Ausgewählte Erzählungen & Abenteuerromane (21 Titel in einem Band). Robert Louis Stevenson

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Ausgewählte Erzählungen & Abenteuerromane (21 Titel in einem Band) - Robert Louis Stevenson

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all dies erzählen würde. Und dann, Mr. Archie, ist da ein Bursch’ um mich freien gekommen, wie’s ganz natürlich war. Viele hatten sich vor ihm gemeldet, aber ich mochte sie alle nicht! Doch dieser hier, der hatte eine Zunge, um die Vögel aus der Luft und die Bienen von den Glockenblumen zu locken. Liebe Zeit, liebe Zeit, ist das lang her! Die Leut’ sind seither gestorben und begraben und vergessen worden, und Kinder sind zur Welt gekommen und haben geheiratet und haben selbst Kinder bekommen. Und Wälder sind gepflanzt worden seither und sind gewachsen und zu stattlichen Bäumen geworden, und die Mädels mit ihren Schätzen sitzen jetzt darunter im Schatten; und alte Güter haben die Herren gewechselt, und es hat Krieg und den Lärm des Krieges hier auf der Erde Angesicht gegeben. Und ich bin immer noch hier – eine alte, elende Krähe, die zuguckt und krächzt! Aber Ihr müßt nicht denken, Mr. Archie, daß ich mich nicht noch gut an alles erinnere! Ich lebte damals in meines Vaters Haus; und recht sonderbar ist, daß wir uns im Teufelsmoor trafen. Und glaubt ja nicht, daß ich die schönen Sommertage und die langen Meilen blutroter Heide, das Schreien der Brachvögel und das Mädel bei jenem Stelldichein vergessen habe! Wißt Ihr, daß ich jetzt noch die Süße der Berge spüre, die damals um mein Herze rann? Ach, Mr. Archie, ich weiß ja, wie’s ist – ich weiß es genau –, wie Gott in seiner Gnade die beiden nimmt, gleich Paulus von Tarsus, grad wenn sie sich’s am wenigsten versehen, und in ein Land treibt, das wie ein Traum ist; und die Welt und die Leute darinnen sind für das arme Mädel nicht mehr als die Wolken, und die Himmel selbst sind nur ein paar Grashalme, wenn sie ihm nur gefällt! Bis Tom starb – ja, das ist meine Geschichte«, brach sie ab; »er starb, und ich war nicht einmal bei dem Begräbnis. Doch solang er am Leben war, hatte ich mich fest in der Hand. Aber kann jenes arme Mädel das?«

      Und Kirstie streckte, die Augen hellschimmernd von ungeweinten Tränen, ihm flehend die Hand hin; das leuchtende Gold und das matte Gold ihres Haares flammte und glomm in Windungen um ihr schönes Haupt gleich den Strahlen der ewigen Jugend selbst; reine Röte war ihr in die Wangen gestiegen, und Archie war bestürzt und betreten angesichts ihrer Schönheit und ihrer Geschichte. Er trat vom Fenster auf sie zu, ergriff ihre Hand und küßte sie.

      »Kirstie«, sagte er heiser, »du hast mir bitter unrecht getan. Der Gedanke an sie hat mich nie verlassen; ich würde ihr um die Welt nicht schaden, Liebe!«

      »Ach Junge, das ist leicht gesagt«, rief Kirstie, »aber nicht so leicht getan! Junge, verstehst du denn nicht? Es ist Gottes Wille, daß wir geblendet und betäubt sein sollen und keine Gewalt mehr haben über unsere eigenen Glieder in jener Zeit. Mein Kind«, rief sie, immer noch seine Hand haltend, »denk an die arme Dirn! Hab Mitleid mit ihr, Archie! Oh, sei klug für zwei! Denk an die Gefahr, die sie läuft! Ich habe euch beide gesehen – und wer hindert es, daß andere euch gleichfalls sehen? Ich sah euch das erste Mal im Teufelsmoor, in meinem eigenen Tal, und schrecklich war mir zumute – teils wegen der Vorbedeutung, denn es ist etwas Unheimliches um den Ort, und teils aus schierer, nackter Mißgunst und Bitterkeit des Herzens. Sonderbar ist, daß ihr beide euch gleichfalls dort trefft! Gott! Und wenn auch der arme, alte, querköpfige Puritaner bei Lebzeiten nichts von der menschlichen Natur wußte – seit er in seinem Todesstündlein in die Musketenrohre geschaut, hat er eine gehörige Portion davon gesehen!« Dies fügte sie hinzu mit einer Art Verwunderung in ihren Augen.

      »Ich schwöre bei meiner Ehre, daß ich ihr nie unrecht getan«, sagte Archie. »Und ich schwöre bei meiner Ehre und bei meiner Seele Seligkeit, daß ich ihr auch in Zukunft keins tun werde. Ich habe das alles schon einmal gehört. Ich bin töricht gewesen, Kirstie, aber nicht ungut, und vor allen Dingen nicht gemein.«

      »Da spricht mein Kind«, sagte Kirstie, sich erhebend.

