Das Bildnis des Dorian Gray. ОÑкар Уайльд
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Читать онлайн книгу Das Bildnis des Dorian Gray - ОÑкар Уайльд страница 12
Plötzlich blieb er stehen und blickte an den Häusern empor. Er merkte, dass er schon vor einer Weile am Hause seiner Tante vorübergegangen war, und kehrte still lächelnd wieder um. Als er in die etwas düstere Halle eintrat, sagte ihm der Diener, man habe bereits mit dem Frühstück begonnen. Er gab einem Lakaien Hut und Stock und ging ins Speisezimmer.
»Spät, wie gewöhnlich«, rief seine Tante und schüttelte den Kopf.
Er erfand geschickt eine Entschuldigung, setzte sich auf den leeren Stuhl neben ihr und blickte sich um, um zu sehen, wer da war. Dorian, der am Ende der Tafel saß, grüßte ihn schüchtern, und ein freudiges Erröten trat auf seine Wangen. Gegenüber saß die Herzogin von Harley, eine bewunderungswürdig gutmütige und gut gelaunte Dame, die jeder gern hatte, der sie kannte, und die in den umfangreichen Maßen gebaut war, die man bei Frauen, die nicht Herzoginnen sind, Beleibtheit nennt. Neben ihr, zu ihrer Rechten, saß Sir Thomas Burdon, ein radikales Parlamentsmitglied, das im öffentlichen Leben seinem Leader und im Privatleben den besten Köchen folgte, und in Gemäßheit einer weisen und wohlbekannten Regel mit den Tones speiste und mit den Liberalen dachte. Den Platz zu ihrer Linken nahm Herr Erskine of Treadley ein, ein alter charmanter und gebildeter Herr, der jedoch die schlechte Gewohnheit des Schweigens angenommen hatte, da er, wie er einmal Lady Agatha erklärt hatte, mit allem, was er zu sagen hatte, vor seinem dreißigsten Lebensjahr fertig geworden war. Seine eigene Nachbarin war Frau Vandeleur, eine der ältesten Freundinnen seiner Tante, eine vollkommene Heilige unter Frauen, aber so schrecklich angezogen, dass sie einem wie ein geschmacklos gebundenes Gebetbuch vorkam. Zum Glück für ihn hatte sie an der andern Seite Lord Faudel, eine sehr intelligente Mittelmäßigkeit im besten Alter, der so kahl war wie die Mitteilung eines Ministers im Unterhaus, und mit dem sie sich in dem tiefernsten Tone unterhielt, der, wie Lord Henry einmal selbst bemerkt hatte, der eine unverzeihliche Fehler ist, in den alle wahrhaft guten Menschen verfallen, und den keiner unter ihnen ganz vermeiden kann.
»Wir sprechen über den armen Dartmoor, Lord Henry«, rief die Herzogin und nickte ihm vergnügt über den Tisch weg zu. »Glauben Sie, dass er wirklich dieses reizende junge Mädchen heiraten wird?«
»Ich glaube, Frau Herzogin, sie hat sich in den Kopf gesetzt, um ihn anzuhalten.«
»Wie schrecklich!« rief Lady Agatha. »Wirklich, es sollte sich jemand ins Mittel legen.«
»Ich erfahre aus vorzüglicher Quelle, ihr Vater habe ein amerikanisches Kurzwarengeschäft«, sagte Sir Thomas Burdon mit stolzem Blick.
»Mein Onkel hat bereits behauptet, er habe eine Schweinefleischpackerei, Sir Thomas.«
»Kurzwaren! Was sind amerikanische Kurzwaren?« fragte die Herzogin und erhob staunend ihre großen Hände.
»Amerikanische Romane«, antwortete Lord Henry. Die Herzogin machte ein erstauntes Gesicht.
»Hören Sie nicht auf ihn, Liebste«, flüsterte Lady Agatha. »Er meint nie im Ernst, was er sagt.«
»Als Amerika entdeckt wurde«, hub der radikale Abgeordnete an und ließ etliche langweilige Tatsachen los. Wie alle Menschen, die ein Thema erschöpfen wollen, erschöpfte er seine Zuhörer.
