Aphorismen zur Lebensweisheit. Georg Schwikart

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Aphorismen zur Lebensweisheit - Georg  Schwikart Klassiker der Weltliteratur

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welche Weise nun aber auch die moralische Trefflichkeit unmittelbar beglückt, habe ich früher in meiner Preisschrift über das Fundament der Moral dargelegt, wohin ich also von hier verweise.

      Kapitel III

      Von dem, was einer hat

      Richtig und schön hat der große Glückseligkeitslehrer Epikuros116 die menschlichen Bedürfnisse in drei Klassen geteilt. Erstlich, die natürlichen und die notwendigen: es sind die, welche, wenn nicht befriedigt, Schmerz verursachen. Folglich gehört hierher nur Ernährung und Kleidung. Sie sind leicht zu befriedigen. Zweitens, die natürlichen, jedoch nicht notwendigen: es ist das Bedürfnis der Geschlechtsbefriedigung; wiewohl Epikur dies im Berichte des Laertius nicht ausspricht. Dieses Bedürfnis zu befriedigen, hält schon schwerer. Drittens, die weder natürlichen noch notwendigen: es sind die des Luxus, der Üppigkeit, des Prunkes und Glanzes: sie sind endlos und ihre Befriedigung ist sehr schwer.

      Die Grenze unsrer vernünftigen Wünsche hinsichtlich des Besitzes zu bestimmen ist schwierig, wo nicht unmöglich. Denn die Zufriedenheit eines jeden, in dieser Hinsicht, beruht nicht auf einer absoluten, sondern auf einer bloß relativen Größe, nämlich auf dem Verhältnis zwischen seinen Ansprüchen und seinem Besitz: daher dieser letztere, für sich allein betrachtet, so bedeutungsleer ist, wie der Zähler eines Bruchs ohne den Nenner. Die Güter, auf welche Anspruch zu machen einem Menschen nie in den Sinn gekommen ist; entbehrt er durchaus nicht, sondern ist, auch ohne sie, völlig zufrieden; während ein anderer, der hundertmal mehr besitzt als er, sich unglücklich fühlt, weil ihm eines abgeht, darauf er Anspruch macht. Jeder hat, auch in dieser Hinsicht, einen eigenen Horizont des für ihn möglicherweise Erreichbaren: so weit wie dieser gehen seine Ansprüche. Wenn irgendein innerhalb desselben gelegenes Objekt sich ihm so darstellt, dass er auf dessen Erreichung vertrauen kann, fühlt er sich glücklich, hingegen unglücklich, wenn eintretende Schwierigkeiten ihm die Aussicht darauf benehmen. Das außerhalb dieses Gesichtskreises Liegende wirkt gar nicht auf ihn. Daher beunruhigen den Armen die großen Besitztümer der Reichen nicht, und tröstet andrerseits den Reichen, bei verfehlten Absichten, das Viele nicht, was er schon besitzt. (Der Reichtum gleicht dem Seewasser: je mehr man davon trinkt, desto durstiger wird man. – Dasselbe gilt vom Ruhm.) – Dass nach verlornem Reichtum, oder Wohlstande, sobald der erste Schmerz überstanden ist, unsere habituelle117 Stimmung nicht sehr verschieden von der früheren ausfällt, kommt daher, dass, nachdem das Schicksal den Faktor unseres Besitzes verkleinert hat, wir selbst nun den Faktor unserer Ansprüche gleich sehr vermindern. Diese Operation aber ist das eigentlich Schmerzhafte, bei einem Unglücksfall: nachdem sie vollzogen ist, wird der Schmerz immer weniger, zuletzt gar nicht mehr gefühlt: die Wunde vernarbt. Umgekehrt wird, bei einem Glücksfall, der Kompressor118 unserer Ansprüche hinaufgeschoben, und sie dehnen sich aus: hierin liegt die Freude. Aber auch sie dauert nicht länger, als bis diese Operation gänzlich vollzogen ist: wir gewöhnen uns an das erweiterte Maß der Ansprüche und werden gegen den demselben entsprechenden Besitz gleichgültig. Die Quelle unserer Unzufriedenheit liegt in unsern stets erneuerten Versuchen, den Faktor der Ansprüche in die Höhe zu schieben, bei der Unbeweglichkeit des andern Faktors, die es verhindert. – Unter einem so bedürftigen und aus Bedürfnissen bestehendem Geschlecht, wie das menschliche, ist es nicht zu verwundern, dass Reichtum mehr und aufrichtiger, als alles andere, geachtet, ja verehrt wird, und selbst die Macht nur als Mittel zum Reichtum, wie auch nicht, dass zum Zwecke des Erwerbs alles andere beiseite geschoben, oder über den Haufen geworfen wird, z. B. die Philosophie von den Philosophieprofessoren. – Dass die Wünsche der Menschen hauptsächlich auf Geld gerichtet sind und sie dieses über alles lieben, wird ihnen oft zum Vorwurf gemacht. Jedoch ist es natürlich, wohl gar unvermeidlich, das zu lieben, was, als ein unermüdlicher Proteus119, jeden Augenblick bereit ist, sich in den jedesmaligen Gegenstand unsrer so wandelbaren Wünsche und mannigfaltigen Bedürfnisse zu verwandeln. Jedes andere Gut nämlich kann nur einem Wunsch, einem Bedürfnis genügen: Speisen sind bloß gut für den Hungrigen, Wein für den Gesunden, Arznei für den Kranken, ein Pelz für den Winter, Weiber für die Jugend usf. Sie sind folglich alle nur relativ gut. Geld allein ist das absolut Gute: weil es nicht bloß einem Bedürfnis in concreto120 begegnet, sondern dem Bedürfnis überhaupt in abstracto121.

