Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi
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Читать онлайн книгу Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi страница 13
»Nein, ich will nicht mehr«, sagte Peter. Dolochow hielt den Engländer am Arm und wiederholte ihm nochmals deutlich die Bedingungen der Wette. Dolochow war von mittlerer Größe und etwa fünfundzwanzig Jahre alt. Er hatte blaue Augen und trug, wie alle Infanterieoffiziere, keinen Schnurrbart. Die Linien seines Mundes waren merkwürdig fein, die Oberlippe trat etwas über die Unterlippe hervor, in beiden Mundwinkeln spielte beständig ein Lächeln, man hätte fast sagen können zwei Lächeln, welches in Verbindung mit seinem festen, zuversichtlichen und intelligenten Blick die Aufmerksamkeit anzog. Er hatte kein Vermögen, keine Verbindungen, wohnte bei Anatol, gab Tausende von Rubeln aus und verstand es bei alledem, sich so zu stellen, daß seine Bekannten mehr Achtung für ihn als für Anatol hatten. Er spielte alle Spiele, gewann immer wieder und trank enorm, ohne jemals die Selbstbeherrschung zu verlieren. Kuragin und er waren damals Berühmtheiten in der leichtsinnigen Welt der Petersburger Lebemänner.
Man brachte eine Flasche Rum. Zwei Diener, welche von dem Lärm und den widersprechenden Befehlen schon ganz konfus geworden waren, bemühten sich, den Fensterrahmen herauszureißen, welcher dabei hinderlich war, sich auf den äußeren Rand der Fensteröffnung zu setzen.
Anatol näherte sich. Vom Verlangen getrieben, etwas zu zerbrechen, stieß er den Diener zurück und rüttelte an dem Rahmen, welcher Widerstand leistete, wobei eine Fensterscheibe zerbrach.
»Nun, du Herkules«, sagte er zu Peter. Peter faßte den Rahmen und riß ihn mit Krachen heraus.
Dolochow hatte die Rumflasche ergriffen, trat an das offene Fenster und sprang auf die Brüstung.
»Hört!« rief er, das Gesicht nach dem Innern des Zimmers gewendet.
Alles schwieg. Dann begann er französisch, damit der Engländer ihn verstehen konnte: »Ich wette fünfzig Imperials, oder wollen Sie hundert?«
»Nein, fünfzig«, erwiderte der Engländer.
»Gut, ich wette fünfzig Goldstücke, daß ich diese Flasche Rum austrinken werde, ohne abzusetzen, und daß ich sie hier außerhalb des Fensters sitzend austrinken werde, ohne mich an irgend etwas festzuhalten. Einverstanden?«
»Einverstanden«, sagte der Engländer.
Anatol hielt denselben am Rockknopf fest und wiederholte ihm auf englisch die Bedingungen.
»Das ist nicht alles«, rief Dolochow, indem er mit der Flasche auf die Fensterbank schlug, um sich Gehör zu verschaffen. »Kuragin, paß auf! Wenn jemand dasselbe tut, bezahle ich ihm hundert Goldstücke. Verstanden?«
Der Engländer nickte, machte aber keine Miene, diese neue Wette anzunehmen. Ein junger Gardehusar, welcher den ganzen Abend Unglück im Spiel hatte, kletterte auf das Fenster und blickte hinab.
»Oh! Oh!« murmelte er.
»Still!« rief Dolochow und zog den Offizier zurück, welcher an seinen Sporen hängenblieb und linkisch ins Zimmer stolperte.
Dolochow stellte die Flasche in die Fensteröffnung und kletterte langsam und vorsichtig hinauf. Dann stützte er sich mit beiden Händen gegen die beiden Seiten des Fensters und maß mit dem Auge seine Breite. Dann setzte er sich langsam nieder, ließ die Hände los, neigte sich etwas zur Linken, dann zur Rechten und ergriff die Flasche.