Die Herzogin seufzte und übte ihr Vorrecht, zu unterbrechen. »Wollte Gott, es wäre überhaupt nie entdeckt worden!« rief sie aus. »Wahrhaftig, unsre jungen Mädchen haben keine Aussichten heutzutage. Es ist empörend!«
»Wenn man’s recht betrachtet, ist Amerika vielleicht gar nicht entdeckt worden«, sagte Herr Erskine in orakelhaftem Ton; »ich würde vorziehen zu sagen: man ist dahinter gekommen.«
»Aber ich habe Exemplare der Einwohnerinnen gesehen«, antwortete die Herzogin zerstreut. »Ich muss gestehen, die meisten von ihnen sind überaus hübsch. Und zudem ziehen sie sich gut an. Sie lassen alle ihre Kleider in Paris machen. Ich wollte, ich könnte mir das auch leisten.«
»Man sagt, wenn gute Amerikaner sterben, gehen sie nach Paris«, kicherte Sir Thomas, der einen großen Schrank voll abgelegter Witze besaß.
»Wirklich? Und wohin gehen schlechte Amerikaner, wenn sie sterben?« fragte die Herzogin.
»Sie gehen nach Amerika«, murmelte Lord Henry.
Sir Thomas runzelte die Stirn. »Ich fürchte, Ihr Neffe hat ein Vorurteil gegen dieses große Land«, sagte er zu Lady Agatha. »Ich habe ganz Amerika bereist, in Salonwagen, die die Direktionen mir stellten. Man ist dort in diesen Dingen äußerst entgegenkommend. Ich versichere Sie, es ist ein Bildungselement, das Land kennenzulernen.«
»Aber müssen wir wirklich nach Chicago reisen, um gebildet zu werden?« fragte Herr Erskine in klagendem Ton. »Ich bin nicht aufgelegt zu der Reise.«
Sir Thomas schob seine Hand durch die Luft. »Herr Erskine hat die Welt in seinen Bücherschränken. Wir Männer der Praxis möchten die Dinge sehen, nicht über sie lesen. Die Amerikaner sind ein überaus interessantes Volk. Sie sind ganz und gar vernünftig. Ich glaube, das ist ihr Kennzeichen. Jawohl, Herr Erskine, ein ganz und völlig vernünftiges Volk. Ich versichere Sie, es gibt keinen Unsinn bei den Amerikanern.«
»Wie grässlich!« rief Lord Henry. »Ich kann brutale Gewalt aushalten, aber brutale Vernunft ist ganz unerträglich. Es ist unbillig, sie anzuwenden. Es heißt, den Intellekt unterdrücken.«
»Ich verstehe Sie nicht«, sagte Sir Thomas und wurde etwas rot.
»Ich verstehe, Lord Henry«, sagte Herr Erskine lächelnd.
»Paradoxa sind in ihrer Art ganz gut …«, versetzte Sir Thomas.
»War das paradox?« fragte Herr Erskine. »Ich hielt es nicht dafür. Vielleicht. Nun, der Weg zur Wahrheit führt über Paradoxien. Um die Wahrheit zu prüfen, muss man sie seiltanzen lassen. Wenn die Wahrheiten Akrobaten werden, können wir über sie urteilen.«
»Mein Gott!« sagte Lady Agatha, »wie diskutiert ihr Männer! Wahrhaftig, ich bringe nie heraus, wovon ihr sprecht. O Harry, ich bin ganz böse mit dir! Warum versuchst du, Herrn Gray zu überreden, nicht mehr ins Eastend zu gehen? Ich versichere dich, er wäre dort ganz unschätzbar. Die Leute wären entzückt über sein Spiel.«
»Ich habe den Wunsch, dass er für mich spielt«, rief Lord Henry lächelnd und blickte ans Ende des Tisches, von wo er einen strahlenden Blick zur Antwort erhielt.
»Aber die Menschen in Whitechapel sind so unglücklich«, fuhr Lady Agatha fort.
»Ich kann mit allem Mitgefühl haben, nur nicht mit Leiden«, sagte Lord Henry und zuckte mit den Schultern. »Da kann ich nicht mitfühlen. Es ist zu hässlich, zu schauderhaft, zu quälend. Es liegt etwas schrecklich Krankhaftes in dem Mitgefühl unsrer Zeit mit dem Elend. Man sollte mit der Farbigkeit, der Schönheit, der Freude des Lebens mitfühlen. Je weniger über den Jammer des Lebens gesagt wird, um so besser.«
»Jedoch das Eastend ist eine sehr wichtige Frage«, bemerkte Sir Thomas und schüttelte ernsthaft den Kopf.
»Ganz