Gesammelte Werke. Джек Лондон
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Kama und Daylight sprachen nicht miteinander. Ihre Arbeit ließ es nicht zu, und es lag ihnen auch nicht, während der Arbeit zu sprechen. Nur ganz selten, wenn es unumgänglich war, wechselten sie ein kurzes Wort miteinander, und Kama beschränkte sich auch dann meistens auf einen kurzen Grunzlaut. Hin und wieder winselte oder knurrte ein Hund, aber im allgemeinen verhielt das Gespann sich still. Der einzige Laut, den man hörte, war das scharfe Pfeifen der stählernen Kufen über die harte Fläche und das Knirschen des gleitenden Schlittens.
Wie durch eine Mauer war Daylight jetzt von dem Summen und Lärmen des Tivoli getrennt – eine andere Welt hatte ihn aufgenommen, eine Welt von Schweigen und Unbeweglichkeit. Nichts regte sich. Der Yukon schlummerte unter einer drei Fuß starken Eisdecke. Nicht ein Windhauch war zu spüren. Selbst der Saft in den Fichtenstämmen an beiden Ufern schien erstarrt zu sein. Die Bäume standen wie versteinert mit der leichten Schneelast auf ihren Zweigen. die der leiseste Hauch herabgeweht hätte, aber es geschah nicht. Daylights Schlitten war der einzige lebendige, bewegliche Punkt inmitten der großen feierlichen Stille, und das rauhe Scheuern der Kufen verstärkte nur das Schweigen ringsum.
Es war eine tote Welt, ja, eine graue Welt. Das Wetter war kalt und klar; die Luft war trocken, ohne Dunst und Nebel; aber der Himmel war ein graues Bahrtuch. Zwar verdunkelten keine Wolken den Tag, aber auch keine Sonne gab Helligkeit. Weit im Süden erklomm sie stetig ihre Mittagshöhe, aber zwischen ihr und dem gefrorenen Yukon lag die Wölbung der Erde. Der Yukon war in nächtliche Schatten getaucht, und der Tag selbst nur eine lange Dämmerung. Als um dreiviertel zwölf eine plötzliche Wendung des Flusses einen Ausblick nach Süden eröffnete, zeigte sich der oberste Rand der Sonne gerade über dem Horizont. Eine blasse, verwischte Scheibe. Ihre Strahlen wärmten nicht, und man konnte gerade in sie hineinsehen, ohne daß einem die Augen schmerzten. Und kaum hatte sie ihre Mittagshöhe erreicht, als sie auch schon wieder hinter den Horizont kroch, und ein Viertel nach zwölf warf die Erde wieder ihren Schatten über das Land.
Männer und Hunde eilten weiter. Daylight und Kama nahmen wie die Wilden Nahrung zu sich. Sie aßen zu unregelmäßigen Zeiten, konnten sich bei Gelegenheit bis zum Übermaß vollstopfen und dann wieder weite Strecken zurücklegen, ohne überhaupt etwas zu essen. Die Hunde fraßen nur einmal täglich, und dann bekamen sie selten mehr als ein Pfund gedörrten Fisch jeder. Sie waren ausgehungert, dabei aber in glänzender Verfassung. Wie bei ihren Vorfahren, den Wölfen, war ihr Stoffwechsel streng ökonomisch und vollkommen. Nichts wurde vergeudet. Die kleinste Krume, die sie verzehrten, wurde in Energie umgesetzt. Und Kama und Daylight glichen ihnen. Sie waren ausdauernd wie die Generationen, von denen sie abstammten. Die geringste Nahrungsmenge versorgte sie mit produktiver Energie. Nichts ging verloren. Ein zivilisierter, verzärtelter Stubenmensch wäre mager und mutlos geworden bei der Lebensweise, die Kama und Daylight auf der Höhe körperlichen Wohlbefindens hielt. Sie kannten, was jener nicht kennt: beständiges, normales Hungergefühl, so daß sie jederzeit essen konnten. Ihr Appetit verließ sie nie und ließ sie gierig in alles einhauen, was sie kriegen konnten, ohne Verdauungsstörungen zu bekommen.
Gegen drei Uhr nachmittags ging die lange Dämmerung in die Nacht über. Die Sterne kamen zum Vorschein und funkelten nahe und klar, und bei ihrem Licht setzten Hunde und Männer die Reise fort. Sie waren unermüdlich. Und dabei war dies keine eintägige Rekordleistung, sondern der erste von sechzig gleichen Tagen. Obwohl Daylight eine Nacht durchtanzt und durchtrunken hatte, war ihm nichts anzumerken. Seine ungewöhnliche Lebenskraft und die selten ausbrechende Ausgelassenheit ließen ihn solche Nächte leicht überwinden.
