Aphorismen zur Lebensweisheit. Georg Schwikart

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Aphorismen zur Lebensweisheit - Georg  Schwikart Klassiker der Weltliteratur

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die, welche diesen entronnen sind, lauert in allen Winkeln die Langeweile. Zudem hat in der Regel die Schlechtigkeit die Herrschaft darin und die Torheit das große Wort. Das Schicksal ist grausam und die Menschen sind erbärmlich. In einer so beschaffenen Welt gleicht der, welcher viel an sich selber hat, der hellen, warmen, lustigen Weihnachtsstube, mitten im Schnee und Eise der Dezembernacht. Demnach ist eine vorzügliche, eine reiche Individualität und besonders sehr viel Geist zu haben ohne Zweifel das glücklichste Los auf Erden; so verschieden es etwa auch von dem glänzendsten ausgefallen sein mag. Daher war es ein weiser Ausspruch der erst 19jährigen Königin Christine von Schweden78, über den ihr doch bloß durch einen Aufsatz und aus mündlichen Berichten bekannt gewordenen Kartesius79, welcher damals seit 20 Jahren in der tiefsten Einsamkeit, in Holland lebte: Descartes ist der glücklichste aller Menschen, und seine Lebensweise erscheint mir beneidenswert. Nur müssen, wie es eben auch der Fall des Kartesius war, die äußeren Umstände es so weit begünstigen, dass man auch sich selbst besitzen und seiner froh werden könne; weshalb schon Kohelet80 sagt: »Weisheit ist gut mit einem Erbgut und hilft, dass einer sich der Sonne freuen kann.«81 Wem nun, durch Gunst der Natur und des Schicksals, dieses Los beschieden ist, der wird mit ängstlicher Sorgfalt darüber wachen, dass die innere Quelle seines Glückes ihm zugänglich bleibe; wozu Unabhängigkeit und Muße die Bedingungen sind. Diese wird er daher gern durch Mäßigkeit und Sparsamkeit erkaufen; umso mehr, als er nicht, gleich den Andern, auf die äußeren Quellen der Genüsse verwiesen ist. Darum wird die Aussicht auf Ämter, Geld, Gunst und Beifall der Welt, ihn nicht verleiten, sich selber aufzugeben, um den niedrigen Absichten oder dem schlechten Geschmacke der Menschen sich zu fügen. Vorkommendenfalls wird er es wie Horaz machen in der Epistel82 an den Mäcenas83. Es ist eine große Torheit, um nach außen zu gewinnen, nach innen zu verlieren, d.h. für Glanz, Rang, Prunk, Titel und Ehre, seine Ruhe, Musse und Unabhängigkeit ganz oder großenteils hinzugeben. Dies aber hat Goethe getan. Mich hat mein Genius mit Entschiedenheit nach der andern Seite gezogen.

      Die hier erörterte Wahrheit, dass die Hauptquelle des unendlichen Glückes im eigenen Innern entspringt, findet ihre Bestätigung auch an der sehr richtigen Bemerkung des Aristoteles, in der Nikomachäischen Ethik84, dass jeglicher Genuss irgendeiner Aktivität, also die Anwendung irgendeiner Kraft voraussetzt und ohne solche nicht bestehen kann. Diese Aristotelische Lehre, dass das Glück eines Menschen in der ungehinderten Ausübung seiner hervorstechenden Fähigkeit bestehe, gibt auch Stobäos85 wieder in seiner Darstellung der peripatetischen Ethik86, z.B. das Glück sei das Ausgeben von Energie nach dem Grade der Anlagen, in Handlungen, die Erfolg haben können. Nun ist die ursprüngliche Bestimmung der Kräfte, mit welchen die Natur den Menschen ausgerüstet hat, der Kampf gegen die Not, die ihn von allen Seiten bedrängt. Wenn aber dieser Kampf einmal rastet, da werden ihm die unbeschäftigten Kräfte zur Last: er muss daher jetzt mit ihnen spielen, d.h. sie zwecklos gebrauchen: denn sonst fällt er der anderen Quelle des menschlichen Leidens, der Langenweile, sogleich anheim. Von dieser sind daher vor allem die Großen und Reichen gemartert, und hat von ihrem Elend schon Lukretius87 eine Schilderung gegeben, deren Treffendes zu erkennen, man noch heute, in jeder großen Stadt, täglich Gelegenheit findet:

      Oft geht jener heraus aus den Türen geräumiger Wohnung

       Wenn verleidet ihm ist, zu Hause zu bleiben, doch bald drauf

       Kehrt er zurück, da er fühlt, es sei da draußen nicht besser.

       Jagt im gestreckten Galopp mit dem Rösslein fort auf das Landgut,

       Gleich, als hätt’ er sein Haus aus der Flammenglut noch zu retten;

       Doch gleich gähnet er wieder, kaum hat er die Schwelle betreten,

       Sinkt in den schwersten Schlaf und sucht darin zu vergessen,

       Oder er jagt zurück nach der Stadt, sich dort zu vergnügen.

