüge gesagt. Rosa muß auch ihr glauben.«

      »Unseliger Irrtum!« rief er.

      »Nicht alle Yankees sind Späher,« versetzte sie, »und du sollst nicht für das Böse büßen, das deine Brüder dem Miko getan.«

      »Ich bin aber kein Yankee,« versetzte er unwillig, »so wahr ich lebe. Glaube mir doch, teure Schwester.« »Warum will mein Bruder denn nicht den Miko erwarten?«

      »Weil dieser mich gewiß dem Seeräuber aufopfern würde. Doch an meinem Leben liegt wenig; aber mein Eid gebietet, meine Ehre fordert, daß ich so bald als möglich von euch scheide.«

      Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Mein Bruder«, sprach sie, »muß sich selbst und sein Volk kennen. Wenn er die arme Rosa täuscht – so hat er ihrem Weh vielleicht früher ein Ende gemacht«, setzte sie leiser hinzu. »Lebe wohl!« Sie verlöschte die Fackel und verschwand zwischen der Öffnung. Das Mädchen war wie ein Traumbild gekommen und wieder verschwunden. Die ganze Nacht stand das edle Gesicht vor seiner Phantasie und noch den Morgen konnte er es nicht aus dem Sinne bringen. Was hatte ihr geheimnisvoller Besuch zu bedeuten?

      Es war ein schwacher Hoffnungsstrahl; aber was vermochte sie, die selbst Gefangene war und mit dem Mißtrauen der Indianer so gut wie er zu kämpfen hatte? Von diesem Mißtrauen hatte er während der letzten vier Tage nur zu deutliche Beweise erhalten. Die Squaws waren beinahe jedem seiner Schritte gefolgt, und sie und die jungen Wilden hatten es an Ausbrüchen ihres gehässigen, feindseligen Wesens nicht fehlen lassen. Von mehreren Seiten her war ihm das drohende Wort Yankee zugerufen worden. Die Kanus waren von ihrem Ankerplatze verschwunden, und auf seinen Irrfahrten im Walde hatte ihn die junge Brut nie aus den Augen gelassen, und ein gellendes höhnendes Gelächter erschallte jedesmal, sobald er unverrichteter Sache aus dem Dickicht herauskam, in das er kaum fünfzig Schritte einzudringen vermocht hatte. Die letzten Worte der Indianerin waren ihm nun deutlich geworden. Er hatte wirklich während der letzten vier Tage Versuche gemacht, aus dem Walde zu entkommen. Nun war ihm die Gewißheit, daß er Gefangener sei.

      Eine andere schlaflose Nacht war hereingebrochen. Er lag auf seinem Lager mit Unruhe und schweren Träumen kämpfend, als abermals Rosa in sein Stübchen trat, eine Kienfackel, in deren Spalte eine Kohle steckte, in der Hand. Sie blies sie rasch zur lodernden Flamme an und trat schnell zu ihm.

      »Erwache, erwache, mein Bruder!« rief sie freudig und froh, und eine fieberische Röte leuchtete auf ihren Wangen. »Erwache, Canondah wird sogleich hier sein.«

      »Was ist's, teures Mädchen?« rief er, von seinem Lager aufspringend.

      »Canondah wird es dir sagen«, rief sie, und die Tränen drangen ihr in die Augen.

      Ihre Stimme, ihr ganzes Wesen zeugte von einer Aufregung, einer Leidenschaftlichkeit, die etwas Wahnsinnartiges hatte.

      »Um Gottes willen, Rosa, was ist's, das dich so außer Fassung gebracht hat?«

      »Canondah,« sprach das Mädchen, »o, mein Bruder darf nun nicht mehr fürchten, er wird –«

      »Höre, mein Bruder!« sprach die Indianerin, die rasch zur Türe hereingetreten war, ihre starren, leblosen Augen auf ihn richtend. »Höre,« sprach sie mit zagend stockender Stimme und einer Feierlichkeit, die ihr etwas Schreckhaftes gab, »Canondah will tun für ihren Bruder, was das Auge ihres Vaters und ihres Volkes trüben wird; denn sie liebt die weiße Rose sehr, und sie kann ihre Tränen nicht länger mehr anschauen. Sie will ihrem Bruder den Pfad zeigen, der über den Sumpf führt und will ihn über den Fluß rudern. Will mein Bruder bei dem großen Geiste, den sein und ihr Volk anruft, versprechen, daß er nie seinem Volke, unsern weißen Feinden, den Yankees, verraten will, wo er gewesen und was seine Augen gesehen? Will er versprechen, daß er ihnen nicht den Pfad zeigen will, der zu den Wigwams der roten Männer führt?«

      »Gewiß!« rief der Brite, »ich verspreche es auf das heiligste.«

      »Dann nimm diese Kleider«, sprach sie, ihm einen indianischen Anzug reichend. »Diese«, auf die seinigen deutend, »würden bald von Dornen zerrissen sein. Der Fußtritt, den die Mokassins einprägen, ist sehr sanft, und in wenig Sonnen, wenn unser Volk zurückkehrt, werden sie es nicht mehr sehen. Hier ist rote Farbe,« fuhr sie fort, »unsere Männer werden dir nachsetzen, und vielleicht mag es sie auf eine falsche Spur leiten. Sei schnell.« Der junge Mann stand noch immer seiner selbst unbewußt.

      »Ums Himmels willen sei schnell«, flüsterte ihm Rosa in der Türe zu. »Die Wasservögel fangen an zu schreien, es ist hohe Zeit.«

      Beide Mädchen traten vor die Türe. Er schlüpfte mechanisch in das Hirschfellwams, warf das Jagdhemde über sich und war eben mit dem Gürtelhemde beschäftigt, als die Indianerin eintrat. Sie half ihm, band die Mokassins an seine Füße und schlang den Wampumgürtel um seinen Leib.

      »Hier ist eine Wolldecke«, sprach sie, eine solche über ihn werfend. »Hier eine Jagdtasche mit Pulver und Blei, hier eine andere mit Kuchen und Wildbret, und dieses Gewehr wird Wasservögel töten und mit diesen«, ihm Stein, Stahl und Schwamm reichend, »wird mein Bruder Feuer machen, um die Vögel zu rösten.« Sie hing jedes Stück um ihn mit einer Sorgfalt, die sonderbar mit ihrem beinahe leblosen Erstarren abstach.

      »Mein Bruder,« sprach Rosa, deren Wesen sich nun plötzlich in Würde und feierlichen Ernst verwandelt hatte, »lebe wohl, und wenn du einst eine glücklichere Schwester siehst, dann sage ihr von Rosen, und sie wird eine Träne ihrer Schwester weinen.«

      Der Jüngling stand noch immer seiner selbst unbewußt. Plötzlich rannte er zur Türe und umschlang das schöne Mädchen. Sie wand sich aus seinen Armen und sank hilflos ohnmächtig auf die Erde nieder. Die Indianerin sprang hinzu, hob sie vom Boden und, sie zum Lager tragend, drückte

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