      Vorhandenes Vermögen soll man betrachten als eine Schutzmauer gegen die vielen möglichen Übel und Unfälle; nicht als eine Erlaubnis oder gar Verpflichtung, die Plaisiers122 der Welt heranzuschaffen. – Leute, die von Haus aus kein Vermögen haben, aber endlich in die Lage kommen, durch ihre Talente, welcher Art sie auch seien, viel zu verdienen, geraten fast immer in die Einbildung, ihr Talent sei das bleibende Kapital und der Gewinn dadurch die Zinsen. Demgemäß legen sie dann nicht das Erworbene teilweise zurück, umso ein bleibendes Kapital zusammen zu bringen; sondern geben aus, in dem Maße, wie sie verdienen. Danach aber werden sie meistens in Armut geraten, weil ihr Erwerb stockt, oder aufhört, nachdem entweder das Talent selbst erschöpft ist, indem es vergänglicher Art war, wie z.B. das zu fast allen schönen Künsten, oder auch, weil es nur unter besonderen Umständen und Konjunkturen geltend zu machen war, welche aufgehört haben. Handwerker mögen immerhin es auf die besagte Weise halten; weil die Fähigkeiten zu ihren Leistungen nicht leicht verloren gehen, auch durch die Kräfte der Gesellen ersetzt werden, und weil ihre Fabrikate Gegenstände des Bedürfnisses sind, also alle Zeit Abgang finden; weshalb denn auch das Sprichwort »ein Handwerk hat einen goldenen Boden« richtig ist.

      In der Regel wird man finden, dass diejenigen, welche schon mit der eigentlichen Not und dem Mangel handgemein gewesen sind, diese ungleich weniger fürchten und daher zur Verschwendung geneigter sind, als die, welche solche nur von Hörensagen kennen. Zu den ersteren gehören alle, die durch Glücksfälle irgendeiner Art oder durch besondere Talente, gleichviel welcher Gattung, ziemlich schnell aus der Armut in den Wohlstand gelangt sind: die andern hingegen sind die, welche im Wohlstande geboren und geblieben sind. Diese sind durchgängig mehr auf die Zukunft bedacht und daher ökonomischer123, als jene. Man könnte daraus schließen, dass die Not nicht eine so schlimme Sache wäre, wie sie, von weitem gesehen, scheint. Doch möchte der wahre Grund vielmehr dieser sein, dass dem, der in angestammten Reichtume geboren ist, dieser als etwas Unentbehrliches erscheint, als das Element des einzig möglichen Lebens, so gut wie die Luft; daher er ihn bewacht wie sein Leben, folglich meistens ordnungsliebend, vorsichtig und sparsam ist. Dem in angestammter Armut Geborenen hin gegen erscheint diese als der natürliche Zustand; der ihm danach irgendwie zugefallene Reichtum aber als etwas Überflüssiges, bloß tauglich zum Genießen und Verprassen; indem man, wenn er wieder fort ist, sich, so gut wie vorher, ohne ihn behilft und noch eine Sorge los ist.

      Dazu kommt denn freilich noch, dass solche Leute ein festes und übergroßes Zutrauen teils zum Schicksal, teils zu den eigenen Mitteln, die ihnen schon aus Not und Armut herausgeholfen haben, nicht sowohl im Kopf, als im Herzen tragen und daher die Untiefen derselben nicht, wie es wohl den Reichgeborenen begegnet, für bodenlos halten, sondern denken, dass man, auf den Boden stoßend, wieder in die Höhe gehoben wird. – Aus dieser menschlichen Eigentümlichkeit ist es auch zu erklären, dass Frauen, welche arme Mädchen waren, sehr oft anspruchsvoller und verschwenderischer sind, als die, welche eine reiche Aussteuer zubrachten; indem meistenteils die reichen Mädchen nicht bloß Vermögen mitbringen, sondern auch mehr Eifer, ja, angeerbten Trieb zur Erhaltung desselben, als arme. Wer inzwischen das Gegenteil behaupten will findet eine Auktorität124 für sich am Ariosto125 in dessen erster Satire; hingegen stimmt Dr. Johnson126 meiner Meinung bei: Eine wohlhabende Frau, die den Umgang mit Geld gewöhnt ist, verwendet es auf kluge Art; aber eine Frau, die nach ihrer Heirat zum ersten Male über Geld verfügt, hat so starkes Gefallen am Ausgeben, dass sie es mit großer Verschwendung wegwirft. Jedenfalls aber möchte ich dem, der ein armes Mädchen heiratet, raten, sie nicht das Kapital, sondern eine bloße Rente erben zu lassen, besonders aber dafür zu sorgen, dass das Vermögen der Kinder nicht in ihre Hände gerät.

      Zu dem, was einer hat, habe ich Frau und Kinder nicht gerechnet; da er von diesen vielmehr gehabt wird. Eher ließen sich Freunde dazu zählen: doch muss auch hier der Besitzende im gleichen Maße der Besitz des andern sein.

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