      Bei diesen Herren muss in der Jugend die Muskelkraft und die Zeugungskraft herhalten. Aber späterhin bleiben nur die Geisteskräfte: fehlt es dann an diesen oder an ihrer Ausbildung und dem angesammelten Stoffe zu ihrer Tätigkeit, so ist der Jammer groß. Weil nun der Wille die einzige unerschöpfliche Kraft ist, so wird er jetzt angereizt durch Erregung der Leidenschaften, z. B. durch hohe Hasardspiele88, dieses wahrhaft degradierende Laster. – Überhaupt aber wird jedes unbeschäftigte Individuum, je nach der Art der in ihm vorwaltenden Kräfte, sich ein Spiel zu ihrer Beschäftigung wählen: etwa Kegel oder Schach, Jagd oder Malerei, Wettrennen oder Musik, Kartenspiel oder Poesie, Heraldik89 oder Philosophie usf. Wir können sogar die Sache methodisch untersuchen, indem wir auf die Wurzel aller menschlichen Kraftäußerungen zurückgehen, also auf die drei physiologischen90 Grundkräfte: welche wir demnach hier in ihrem zwecklosen Spiele zu betrachten haben, in welchem sie als die Quellen dreier Arten möglicher Genüsse auftreten, aus denen jeder Mensch, je nachdem die eine oder die andere jener Kräfte in ihm vorwaltet, die ihm angemessenen erwählen wird. Also zuerst die Genüsse der Reproduktionskraft: sie bestehen im Essen, Trinken, Verdauen, Ruhen und Schlafen. Diese werden daher sogar ganzen Völkern als ihre Nationalvergnügungen von den anderen nachgerühmt. Zweitens die Genüsse der Irritabilität: sie bestehen im Wandern, Springen, Ringen, Tanzen, Fechten, Reiten und athletischen Spielen jeder Art, wie auch in der Jagd und sogar im Kampf und Krieg. Drittens, die Genüsse der Sensibilität: sie bestehen im Beschauen, Denken, Empfinden, Dichten, Bilden, Musizieren, Lernen, Lesen, Meditieren, Erfinden, Philosophieren usf. – Über den Wert, den Grad, die Dauer jeder dieser Arten der Genüsse lassen sich mancherlei Betrachtungen anstellen, die dem Leser selbst überlassen bleiben. Jedem aber wird dabei einleuchten, dass unser, allemal durch den Gebrauch der eigenen Kräfte bedingter Genuss und mithin unser, in dessen häufiger Wiederkehr bestehendes Glück umso größer sein wird, je edlerer Art die ihn bedingende Kraft ist. Den Vorrang, welchen in dieser Hinsicht die Sensibilität, deren entschiedenes Überwiegen das Auszeichnende des Menschen vor den übrigen Tiergeschlechtern ist, vor den beiden andern physiologischen Grundkräften hat, als welche in gleichem und sogar in höherem Grade den Tieren innewohnen, wird ebenfalls niemand ableugnen. Der Sensibilität gehören unsere Erkenntniskräfte an: daher befähigt das Überwiegen derselben zu den im Erkennen bestehenden, also den sogenannten geistigen Genüssen, und zwar zu umso größeren, je entschiedener jenes Überwiegen ist.

      Die Natur steigert sich fortwährend, zunächst vom mechanischen und chemischen Wirken des unorganischen Reiches zum Vegetabilischen91 und seinem dumpfen Selbstgenuss, von da zum Tierreich, mit welchem die Intelligenz und das Bewusstsein anbricht und nun von schwachen Anfängen stufenweise immer höher steigt und endlich durch den letzten und größten Schritt bis zum Menschen sich erhebt, in dessen Intellekt also die Natur den Gipfelpunkt und das Ziel ihrer Produktionen erreicht, also das Vollendetste und Schwierigste liefert, was sie hervorzubringen vermag. Selbst innerhalb der menschlichen Spezies aber stellt der Intellekt noch viele und merkliche Abstufungen dar und gelangt höchst selten zur obersten, der eigentlich hohen Intelligenz. Diese nun aber ist im engern und strengern Sinne das schwierigste und höchste Produkt der Natur, mithin das Seltenste und Wertvollste, was die Welt aufzuweisen hat. In einer solchen Intelligenz tritt das klarste Bewusstsein ein und stellt demgemäß die Welt sich deutlicher und vollständiger als irgendwo dar. Der damit Ausgestattete besitzt demnach das Edelste und Köstlichste auf Erden und hat dementsprechend eine Quelle von Genüssen, gegen welche alle übrigen gering sind, so dass er von außen nichts weiter bedarf als nur die Muße, sich dieses Besitzes ungestört zu erfreuen und keinen Diamanten auszuschleifen. Denn alle andern, also nicht intellektuellen Genüsse sind niedrigerer Art: sie laufen sämtlich auf Willensbewegungen hinaus, also auf Wünschen, Hoffen, Fürchten und Erreichen, gleichviel auf was es gerichtet sei, wobei es nie ohne Schmerzen abgehen kann und zudem mit dem Erreichen in der Regel mehr oder weniger Enttäuschung eintritt, statt dass bei den intellektuellen Genüssen die Wahrheit immer klarer wird. Im Reiche der Intelligenz waltet kein Schmerz, sondern alles ist Erkenntnis. Alle intellektuellen Genüsse sind nun aber jedem nur vermittelst und also nach Maßgabe seiner eigenen Intelligenz zugänglich: denn: aller Geist, der in der Welt ist, nützt demjenigen nichts, der keinen hat. – Ein wirklicher, jenen Vorzug begleitender Nachteil

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