Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi

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Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi

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um sie daran zu verhindern, sondern nur deshalb, weil die Kanonen aufgefahren waren und doch nach irgend etwas schießen mußten. Die Franzosen hatten drei Kartätschensalven abgegeben, bevor die Husaren zu ihren Pferden zurückkehrten. Zwei Salven waren schlecht gerichtet, aber die letzte traf mitten in einen Haufen Husaren, von denen drei fielen.

      Rostow blieb auf der Brücke stehen, ohne zu wissen, was er tun sollte. Es war nichts niederzusäbeln, wie er sich immer eine Schlacht vorgestellt hatte. Beim Anstecken der Brücke konnte er nichts helfen, weil er nicht, wie die anderen Soldaten, ein Strohbündel mitgenommen hatte. Er stand und blickte um sich, als es plötzlich auf der Brücke prasselte, als ob Erbsen ausgeschüttet würden, und einer der Husaren, der ihm am nächsten stand, stöhnend auf das Geländer fiel. Rostow lief mit anderen auf ihn zu; wieder schrie jemand »Träger!« Vier Mann ergriffen den Husaren und hoben ihn auf.

      »Oh, oh, oh, oh! Laßt mich los!« schrie der Verwundete, aber er wurde dennoch aufgehoben und auf die Tragbahre gelegt. Rostow wandte sich ab und blickte in die Ferne, nach der Donau, nach dem Himmel und der Sonne. Wie schön erschien der dunkelblaue Himmel, wie hell und siegreich schien die Sonne, wie freundlich glänzte das Wasser in der fernen Donau.

      »Ich wünschte nichts anderes«, dachte Rostow, »als daß ich dort wäre! In mir allein und in diesem Sonnenschein liegt so viel Glück, hier aber herrscht nur Stöhnen, Leiden und Schrecken!« Wieder wurde etwas gerufen und wieder liefen alle zurück. In diesem Augenblick verschwand die Sonne hinter den Wolken. Vor Rostow erschienen wieder Tragbahren. Die Furcht vor dem Tode und Verwundung, die Liebe zum Leben und das Entzücken an der Sonne, alles floß in einen krankhaft aufgeregten Eindruck zusammen.

      »Herr im Himmel, errette mich!« flüsterte Rostow.

      Die Husaren liefen zu den Pferden. Die Stimmen wurden laut und ruhiger. »Du, Brüderchen, hast du Pulver gerochen?« rief ihm Denissow zu.

      »Es ist alles aus! Ich bin ein Feigling!« dachte Rostow, und mit einem schweren Seufzer ergriff er die Zügel seines Pferdes und stieg auf.

      »Was war das? Kartätschen?« fragte er Denissow.

      »Ja, und es war gut gemeint!« rief Denissow. »Die Burschen haben tüchtig gearbeitet. Aber Arbeit ist unangenehm, eine Attacke ist etwas anderes, wo man alles in Stücke hackt, was vorkommt!«

      Denissow ritt zu einer kleinen Gruppe hinüber, welche sich um den Obersten gebildet hatte.

      »Aber ich glaube, niemand hat es bemerkt«, dachte Rostow. Und wirklich hatte niemand etwas bemerkt, weil jedem das Gefühl eines Junkers, wenn er zum erstenmal ins Feuer kommt, bekannt war.

      »Melden Sie dem Fürsten, daß ich die Brücke angezündet habe«, sagte der Oberst feierlich.

      »Aber wenn man nach dem Verlust fragt?«

      »Kleinigkeit«, erwiderte der Oberst. »Zwei Husaren verwundet und einer gefallen!« sagte er mit sichtlichem Vergnügen.

      31

       Inhaltsverzeichnis

      Die kleine russische Armee von fünfunddreißigtausend Mann unter dem Befehl Kutusows zog sich rasch auf Wien zurück und hielt sich nur auf, wo sie vom Feind eingeholt wurde, worauf sie sich in Nachhutgefechte nur so weit einließ, als nötig war, um den Rückzug zu sichern, ohne die Bagage zu verlieren. Solche Gefechte fanden bei Lembach, Amstetten und Melk statt, aber trotz aller auch vom Feind anerkannten Tapferkeit, mit der die Russen sich schlugen, hatten diese Gefechte nur noch schnelleres Zurückweichen zur Folge. Die österreichische Armee trennte sich jetzt von der russischen, es war nicht daran zu denken, Wien zu verteidigen. Anstatt des tiefdurchdachten Angriffsplans, welcher nach den Gesetzen der neuen Wissenschaft, der Strategie, vom Hofskriegsrat entworfen und Kutusow bei seiner Anwesenheit in Wien übergeben worden war, blieb jetzt Kutusow nichts übrig, als die Vereinigung mit den aus Rußland nachkommenden Heeresteilen zu suchen.

