Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten. Sven Elvestad
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Die Witwe merkte bald, daß es wichtige Geschäfte waren, die der Agent hatte – ja, Geldgeschäfte. Aber was kümmerte sie das, wenn sie nur ihren Zins zu rechter Zeit bekam und er sich sonst in jeder Hinsicht tadellos betrug.
Der Agent zog zu Johanni ein, und etwa zwei Jahre vergingen, bevor das geschah, was nun erzählt werden soll. Es war an einem der ersten Frühlingstage des Jahres, und die Leute, die über die Straße gingen, drehten das Gesicht der Sonne zu, um zu fühlen, wie sie schon wärmte, und um auch recht zu sehen, wie hell es schon geworden war. Der Schnee war während des Tauwetters der letzten Tage aufgegangen. Es rieselte durch die Dachrinnen, und die Gassen waren aufgeweicht und schmutzig.
*
Damals war Asbjörn Krag noch aktives Mitglied des Christianiaer Detektivkorps und stand durch die Art, wie er die ihm gestellten Aufgaben löste, hoch in der Gunst seiner Vorgesetzten.
Als er sich eines Morgens im Kontor des Chefs einfand, fand er diesen in ungeduldiger Erwartung.
»Ich habe da gerade eine Sache bekommen, die wohl etwas für Sie sein wird,« sagte er. »Diese Dame hier,« – er wies auf eine ältere, korpulente Frau, die auf dem schwarzen Ledersofa des Kontors Platz genommen hatte – »diese Dame hat mir eben mitgeteilt, daß einer ihrer Mieter in ganz merkwürdiger Weise verschwunden ist.«
Krag, dessen Interesse augenblicklich erwachte, setzte sich an den grünen Tisch des Chefs.
Er war darauf bedacht, mit dem Rücken gegen das Licht zu sitzen. Es war dies eine Gewohnheit, die er in den Verhörlokalen angenommen hatte; das Tageslicht fiel dann dem, der verhört wurde, ins Gesicht, und er konnte so jeden kleinen Wechsel im Mienenspiel beobachten.
»Darf ich Sie bitten, Ihre Erzählung zu wiederholen,« sagte der Polizeichef. »Es ist notwendig, daß dieser Herr sie aus Ihrem eigenen Munde hört.«
Die Dame erhob sich in ihrer ganzen Fülle und trat näher. Die Mantille raschelte um sie. Krag bemerkte, daß sie sehr nervös und erregt war. Sie sprach auch mit leicht zitternder Stimme.
»Ich habe mir schon mehrere Tage gedacht, daß ich mich an die Polizei wenden müßte,« sagte sie, »aber habe es immer wieder aufgeschoben, weil ich hoffte, daß er zurückkommen würde. Aber nun sehe ich, daß etwas geschehen muß!«
»Von was, oder richtiger, von wem sprechen Sie?« fragte Asbjörn Krag.
»Vom Agenten Jaerven, der zwei Zimmer in meinem Hause bewohnt.«
Asbjörn Krag griff nach seinem kleinen Notizbuch und notierte den Namen. Er wechselte einen Blick mit dem Polizeichef.
»Agent Jaerven ist also verschwunden?« fragte Krag.
»Ja,« erwiderte die Dame, »und ich habe so eine Ahnung, daß ihm etwas passiert ist.«
»Wann war er zuletzt zu Hause?«
»Donnerstag abends, den Zwölften. Heute haben wir den Zweiundzwanzigsten. Also vor zehn Tagen.«
Krag nickte und notierte.
»Und Sie wissen bestimmt, daß er Donnerstag abends zu Hause war?«
»Ganz bestimmt.«
»Können Sie mir auf den Glockenschlag sagen, wann er fortging?«
»Es war so ums Dunkelwerden. Ich denke, es wird gegen acht Uhr gewesen sein.«
»Pflegte der Agent oft – vielleicht jeden Abend, um diese Zeit auszugehen?«
»Nein, durchaus nicht. Darum fiel es mir eben auf, daß er ausging. Er ging auch den vorigen Tag um acht Uhr fort, und das war noch nicht vorgekommen, soweit ich zurückdenken kann. Aber damals redete ich mit ihm, und da sagte er mir, daß er wohl bis halb zwölf fortbleiben würde.«
»War er damals anders als sonst?«
»Nein. Er sah aus wie gewöhnlich und sprach auch ganz ruhig. – Sonst kam Jaerven immer gegen sechs Uhr von seinen Nachmittagsausgängen zurück,« setzte die Dame ihre Erzählung fort. »Er schloß sich dann in seinem Zimmer ein und empfing nicht gerne Besuch. Gegen acht Uhr war er meistens in der Küche draußen und bereitete sein Abendbrot, und gleich nachdem er gegessen hatte, legte er sich nieder. So verliefen seine Abende immer; ich kann mich nicht erinnern, daß es anders gewesen wäre. Darum war ich auch so erstaunt, als ich sah, daß er diesen Abend ausging und den Abend darauf wieder. Ich weiß noch, daß ich ganz laut zu mir selbst sagte: ›Nein, jetzt ist aber Jaerven komisch! Was in aller Welt macht er noch so spät in der Stadt!‹«
Krag notierte wieder etwas in sein Notizbuch.
Dann fragte er:
»Nun, und hat der Agent schon früher am Tage irgend etwas getan, was Ihnen seltsam vorkam?«
»Nichts Besonderes,« erwiderte die Witwe, »er hat sich nur auch schon am Vormittag eingesperrt. Sonst pflegte er immer zwischen elf und ein Uhr Besuche zu empfangen; aber an diesem Tage wollte er niemand vorlassen. Er hatte die Tür von innen zugesperrt. Ich hörte ihn mit schweren Schritten drinnen auf und ab gehen. Und das war auch etwas, was er sonst nie zu tun pflegte. Wenigstens ist es mir nie früher aufgefallen.«
»Was waren denn das für Leute, die an jenem Vormittage zu ihm hinein wollten?«
Die Witwe warf einen prüfenden Blick auf den Detektiv.
»Ich weiß nicht,« erwiderte sie zögernd.
Asbjörn Krag lächelte.
»Genieren Sie sich doch nicht,« sagte er. »Ich kann Ihnen sagen, daß wir hier bei der Polizei mehr vom Agenten Jaerven wissen, als Sie, obwohl er zwei Jahre bei Ihnen gewohnt hat.«
»Ich kümmere mich nicht um anderer Leute Angelegenheiten,« gab die Witwe schlagfertig zurück.
»Na, na! Also: Was für Art Leute waren das, die den Alten besuchten?«
»Ich denke, es werden Leute gewesen sein, die sich von ihm Geld ausleihen wollten.«
»Richtig,« erwiderte der Detektiv. »Sie werden doch die ganze Zeit gewußt haben, daß Agent Jaerven Geld auf Zinsen auslieh. Dagegen ist natürlich nichts zu sagen. Aber die Sache ist die, daß er oft zu hohe Zinsen nahm, und deshalb kennen wir ihn hier so gut. Sie verstehen?«
»Ja, ich habe mir ja auch so meine Gedanken darüber gemacht,« antwortete die Witwe.
»Schön, schön! Sie wissen also nicht, warum er an jenem Donnerstag seine Kunden nicht einlassen wollte?«
»Nein, ich habe keine Ahnung. Ich hörte nur, daß Leute oben waren und an der Tür rüttelten; aber als er nicht aufmachte, gingen sie wieder. Sie werden wohl geglaubt haben, daß er nicht zu Hause ist. Er verhielt sich auch ganz still, solange jemand draußen war. Das ist mir