Das große Jagen. Ludwig Ganghofer
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Da hob der Pfarrer lauschend den Kopf. »Niklaus! Ich hör was.«
Der Meister tat einen schweren Atemzug. »Hinter der Mauer ist meines Mädels Kammer. Da liegt der arme Klosterspatz auf den Knien und litaneiet in Höllenangst um unsere drei verlorenen Seelen.«
War der Sturm erloschen? Außerhalb der Wände kein Rauschen und Sausen mehr. Draußen die stummgewordene Nacht. Auch Stille im Haus. Nur immer dieser eine gleiche Laut, diese stammelnde Mädchenstimme.
Eine weiße Kammer, freundlich anzusehen. Man merkte an ihrem Gerät, wie zärtlich dieser Raum bereitet war von der Liebe eines Vaters, der sein Kind in Sehnsucht erwartet hatte nach Jahren des Leidens.
Die Kerze flackerte auf dem Gesimse des von schweren Läden verschlossenen Fensters, neben dem weißverhangenen Kastenbett. Schon entkleidet, lag Luisa auf den Knien vor einer Truhe, die ineinandergekrampften Hände hingerückt gegen ein Altärchen, das zwischen Leuchtern und künstlichen Blumen unter schimmerndem Glassturz eine von Goldflittern glitzernde Madonna mit dem wächsernen Jesuskinde zeigte. Fünf Ave Maria, die Litanei zur Gottesgebärerin, wieder das Ave Maria, immer mit der gleichen bebenden Stimme, die wie ein leises Schreien aus angstvoller Seele klang. Und so lange betete Luisa, bis der Glaube an die Hilfe wieder leuchtend in ihrem Herzen war. Sie bekreuzte die Stirne, den Mund und die knospende Brust, beugte sich vor und küßte das kalte Glas, das sich behauchte von ihrem Atem. Dann trat sie auf den nackten Sohlen zum Kastenbett und begann die braunblonden Flechten zu lösen. Gleich einem schimmernden Mantel fiel ihr das Haar um Nacken und Schultern. Mit der Linken streifte sie die linde Woge über den rechten Arm zurück und wollte die Hände heben, um das Haar zu knüpfen. Da weiteten sich ihre Augen. Regungslos betrachtete sie den weißen Arm. Der hatte zwischen Schulter und Ellenbogen vier blaue, strichförmige Male. Lange verstand sie das nicht. Nun eine Schreckbewegung, ein Erstarren ihres Gesichtes. Es waren die Denkzeichen jener stählernen Jägerfaust, die bei der Haustür im Schneegestöber ihren Arm umklammert hatte. Und ihr war, als klänge wieder die erregte Jünglingsstimme: »Es ist ein heilig Ding, da wird ein Messer durchgestoßen, noch heut in der Nacht!« Wie eine Sinnlose sprang sie auf das kupferne Weihwasserkesselchen zu, tauchte die ganze Hand hinein und wusch die blauen Male, immer fröstelnd, als berühre sie etwas Häßliches. Dann blies sie die Kerze aus und betete in der Finsternis mit flehendem Laut: »Hilf mir, heilige Mutter Marie! Tu mich reinigen an Leib und Seel!«
Das Kastenbett krachte ein bißchen, als es die leichte Last einer zarten Jugend empfing.
Luisa lag unbeweglich. Ihr Atem ging schwer. Hatte ihr Arm eine Wunde? Von der Stelle der blauen Male rann es ihr wie Feuer ins Blut. Und immer sah sie ein Bild in der Finsternis: wehendes Blondhaar, eine braune Stirn und zwei stahlblaue, sehnsüchtige Jünglingsaugen, die von hundert silbernen Mücken umflogen waren.
Die Hände über der Brust verflechtend, fing sie zu beten an. Das unheilige Bild verschwand nicht. Sie setzte sich in den Kissen auf und hob die gefalteten Hände. Die Heiligen, die sie herbeischrie, halfen nicht und wollten das unreine Bild nicht auslöschen, wollten den Unsichtbaren, der sich sichtbar machte, nicht zurückstoßen in die Finsternis.
