Ausgewählte Erzählungen & Abenteuerromane (21 Titel in einem Band). Robert Louis Stevenson
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Читать онлайн книгу Ausgewählte Erzählungen & Abenteuerromane (21 Titel in einem Band) - Robert Louis Stevenson страница 88
»Esel? Eine zartfühlende Erwiderung, ohne Zweifel«, sagte Frank. »Aber hüten Sie sich vor den hausbackenen Brüdern, Liebster. Wenn die in den Tanz eingreifen, werden Sie ja sehen, wer der Esel ist. Überlegen Sie sich mal, falls jene Burschen – na, sagen wir auch nur ein Viertel der Begabung, die ich drangesetzt habe, auf die Frage verwenden, wo Mr. Archie seine Abendstunden zubringt und weshalb er so herzerfrischend widerborstig ist, jedesmal wenn jenes Thema berührt wird –«
»Sie berühren es auch jetzt in diesem Augenblick«, unterbrach ihn Archie zuckend.
»Danke schön. Mehr wollte ich nicht. Das ist ein offenes Geständnis«, sagte Frank.
»Ich möchte Sie daran erinnern –« begann Archie.
Aber jetzt war er an der Reihe, unterbrochen zu werden. »Aber mein lieber Junge, lassen Sie das doch. Es ist gänzlich überflüssig. Das Thema ist tot und begraben.«
Und Frank fing in aller Eile an, von anderen Dingen zu reden, eine Kunst, in der er Meister war, denn es war seine besondere Begabung, über alles und nichts fließend sprechen zu können. Allein, obwohl Archie die Zuvorkommenheit oder die Feigheit besaß, ihn schwatzen zu lassen, war Frank durchaus noch nicht mit dem Thema fertig. Als Archie zum Abendessen nach Hause kam, begrüßte ihn Frank mit der schlauen Frage, wie es unten in Cauldstaneslap stünde. Nach dem Essen leerte Frank sein erstes Glas Portwein auf Kirsties Wohl, und später am Abend ritt er abermals zur Attacke.
»Hören Sie mal, Weir, Sie müssen entschuldigen, daß ich auf jene Sache zurückgreife. Aber ich hab’ sie mir durch den Kopf gehen lassen und möchte Sie doch allen Ernstes drum bitten, vorsichtiger zu sein. Die Geschichte ist nicht ungefährlich. Nicht ungefährlich, mein Junge.«
»Welche Geschichte?« fragte Archie.
»Ja, dann ist’s Ihre eigene Schuld, wenn Sie mich zwingen, die Sache bei ihrem Namen zu nennen; aber ich kann wahrhaftig als Freund nicht einfach stillsitzen und zuschauen, wie Sie sich kopfüber in diese Gefahr stürzen. Mein lieber Junge«, fuhr er fort und hielt warnend die Zigarre hoch, »denken Sie einmal nach! Wie soll denn das Ende sein?«
»Welches Ende?« In hilflosem Ärger hielt Archie an seiner gefährlichen und unliebenswürdigen Verteidigung fest.
»Das Ende des Milchmädchens oder, um mich formeller auszudrücken, das Ende der Jungfer Christina Elliott von Cauldstaneslap.«
»Ich versichere Sie«, brach Archie aus, »das Ganze ist lediglich eine Frucht Ihrer blühenden Phantasie. Es läßt sich nicht das Geringste gegen die junge Dame sagen, und Sie haben kein Recht, ihren Namen in unser Gespräch zu zerren.«
»Ich werde es mir merken«, sagte Frank. »Von jetzt ab sei sie namenlos, namenlos, namenlos! Ich werde mir außerdem noch das glänzende Leumundszeugnis merken, das Sie ihr ausgestellt haben. Ich wünsche diese Sache ja lediglich als Mann von Welt zu betrachten. Zugegeben, daß sie ein Engel ist – aber, mein lieber Junge, ist sie auch eine Dame?«
Dies war für Archie die reinste Folter. »Ich bitte um Verzeihung«, bemerkte er, nach Fassung ringend, »da Sie sich aber in mein Vertrauen eingeschlichen haben –«
»Pah, pah!« rief Frank. »Ihr Vertrauen? Es wurde zwar keusch errötend, aber doch nur sehr widerwillig geschenkt. Vertrauen? Wahrhaftig! Nun hören Sie aber mal zu. Ich habe Ihnen folgendes zu sagen, Weir, denn es betrifft Ihre persönliche Sicherheit und Ihren guten Ruf und daher auch meine eigene Ehre als Ihr Freund. Eingeschlichen ist gut! Was habe ich eigentlich getan? Ich habe zwei und zwei zusammengerechnet, wie das morgen die ganze Gemeinde tun wird und in zwei Wochen das gesamte Tweedtal und die Vier schwarzen Brüder – aber da will ich kein Datum festlegen; jedenfalls dürfte es ein dunkler, stürmischer Morgen werden! Kurz, Ihr Geheimnis liegt auf der Gasse! Und ich frage Sie als Freund: Gefällt Ihnen die Aussicht? Aus Ihrem Dilemma gibt es zwei Auswege, und ich muß sagen, beide würde ich persönlich nur sehr ungern in Erwägung ziehen. Beabsichtigen Sie, den Vier schwarzen Brüdern eine Erklärung zu geben? Oder wollen Sie das Milchmädchen als künftige Herrin von Hermiston dem Papa vorführen? Ich sage Ihnen offen: Ich kann’s mir nicht vorstellen!«
Archie erhob sich. »Ich will nichts mehr von diesen Dingen hören«, sagte er mit bebender Stimme.