Daylight reiste ohne Uhr, er fühlte die Zeit. Als es seiner Berechnung nach sechs Uhr sein mußte, begann er sich nach einem Lagerplatz umzusehen. Bei einer Biegung kreuzten die Reisenden den Fluß. Da sie nicht gleich eine passende Stelle fanden, fuhren sie eine Meile am anderen Ufer entlang, wurden aber unterwegs vom Eise aufgehalten und brauchten eine Stunde schwerer Arbeit, um durchzukommen. Schließlich fand Daylight, was er suchte, einen abgestorbenen Baum am Ufer. Der Schlitten wurde hinaufgefahren. Kama grunzte zufrieden, und sie begannen ihr Lager aufzuschlagen.
Die Arbeitsteilung war ausgezeichnet. Jeder wußte, was er zu tun hatte. Mit der einen Axt zerhieb Daylight die tote Fichte. Mit der anderen Axt und einem Schneeschuh legte Kama die Eisdecke des Yukon frei und schlug Eis zum Kochen los. Das Feuer wurde mit einem Stück trockener Rinde angezündet, und Daylight machte sich ans Kochen, während der Indianer den Schlitten ablud und jedem Hund seine Portion an gedörrtem Fisch austeilte. Die Proviantsäcke warf er so hoch in die Bäume, daß die Hunde sie nicht erreichen konnten. Dann fällte er eine junge Tanne und hieb die Zweige ab. Dicht am Feuer trat er den Schnee fest und bedeckte ihn mit Zweigen. Auf diese legte er sein eigenes und Daylights Gepäck, das aus trockenen Strümpfen, Unterzeug und Schlafsäcken bestand. Kama hatte zwei Schlafsäcke aus Kaninchenfell, Daylight nur einen.
Sie arbeiteten ruhig, ohne die Zeit mit Sprechen zu vergeuden. Jeder tat das seine, ohne dem andern etwas von seiner eigenen Arbeit aufzubürden. Kama sah, daß sie mehr Eis brauchten, und holte es, während Daylight einen Schneeschuh, den die Hunde umgeworfen hatten, wieder aufrichtete. Während der Kaffee kochte und der Speck briet, und Kama den Teig zu den Pfannkuchen knetete, fand Daylight Zeit, einen großen Topf mit Bohnen aufzusetzen. Dann kam Kama zurück, setzte sich an den Rand der Tannenzweige und benutzte die Wartezeit, um die Hundeleinen nachzusehen.
»Ich glaub', Skookum und Booga werden sich beißen«, bemerkte Kama, als sie sich zum Essen niederließen.
»Pass' gut auf sie auf«, war Daylights Antwort.
Und das war die einzige Unterhaltung während der ganzen Mahlzeit. Einmal sprang Kama mit einem leisen Fluch auf und schlug mit einem brennenden Holzscheit auf ein paar Hunde ein, die aneinandergeraten waren. Daylight tat während des Essens Eisstücke in den Blechtopf, wo sie zerschmolzen. Als die Mahlzeit beendet war, fachte Kama das Feuer an, hieb noch etwas Holz für den nächsten Morgen ab und kehrte dann zu den Tannenzweigen und seiner Beschäftigung mit den Hundeleinen zurück. Daylight schnitt große Speckstücke ab und warf sie in den Topf mit den kochenden Bohnen. Ihre Mokassins waren trotz der starken Kälte feucht geworden; sobald sie ihre Arbeit beendet hatten, nahmen sie die Mokassins ab, hingen sie zum Trocknen an kurzen Stöcken vor das Feuer und wendeten sie von Zeit zu Zeit. Als die Bohnen gar gekocht waren, schüttete Daylight einen Teil davon in einen kleinen Sack, den er in den Schnee legte, während der Rest der Bohnen zum Frühstück stehenblieb.
Es war neun Uhr vorbei, als sie endlich zu Bett gehen konnten. Der Kampf zwischen den Hunden hatte längst aufgehört, und die müden Tiere waren im Schnee zusammengekrochen, wobei sie Pfoten und Schnauze zusammensteckten und sie mit der buschigen Wolfsrute bedeckten. Kama breitete seinen Schlafsack aus und steckte sich seine Pfeife an. Daylight drehte sich eine Zigarette aus braunem Papier, und die zweite Unterhaltung des Abends begann.
»Ich denke, wir haben fast sechzig Meilen gemacht«, sagte Daylight.
»Hm, glaub' ich auch«, sagte Kama.
Wie sie gingen und standen, nur mit einer wollenen Mackinawjacke anstatt der »Parka«, die sie den ganzen Tag getragen hatten, wickelten sie sich in ihre Schlafsäcke. Und fast im selben Augenblick schliefen sie auch schon fest. Die Sterne funkelten in der frostklaren Nacht, und über ihnen fuhren die farbenprächtigen Streifen des Nordlichts wie große Scheinwerfer über den Himmel. –
Es war noch dunkel, als Daylight erwachte