Mit klagendem Wehlaut hob Luisa sich auf die Knie, beugte sich über das Fußgestell des Bettes und riß die Tür auf, die in die anstoßende Kammer führte. »Gute Sus? Du tust noch allweil nit schlafen, gelt?«
Eine müde Stimme: »Mögen tät ich. Mein Schlaf ist, ich weiß nit, wo.«
»Ich tu dich bitten, komm ein bißl zu mir!«
»Kind, was ist dir?« Etwas Graues huschte lautlos aus dem Dunkel heraus. »Du bist doch nit krank?«
»Krank nit. Ich tu mich sorgen, daß ich sündig bin, weil ich höllische Gespenster seh!«
»Geh, du Närrle!«
»Tu mich halsen, Sus! Noch fester! Jetzt ist mir wohl. Und alles ist wieder schwarz. Komm, Sus, tu beten mit mir.«
Leis erwiderte das Mädel: »Beten kann ich nit. Allweil muß ich an die Soldaten Gottes denken, und was dem guten Herren hätt drohen können.«
Es wurde laut im Haus. Eine Türe ging. Schritte und Stimmen; am deutlichsten die Stimme des Meisters.
Da tauchte plötzlich die Sus das Gesicht gegen den Schoß der Haustochter und brach in erwürgtes Schluchzen aus.
»Sus? Du Liebe! Was hast du denn?«
»Mir ist so weh, ich kann's nit sagen. Es bringt mich noch um.«
»Das sind die Soldaten nit. Das ist der Vater, den der Himmel jetzt erlöst – von den anderen zwei, die ich nit leiden mag. Gott tut mich warnen vor ihnen. Die bet ich noch fort aus unserem Haus. Sei still, liebe Sus! Da mußt du nit Angst haben.«
»Es ist nit Angst. Es ist die Zeit. Die liegt auf jedem als wie ein Stein.«
»Die Zeit muß keiner fürchten, der gläubig ist. Komm, Sus, du frierst. Ich spür, wie du zitterst. Laß dich zudecken! Einen Menschen haben, ist gut.«
Die drei Männer, die draußen hinunter gingen über die Stiege, hatten eine Weile im Flur zu schaffen, bis sie die mit Brettern und Holzscheiten verbarrikadierte Türe frei bekamen.
Durch die Klüfte der zerschlagenen Haustür wehte kein Schnee mehr herein. Das Gestöber war versiegt. Draußen eine schweigsame Winternacht, durch deren ziehendes Gewölk der Vollmond herunterglänzte.
Während Meister Niklaus im Flur die Barrikade wieder baute, schritten Pfarrer Ludwig und Simeon Lewitter lautlos durch den Schnee.
Hunde schlugen an, bald nah, bald ferne, mit Stimmen, die halb erloschen im Rauschen der Ache.
Simeon flüsterte: »Die Nacht ist wieder ohne Ruh.«
»Es wandern die Unsichtbaren.«
Die beiden folgten der Straße. Da faßte der Pfarrer den Arm des Freundes und deutete über eine verschneite Wiese hinaus. »Dort! Siehst du's?«
Etwas Wunderliches war zu sehen: ein im Mondschein gleitender Menschenschatten, ohne daß man einen Menschen sah.
Rasch watete Pfarrer Ludwig in die Wiese hinaus und stand vor einer Gestalt, die bis zu den Füßen in Leinwand gekleidet war, so weiß wie der Schnee, über dem Kopf eine Kapuze mit Löchern für die Augen, in denen es funkelte gleich geschliffenen Gläsern. »Wer bist du?« Keine Antwort. Der Pfarrer lachte ein bißchen. »Ich bin nit gefährlich. Nur neugierig wie Kinder und alte Leut. Gehst du zum Toten Mann? Oder kommst du von ihm?« Keine Antwort. Nur das Strömen eines schweren Atems. »Leupolt? Bist du's?«
»Wohl.«
»Was suchst du noch?«
»In Sorg bin ich