Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten. Sven Elvestad
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Читать онлайн книгу Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten - Sven Elvestad страница 6
Der Detektiv klappte das Notizbuch zusammen und erhob sich.
»An die Arbeit!« sagte er. »Hier ist ein Verbrechen begangen worden, und wir haben es sicherlich mit einem gefährlichen und intelligenten Schurken zu tun.«
»Haben Sie jetzt einen Faden?« fragte der Chef interessiert.
»Möglicherweise. Ich beginne etwas zu ahnen. Aber einen eigentlichen Anhaltspunkt habe ich noch nicht. Wir wollen doch sehen, ob meine alte Behauptung sich nicht wieder einmal bestätigt. Nämlich daß, selbst wenn ein Verbrechen mit einer geradezu genialen Schlauheit geplant ist, selbst wenn es bis ins kleinste Detail gelingt, ihm doch noch immer Umstände anhaften, die früher oder später zur Entdeckung führen müssen. Die Voraussetzung ist nur, daß der richtige Mann die Sache richtig anpackt.«
Krag war nun sichtlich gut gelaunt – ein Gemütszustand, den sein Chef wohl kannte und zu schätzen wußte. Wie alle wirklich großen Entdecker war Krag auch bisweilen nicht frei von ein bißchen Eitelkeit und hatte einen gewissen Hang, ein stolzes Selbstgefühl über seinen Scharfsinn und seine Intelligenz an den Tag zu legen.
»Was wollen Sie jetzt tun?« fragte der Chef.
»Ich will eine umfassende Hausdurchsuchung in Jaervens Wohnung vornehmen,« erwiderte Krag; »vielleicht kann ich da dem einen oder dem andern auf die Spur kommen.«
Der Chef erklärte sich damit einverstanden, und der Detektiv ging, um die Untersuchung vorzunehmen.
Als er sich ein paar Stunden später wieder vor seinem Vorgesetzten zeigte, hatte sein Gesicht einen Ausdruck, der darauf deutete, daß nichts Neues hinzugekommen war.
»Da sind eine Menge Darlehnspapiere,« sagte er, »Wechsel, Garantieverschreibungen und dergleichen, zu einem ganz bedeutenden Betrage. Ich wundere mich nur, daß nicht mehr Leute dagewesen sind und nach Jaerven gefragt haben, seitdem er verschwunden ist. Hier habe ich mir die Namen der Personen aufnotiert, von denen ich konstatieren konnte, daß Jaerven in Geschäftsverbindung mit ihnen stand. Es ist eine ganz interessante Liste. Aber sie bringt mich nicht einen Schritt vorwärts. Jetzt erübrigt nur noch eines.«
»Was denn?«
»Seine große eiserne Kasse zu sprengen. Ich habe sie hierherbringen lassen, und acht Mann tragen sie eben herauf. Es müssen ja bei einem solchen Vorgang gewisse Amtspersonen zugegen sein.«
Der Polizeichef setzte sich mit ein paar Herren vom Gericht in Verbindung. Sobald diese eingetroffen waren, begaben sich sämtliche in den großen Saal, wo vie Kasse auf einen Tisch gestellt worden war. Ein Schlosser war auch gekommen und hatte einige grobe Stemmeisen mitgebracht. Er versuchte die Kasse zu öffnen, aber mußte es bald wieder aufgeben.
»Das ist der massivste Geldschrank, der mir noch untergekommen ist,« sagte er; »soweit ich sehe, muß er mit Dynamit gesprengt werden. Sonst würde es zu lange dauern, ihn zu öffnen.«
Asbjörn Krag gab einem der anwesenden Bedienten eine Weisung. Der Mann entfernte sich in der Richtung von Krags Privatkontor. Einen Augenblick später kam er zurück, eine kleine Kassette tragend, die mit schwarzem Leder bezogen war und Krags Namen auf einem kleinen weißen Silberplättchen eingraviert trug. Der Detektiv öffnete die Kassette und breitete den Inhalt auf dem Tisch aus, während der Chef des Sicherheitsbureaus, der Schlosser und die Gerichtspersonen mit steigendem Interesse zusahen. Die Kassette enthielt Einbruchswerkzeuge der allerfeinsten Art, blank geputzt und scharf geschliffen; sie sahen beinahe wie chirurgische Instrumente aus. Da waren kleine scharfe Sägen, ein paar kurze, dicke Stemmeisen, dünne aber scharfe Bohrmaschinen usw. Die größten Instrumente maßen vielleicht eine halbe Elle, die kleinsten waren nicht größer als Stopfnadeln. Krag wählte einige Instrumente aus und begann unverdrossen an der Kasse zu arbeiten. Man hörte, wie die Bohrer in den harten Stahl geschraubt wurden, wie die Säge ihn mit einem Zischlaut durchschnitt, man sah die kleinen weißen Eisenspäne über die Schranktür tanzen. Im Verlaufe von zehn Minuten war das Schloß gesprengt – ein Griff mit dem Stemmeisen, und die Kasse lag offen da.