Allein Frank hielt abermals die Zigarre hoch. »Sagen Sie mir vor allem das eine. Sagen Sie mir, ob ich nicht wirklich als Freund an Ihnen handle.«
»Ich glaube, daß Sie davon überzeugt sind«, lautete Archies Antwort. »So weit kann ich gehen. Ich kann Ihren Motiven diese Gerechtigkeit widerfahren lassen. Aber ich will nichts mehr hiervon hören. Ich gehe jetzt zu Bett.«
»So ist’s recht, Weir«, meinte Frank herzlich. »Gehen Sie zu Bett, und überschlafen Sie die Sache. Und noch eins: Vergessen Sie Ihr Abendgebet nicht! Ich bin nicht häufig fürs Moralische – dergleichen Dinge liegen mir nicht –, aber wenn ich mich dafür einsetze, dann mein’ ich’s auch ehrlich.«
Also marschierte Archie ins Bett, und Frank saß noch eine gute Stunde allein bei Tisch, mit ungemein selbstzufriedenem, sattem Lächeln. An sich lag nichts Rachsüchtiges in seiner Natur; aber wenn die Rache ihm in den Weg lief, so sollte sie auch gründlich sein, und der Gedanke an Archies einsame nächtliche Betrachtungen war ihm unbeschreiblich süß. Er spürte ein angenehmes Gefühl der Macht. Er blickte auf Archie herab wie auf einen sehr kleinen Jungen, den er am Gängelband führte – wie auf ein Pferd, das er ritt und das er durch schiere Intelligenz im Zaume hielt, ein Pferd, das er nach Belieben zu Grabe oder zum Ruhme reiten konnte. Welches von beiden sollte es sein? Er verweilte noch lange und kostete die Einzelheiten der Pläne aus, die durchzuführen er viel zu träge war. Armer Kork auf reißenden Stromes Oberfläche! In jener Nacht sog er die Süße der Allmacht ein und brütete, einer Gottheit gleich, über den Fäden einer Intrige, die ihn selbst vernichten sollte, noch ehe der Sommer schwand.
8
Ein nächtlicher Besuch
Kirstie hatte vieles, das sie unglücklich machte. Je älter wir werden – insbesondere wenn wir älter werden und Frauen sind, welche die eisige Furcht vor dem Alter anhaucht –, desto mehr verlassen wir uns auf die Stimme als das Ausdrucksmittel der Seele. Nur so vermögen wir bei der Verarmung unserer Mittel dem geknebelten Schrei der Leidenschaft Raum zu geben; nur so können wir in der bitteren und empfindsamen Schüchternheit reiferer Jahre den Verkehr mit jenen lebensstrotzenden Gestalten der Jugend aufrechterhalten, die uns allseits noch umgeben und die doch täglich mehr zur beweglichen Tapete des Lebens zusammenschrumpfen. Das Wort ist das letzte verbindende Glied, die letzte Beziehung. Jedoch mit Beendigung der Unterhaltung, wenn die Stimme schweigt und das helle Gesicht des Zuhörers sich wegkehrt, senkt sich von neuem Einsamkeit auf das verwundete Herz. Kirstie hatte ihre geruhsame abendliche Plauderstunde verloren; vorbei war es mit ihren Wanderungen – als Geist, wenn man will, aber als seliger Geist – an Archies Seite in den Feldern Elysiums. Ihr war es, als sei die ganze Welt verstummt; für ihn dagegen bedeutete dieser Wegfall lediglich eine belanglose Abwechslung in der Art seiner Kurzweil. Kirstie raste bei dieser Erkenntnis. Der brausende Quell ihrer leidenschaftlichen, reizbaren Natur sprudelte mitunter so unbändig, daß eine Eruption drohte.
Dies