      Am 28. Oktober ging Kutusow mit der Armee auf das linke Ufer der Donau über und machte zum erstenmal Halt, da er die Donau zwischen sich und den Franzosen hatte. Am 30. griff er die auf dem linken Ufer stehende Division Mortier an und vernichtete sie. In diesem Gefecht wurden zum erstenmal einige Trophäen – Fahnen, Geschütze und zwei feindliche Generale – erbeutet. Zum erstenmal nach zweiwöchigem Rückzug machten die russischen Truppen Halt. Sie hatten jetzt nicht nur das Feld behauptet, sondern auch die Franzosen verjagt. Obgleich die Truppen abgerissen und erschöpft und um ein Drittel zusammengeschmolzen waren, obgleich auf dem andern Ufer der Donau Kranke und Verwundete mit einem Brief Kutusows, der sie der Menschlichkeit des Feindes empfahl, zurückgeblieben waren, obgleich die großen Hospitäler und Häuser in Krems, in welchen Lazarette eingerichtet worden waren, nicht alle Kranken und Verwundeten aufnehmen konnten, hatte doch der Sieg über Mortier den Geist der Truppen bedeutend gehoben. In der ganzen Armee und dem Hauptquartier waren sehr günstige, wenn auch falsche Gerüchte über das angebliche Eintreffen neuer Truppen aus Rußland, über einen Sieg der Österreicher und den Rückzug des erschrockenen Bonaparte in Umlauf.

      Während der Schlacht befand sich Fürst Andree bei dem österreichischen General Schmidt, welcher bald darauf fiel. Sein Pferd wurde unter ihm erschossen, und er wurde selbst durch einen Streifschuß leicht verletzt. Als Zeichen besonderer Gunst wurde er von Kutusow mit der Nachricht von diesem Sieg an den österreichischen Hof abgesandt, welcher sich bereits in Brünn befand, da Wien von den Franzosen bedroht war. In der Nacht nach dem Gefecht war Fürst Andree in aufgeregter Stimmung mit einer Meldung vom General Dochturow in Krems an Kutusow gekommen und wurde noch in derselben Nacht nach Brünn abgesandt. Dieser Auftrag bedeutete einen wichtigen Schritt im Avancement.

      Es war eine dunkle Sternennacht. Am Tage war etwas Schnee gefallen. Fürst Andree saß in dem leichten Postwagen mit dem Gefühl eines Menschen, welcher lange gewartet und nun endlich den Anfang des erwünschten Glückes erreicht hat. Sobald er die Augen schloß, ertönte in seinem Ohr Gewehrfeuer und Kanonendonner. Er erinnerte sich nochmals an alle Einzelheiten des Sieges und seinen kaltblütigen Mut während der Schlacht, und endlich schlummerte er ein. Nach der dunklen Sternennacht brach ein heller, heiterer Morgen an. Der Schnee schmolz in der Sonne. Die Pferde liefen rasch dahin durch dichte Wälder.

      Es dunkelte, als Fürst Andree in Brünn eintraf. In den Straßen mit hohen Häusern und hell erleuchteten Läden empfand er jene Atmosphäre einer großen, volkreichen Stadt, welche für den Krieger nach dem Lagerleben immer so verführerisch ist. Ungeachtet der raschen Fahrt und der schlaflosen Nacht fühlte sich Fürst Andree, als er am Schlosse vorfuhr, noch frischer als am vorhergehenden Abend. Nur seine Augen glänzten fieberhaft und seine Gedanken folgten sich mit außerordentlicher Schnelligkeit und Deutlichkeit. Er stellte sich vor, welche Fragen Kaiser Franz an ihn richten und was er antworten werde. Er glaubte, man werde ihn sogleich dem Kaiser vorstellen, aber bei dem großen Einfahrtstor des Schlosses kam ein Beamter ihm entgegen, und als er in ihm einen Kurier erkannte, führte er ihn zu einem anderen Eingang.

      »Dort in der Tür rechts finden Sie den Flügeladjutanten«, sagte ihm der Beamte, »er wird Sie zum Kriegsminister begleiten.«

      Der Flügeladjutant bat ihn, etwas zu warten, und ging zum Kriegsminister. Nach fünf Minuten kam er zurück und führte den Fürsten Andree mit besonderer Höflichkeit durch den Korridor in ein Kabinett, wo der Kriegsminister arbeitete. Die freudige Erwartung des Fürsten Andree wurde bedeutend gedämpft, als er das Kabinett des Kriegsministers betrat. Er fühlte sich beleidigt, und dieses Gefühl steigerte sich, als der Kriegsminister, an einem großen Tisch sitzend, zwei Minuten lang den Eintretenden unbeachtet stehen ließ. Er las ein Papier und machte dabei Bemerkungen mit einem Bleistift.

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