Der Polizeichef war ganz sprachlos vor Staunen. Aber Asbjörn Krag sagte, während ein seltsames Lächeln seine Lippen umspielte:
»Sie haben allen Grund, sich zu freuen, meine Herren – daß ich auf Ihrer Seite bin.«
In der Kasse lagen eine Menge Papiere verstreut. Mehrere waren zerrissen. Aber was man sogleich bemerkte, war, daß das kleine Geheimfach im Innern der Kasse, das vermutlich die wichtigsten Papiere des Wucherers barg, mit Gewalt in Stücke gesprengt war, und daß man im Inhalt furchtbar herumgewühlt hatte.
»Dacht' ich mir's doch,« murmelte der Detektiv, »hier sind ungebetene Gäste gewesen.«
Der Polizeichef, der Krags Bemerkung gehört hatte, wendete ein:
»Aber die Kasse selbst ist doch unversehrt. Wie reimen Sie sich das zusammen?«
Wieder lächelte der Detektiv in seiner eigentümlichen Weise.
»Ja, wenn ich das wüßte,« gab er zurück, »dann hätte ich damit das eine der Geheimnisse enträtselt.«
»Das eine?«
»Ich sage, das eine,« fuhr der Polizist ernst fort, »denn in dieser unheimlichen Tragödie gibt es viele Geheimnisse.«
IV.
Die falschen Wechsel
Man schritt nun zu einer eingehenden Untersuchung der eisernen Kasse. Es fand sich kein Geld vor, aber eine große Anzahl von Wertpapieren, auf recht ansehnliche Beträge lautend. In einem kleinen separaten Raum lagen drei kleine Bankbücher von verschiedenen Banken Christianias, bei denen Jaerven viele tausend Kronen eingelegt hatte. Jedes kleinste Ding des Inhaltes wurde aufnotiert und in die feuerfesten Gewölbe der Polizei hinterlegt. Krag bekam noch mehrere Namen für seine Liste der Personen, die mit dem Verschwundenen in Verbindung gestanden hatten. Sobald die notwendigen Formalitäten erledigt waren, begab sich der Detektiv in sein Kontor, um die Papiere durchzusehen. Er setzte sich auf seinen harten lederbezogenen Sessel und breitete die Papiere vor sich auf dem Tisch aus. Dann nahm er eine Handvoll starker Kubazigaretten, legte sie neben sich, zündete eine an und machte sich an die Arbeit.
Wie die meisten Männer, die viel zu denken haben, liebte er es, starken Tabak zu rauchen. Der erste Name auf der Liste war »Stud. med. Jens Isaksen«. Er war für ein Darlehen von 200 Kronen, am Dreiundzwanzigsten fällig, notiert. Der zweite Name war »Schiffskapitän Halvor Bjerk«, auch auf ein Darlehen von 200 Kronen, am Einunddreißigsten fällig. Krag hielt sich nicht weiter bei diesen und einer ganzen Reihe anderer Namen auf. Aber plötzlich zuckte er zusammen. Da stand Kommissionsagent Jens Bruun, 3000 Kronen, am Elften fällig. Gleich darunter stand Leutnant Hjelm, 2000 Kronen, am Zehnten fällig. Da waren noch ein paar kleinere Beträge, die um den Elften herum fällig waren – dem Tage, an dem Jaerven verschwunden war.
Krag sagte sich folgendes: Wenn jemand ein Interesse daran hatte, Jaerven aus dem Weg zu räumen, mußte es einer seiner Schuldner sein, vermutlich einer, der nicht bezahlen konnte. Er hielt sich darum sofort an die zwei großen Beträge. Den des Kommissionsagenten von 3000 Kronen und den des Leutnants von 2000 Kronen. Krag, der sich als langjähriger Polizeibeamter eine ausgedehnte Personalkenntnis erworben hatte, kannte die beiden Herren ganz gut.