Anatol brachte zwei Kerzen und stellte sie in die Fensteröffnung. Es war jedoch schon heller Tag, Kopf und Rücken Dolochows, in Hemdsärmeln, waren von beiden Seiten beleuchtet. Alle drängten sich ans Fenster, der Engländer vor den anderen. Peter lächelte still. Plötzlich drängte sich einer der jungen Leute mißbilligend und erschreckt vor, in der Absicht, Dolochow am Hemd zurückzuziehen.
»Meine Herren, das sind Torheiten, er wird ums Leben kommen!« rief dieser weise Herr, der sicherlich vernünftiger war als die anderen. Anatol hielt ihn zurück.
»Rühre ihn nicht an, du wirst ihn erschrecken, und er fällt hinab. Was dann?«
Dolochow stützte sich auf die Hände und suchte sich ein zuversichtliches Ansehen zu geben.
»Wenn noch einmal jemand sich untersteht, sich einzumischen, so werfe ich ihn da hinab?« sagte er. Dann wandte er sich um, setzte die Flasche an den Mund, warf den Kopf zurück und erhob den Arm, der noch frei war, um sich ein Gegengewicht zu sichern. Einer der Diener, welche die Gläser auf dem Tische zusammenräumten, blieb unbeweglich in halb gebückter Haltung stehen und wandte keinen Blick von dem Fenster und Dolochows Kopf ab.
Der Engländer blickte mit zusammengepreßten Lippen zur Seite. Derjenige, welcher vergebens versucht hatte, diese Torheit zu hintertreiben, hatte sich in einer Ecke des Zimmers auf einen Diwan geworfen und kehrte das Gesicht nach der Wand. Peter bedeckte sich die Augen, und es trat eine tiefe Stille ein.
Als Peter die Augen öffnete, sah er Dolochow in derselben Stellung im Fenster sitzend, nur der Kopf war noch stärker zurückgeneigt, während der Arm, der die Flasche hielt, sich immer höher hob und bei der Anstrengung etwas schwankte. Die Flasche wurde sichtbar leerer.
»Wie lange das dauert!« dachte Peter; er glaubte, es sei eine halbe Stunde verflossen. Dolochow machte plötzlich eine Bewegung, und sein Arm zitterte stark. Da er auf der nach abwärts geneigten Fensterbrüstung saß, konnte diese nervöse Bewegung ihn hinabstürzen. Unwillkürlich erhob er eine Hand, wie um sich an dem Fensterkreuz anzuklammern, ließ sie aber sogleich wieder sinken. Peter schloß die Augen in der Absicht, sie nicht wieder zu öffnen, aber eine allgemeine Bewegung, die einen Augenblick darauf entstand, veranlaßte ihn, aufzublicken, und er sah Dolochow bleich, aber vergnügt in der Fensteröffnung sitzen.
»Sie ist leer!« Er warf die Flasche dem Engländer zu, der sie im Fluge auffing. Dolochow sprang ins Zimmer in einer Wolke von Branntweinduft.
»Bravo! Bravo! Das ist eine Wette!« riefen alle zugleich.
Der Engländer hatte seine Börse gezogen und rechnete mit Dolochow ab, der schweigsam und mürrisch geworden war. Peter stürzte an das Fenster. »Meine Herren, wer wettet mit mir, daß ich dasselbe tun werde? Und selbst ohne Wette! Schnell eine Flasche, schnell!«
»Bist du wahnsinnig geworden? Was fällt dir ein? Das darf nicht sein, hörst du? Du wirst ja schon auf einer Treppe schwindelig«, riefen mehrere Stimmen durcheinander.
»Eine Flasche her«, rief Peter, »ich werde sie austrinken!« Und er schlug heftig auf den Tisch. Einer der jungen Leute stürzte auf ihn zu, aber Peter schob ihn leicht zur Seite.
»Nein, so werden Sie ihn nicht halten«, sagte Anatol. »Höre!« rief er Peter zu, »ich werde die Wette halten, aber nicht früher als morgen! Jetzt gehen wir alle zu…«
»Gut, gut, gehen wir«, rief Peter vergnügt, »und Mischka nehmen wir mit!« Er ergriff den jungen Bären, umfaßte ihn mit seinen Armen, hob ihn auf und tanzte mit ihm durchs Zimmer.
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