      »Ich kann dir jetzt vertrauen, ich gehe leichten Herzens schlafen.« Und dann erkannte sie blitzartig die nackte Unfruchtbarkeit ihres Sieges. Archie hatte versprochen, das Mädchen zu schonen, und er würde sein Versprechen halten; wer aber hatte versprochen, Archie zu schonen? Wie sollte das alles enden? Sie überschaute ein Labyrinth von Schwierigkeiten, aus dem ihr von jedem Kreuzweg das eiserne Gesicht Hermistons entgegenstarrte. Und eine Art Grauen vor ihrer eigenen Tat fiel sie an. Sie trug jetzt eine tragische Maske. »Archie, der Herr erbarme sich deiner und meiner, mein Liebstes du! Ich habe hier auf diesem Grunde gebaut –« sie legte ihre Hand schwer auf seine Schulter –, »ich habe hoch gebaut und mein Herz in den Bau hineingelegt. Sollte das ganze Gebäude zusammenstürzen, ich glaube, Kind, ich würde drüber sterben. Verzeih einem tollen alten Weibsbild, das dich liebt und das schon deine Mutter gekannt hat. Und um des lieben Herrgotts willen, halte dich frei von unmäßigem Verlangen; halte dein Herz in beiden Händen, trage es sicher und leicht; laß es nicht wie die Kinder ihre Drachen in die wilden Winde aufsteigen! Denk daran, Archie, mein lieber Archie, daß dies Leben eine einzige Enttäuschung ist und ein Mundvoll Erde das uns bestimmte Ende.«

      »Aber Kirstie, liebe, gute Kirstie, du verlangst jetzt zu viel«, sagte Archie, tief erschüttert und nun auch seinerseits in breites Schottisch verfallend. »Du verlangst, was ich dir nicht geben kann, was nur der Herrgott im Himmel gewähren kann, wenn er es für gut befindet. Und vermag er es am Ende wirklich? Ich kann dir nur versprechen, was ich tun werde, und du magst dich darauf verlassen. Aber wie ich fühlen werde – das, Kirstie, steht schon längst nicht mehr in meiner Macht!«

      Sie standen jetzt beide Angesicht zu Angesicht. Archies trug den elenden Schatten eines Lächelns; das ihre verzerrte sich einen Augenblick.

      »Versprich mir das eine«, rief sie mit scharfer Stimme. »Versprich, daß du nie etwas unternehmen wirst, ohne es mir vorher zu sagen.«

      »Nein, Kirstie, auch das kann ich dir nicht versprechen«, entgegnete er. »Ich habe so schon genug versprochen, Gott weiß es!«

      »Der Segen des Herrn stütze und tröste dich, mein Herz!« sagte sie.

      Und er entgegnete: »Gott schütze dich, meine alte Freundin!«

      9

       Neben des Webers Stein

       Inhaltsverzeichnis

      Es war spät am Nachmittage, als Archie sich dem Bergpfad nach des Betenden Webers Stein näherte. Die Moore lagen im Schatten. Aber noch immer sandte die Sonne durch den Paßeinschnitt einen letzten Pfeil, der lang und gerade über der Moosfläche schwebte, hier und dort eine Erderhöhung berührte und erhellte und endlich auf dem Grabstein und der kleinen, dort wartenden Gestalt zur Erde niederging. Die ganze Leere und Einsamkeit der großen Moore schien sich dort zu sammeln, und jener Sonnenfleck wies auf Kirstie als auf den einzigen lebenden Menschen. Der erste Anblick, den Archie von ihr gewann, war daher über die Maßen traurig, wie ein Blick in eine Welt, aus der alles Licht, aller Trost und alle menschliche Gemeinschaft zu schwinden drohten. Im nächsten Augenblick, als sie ihm ihr Gesicht zuwandte und ein rasches Lächeln es erhellte, lächelte ihm auch die ganze Natur zum Willkomm entgegen. Archies langsamer Schritt wurde schneller; sein Körper hastete, obwohl sein Herz ihn zurückhielt. Das Mädchen ihrerseits richtete sich langsam auf und stand dort erwartungsvoll; sie war ein einziges Verlangen, aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen, ihre Arme schmerzten, ihn zu umschlingen, ihre Seele stand auf Zehenspitzen. Aber er enttäuschte sie; wenige Schritte vor ihr blieb er stehen, nicht weniger bleich als sie selbst, und hielt, eine Geste des Verzichts, die Hand hoch.

      »Nein, Christina, heute nicht«, sagte er. »Heute muß ich ernst mit dir reden. Setz dich bitte wieder hin, wo du eben saßest; bitte«, wiederholte er.

      Der Rückschlag der Gefühle in Christinas Herz war erschütternd. Das Warten und Sehnen dieser langen, ermüdenden Stunden, in denen sie sich alle seine Liebkosungen wiederholt hatte – ihn endlich, endlich kommen zu sehen – für ihn dazusein, atemlos, ganz hingegeben, sein Eigentum,

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